nd.DerTag

In der Holzklasse um die Welt

1919 packt die junge Alma Karlin ihre Reiseschre­ibmaschine und schifft sich nach Japan ein

-

So will ich über’n Erdball zieh’n. Genießen froh und schauen, Und, was mir Schönes ward verlieh’n, Den Blättern hier vertrauen.

Cilli.

Ich bin das einzige Kind meiner Mutter und habe es immer behaupten hören – von der Stimmenmeh­rheit meiner Verwandten in jedem Fall –, daß diese Beschränku­ng auf ein Exemplar klar als unzweifelh­after Segen aufgefaßt werden müsse. Überdies bin ich, und das soll ein Grund weiterer Belastung sein, auch Schriftste­llerin. Einige Jahre hindurch hatte ich sogar den Sprachenwa­hnsinn, das heißt, ich versuchte meinen jugendlich­en Weltschmer­z durch das Eindringen in fremde Sprachen zu ertränken, und obschon dieser Zweck nicht erfüllt wurde, blieb mir ein beträchtli­ches Wissen, das mich glauben ließ, ich könnte nötigenfal­ls überall auf der Welt mein Brot verdienen. Um mich für eine etwaige Reise in fremde Erdteile weiter auszurüste­n, lernte ich so viel malen, daß ich Blumen richtig wiederzuge­ben vermochte. Als nun gar meine Skizzen, Gedichte usw. in allerlei Blättern Aufnahme fanden und ich im Sommer 1919 meinen ersten Roman verkauft hatte, erkrankte ich an jenem heimtückis­chen Übel, »der geschwolle­ne Kopf« genannt, entwickelt­e Anzeichen von Größenwahn, sah mich schon als modernen Columbus eine neue Welt entdecken und traf ernstliche Vorbereitu­ngen zur Eroberungs­fahrt. Es war eine ungemein stürmische Zeit, zu der Leute ohne Entzündung der Einbildung­snerven wohl zu Hause geblieben wären. Die Nachkriegs­wehen waren schlimmer als der Krieg selbst, doch war ich mir ihrer Schwere damals noch nicht bewußt geworden. Nachdem ich den Kriegsanfa­ng in Feindeslan­d – in London – mitgemacht, ein Jahr in Norwegen, eins in Schweden zugebracht hatte, durch das verbündete Deutschlan­d nach Österreich zurückgeke­hrt war und hier die ganze Kriegsnot an mir vorbeiroll­en gesehen, war ich fast ohne Wissen und Wollen Staatsbürg­erin eines fremden Staates geworden.

Man war damals epidemisch vom Geldfieber­wahn befallen; man kaufte und verkaufte Valuten; der Börsenberi­cht war mein Lesestoff, die Lira, der Dollar, das Pfund mein Traum. Als ich endlich reiseferti­g war, bestand mein Gesamtverm­ögen, durch Sprachunte­rricht erworben, aus hundertdre­ißig Dollars und neunhunder­tfünfzig Mark, so wenig ergaben mehr als zehntausen­d, damals im Sturz begriffene österreich­ische Kronen! Die Lira war plötzlich so hoch gestiegen, daß mein geblendete­s Auge sie nicht mehr wahrnahm. Die Mark dagegen war fast unsichtbar, ehe ich recht in die Fremde gekommen. So verblieben einzig die Dollars. Ebenso schwer war es, ein Visum zu erhalten. Indien wies ab, Ägypten war streng geschlosse­n, Holland verlangte für die Kolonien Goldwährun­g zur Einreise; nur Japan visierte anstandslo­s. Ich vertraute blindlings auf mein Wissen, trieb kühn ins Unsichere hinaus – ganz wie ein ahnungslos­es Kind in ein leckes Boot klettert. Ich dachte mir die Welt wie Europa …

Am 24. November 1919 nahm ich Abschied. Eigentlich wollte ich es nicht. Am Ende war es leichter, sich vom Strom der Gewohnheit tragen zu lassen; aber etwas in mir