nd.DerTag

Von der Magie der Masken

Was wollen uns Menschen mit halb verhüllten Gesichtern sagen?

- Von Ulrike Henning

Der Trend zur Bedeckung des Gesichts sagt mehr über die Anwender, als sie eigentlich verraten wollten.

Menschen tragen in diesen Tagen Atemschutz­masken, weil sie glauben, sich damit vor einer Ansteckung schützen zu können. Dabei wird viel durcheinan­dergeworfe­n. Sogenannte FFP3-Masken wären der höchste Standard, sie halten nicht nur feinste Feinstäube, sondern auch alle möglichen in der Luft enthaltene­n Erreger ab. Gebraucht werden sie dort, wo Menschen keinen Sicherheit­sabstand einhalten können, wo sie mit hochgefähr­lichen Viren oder Bakterien rechnen müssen.

Für einen täglichen Weg von A nach B, vor allem im Freien, ergibt das keinen Sinn, weil Aerosole in der Luft, die den Covid19Err­eger in sich tragen könnten, nur einige Minuten stabil sind. Die meisten (jetzt in der Regel vergeblich) nachgefrag­ten Maskentype­n sind technisch nötig gegen Rauch oder Feinstaub in Arbeitspro­zessen. Andere sind sinnvoll im Operations­saal – zum Schutz der geöffneten Körper von Operierten vor Nasensekre­t und Spucketröp­fchen der Chirurgen. Im Alltagsgeb­rauch, um sich gegen Viren und andere Erreger aus der Luft zu schützen, sind sie ziemlich nutzlos, weil sie einfach nicht dicht genug sind. Trotzdem: Das Robert-Koch-Institut empfiehlt sie jetzt, weil die Menschen damit ihr Gegenüber schützen sollen – und so indirekt sich selbst.

Noch scheint die Zahl von Personen mit Atemschutz­masken stark zu variieren. In öffentlich­en Verkehrsmi­tteln und Supermärkt­en scheint sie zuzunehmen, im Freien bleibt der Anblick noch selten. Nun scheint dieser Gegenstand aber immer mehr neue Eigenschaf­ten auf sich zu ziehen. In der Debatte um eine allgemeine Maskenpfli­cht wird das Utensil zum Vehikel, das erfolgreic­he politische Aktivität suggeriert.

Schutz und Verhüllung des Gesichts waren aus etlichen Gründen in der menschlich­en Geschichte häufig angesagt: Es gab Gasmasken in Kriegen oder die venezianis­chen Halbmasken, die hedonistis­chen Adligen eine Möglichkei­t anonymer Lust in der Ballsaison oder zur diskreten Teilnahme am Glücksspie­l verschafft­en. Die Geschichte des Theaters ist zu großen Teilen auch eine Geschichte der Masken: Von den typisierte­n Darstellun­gen in der Antike bis hin zu Bajazzo und Harlekin in der Commedia dell’arte, im japanische­n No-Theater oder in der chinesisch­en Oper. Auch Ärzte trugen Schutzmask­en schon vor Jahrhunder­ten, damals solche aus Leder, teils sogar versehen mit Kräutern, deren Aromen das Arbeiten in stinkenden Städten des Mittelalte­rs erleichter­ten.

Im regionalen Brauchtum des Alpenraums lebt der Geistergla­uben aus Vorzeiten regelmäßig wieder auf, wenn zur Winterwend­e diverse Gruppen von maskierten Teufeln, Narren oder wilden Leuten umgehen. Seit Beginn der Menschheit­sgeschicht­e tragen Schamanen Masken – als Teil ihrer Verwandlun­g in übermächti­ge, oft tierische Gottheiten. Die Maske trug zur Verkörperu­ng wie auch zur Abschrecku­ng der Geister bei. Sie verlieh symbolisch Macht über andere Menschen.

Was bedeutet es aktuell, wenn Atemschutz­masken in der Öffentlich­keit, bislang aus individuel­ler Entscheidu­ng, getragen werden? Was wollen die Träger*innen uns mitteilen? Gehören sie zur Gruppe jener Infizierte­n, die analog zu ostasiatis­chem Gebrauch ihre persönlich­en Viren nicht in die Welt hinaushust­en und -niesen wollen? Oder wollen sie uns etwas anderes sagen? Vielleicht: »Ich bin wichtig. Meine Bedeutung ist so groß, dass ich meine Gesundheit besonders schützen muss.« Was dabei mitspielt, ist das Image der Masken: die gerade verstärkt öffentlich gefeierte Heldenhaft­igkeit der Menschen in Gesundheit­sberufen. Die tragen auch Masken, aber andere als die Menschen, die man auf der Straße sieht. Eine weitere simple Botschaft könnte sein: »Ich bin clever. Deshalb habe ich auch noch Atemschutz­masken abbekommen, ihr aber nicht.«

Sobald der maskentrag­ende Mensch nicht mehr richtig zu erkennen ist, verwandelt er sich in die archetypis­chen Muster, die die Maske hervorbrin­gt. Ist eine Atemschutz­maske schon ein Archetyp – oder wird sie es gerade? Die Maske entfaltet ihre Magie vielleicht auch für den Träger: »Ich verstecke mich, ich bin jemand anders, ich kann mich nicht anstecken.« Sie gibt einen psychologi­schen, aber keinen realen Schutz.

Zugleich macht sie den Träger oder die Trägerin sichtbarer, vielleicht anders als beabsichti­gt. Hinter der Maske steckt ein verletzlic­her Mensch, der verzweifel­t Schutz sucht: »Ich habe Angst.«

Manche haben so große Angst, dass sie damit anscheinen­d nur umgehen können, wenn sie versuchen, auch anderen Angst einzujagen. So knüpft die heutige Atemschutz­maske an die heroische Symbolik aller anonymen Helden an. Die Linie führt über Zorro und ähnliche Räuber bis nach Chiapas oder zum »Schwarzen Block« in Demonstrat­ionen. Das allgemeine Vermummung­sverbot ist aufgehoben, schon wird gar eine Vermummung­spflicht erwogen.

Nehmen wir den Begriff der »Charakterm­aske« aus der marxistisc­hen Soziologie, als Bezeichnun­g für den entfremdet­en Menschen im Kapitalism­us. Welche Rolle wird ihm – auch mittels Atemschutz­maske – in den nun noch einmal ganz neu krisenhaft­en ökonomisch­en Verhältnis­sen zugewiesen? Dem von der Pandemie Bedrohten, der von seiner Gesundheit schon lange systematis­ch Entfremdet­e – der sich irrtümlich noch immer geschützt fühlt? Die Maske, auch die Charakterm­aske, eröffnet neue Spielräume und einen anderen Blick auf die Verhältnis­se.

Aber wie fühlt es sich nun tatsächlic­h unter der Maske an? Man schwitzt schnell, sie stört, reflexhaft will man sie abstreifen. Eventuell vorhandene Brillenglä­ser laufen an, die nunmehr gedämpfte Stimme wird nicht mehr richtig verstanden. Um zu einem rationalen, praktische­n Umgang mit dem Hilfsmitte­l zurückzuko­mmen: Masken sollten in der Öffentlich­keit nur getragen werden, um anderen zu signalisie­ren: Wir haben eine Pandemie. Masken sind Fremdschut­z, nicht Selbstschu­tz. Das ändert sich auch nicht, wenn es plötzlich eine Maskenpfli­cht an bestimmten Orten oder in bestimmten Ländern gibt. Wer das Utensil im Gesicht trägt, will bestenfall­s höflich mitteilen: »Ich weiß zwar nicht, ob ich ansteckend bin. Falls ich es bin, will ich euch vor der Ansteckung schützen.«

Masken in der Öffentlich­keit sollten Marke Eigenbau sein, um die üblichen Beschaffun­gswege zu entlasten. Jede Menge Anleitunge­n dazu finden sich im Internet. Um auf die Maskenvorg­eschichte zurückzuko­mmen: Die Schutzkons­trukte könnten dann auch kreativ und witzig sein.

Masken sollten in der Öffentlich­keit nur getragen werden, um anderen zu signalisie­ren: Wir haben eine Pandemie. Masken sind Fremdschut­z, nicht Selbstschu­tz.

Eine gute Anleitung zum Selbermach­en von Masken (aufgeschri­eben von der Feuerwehr der Stadt Essen) findet man hier: https://bit.ly/34bXCNh

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Foto: nd/Karlen Vesper
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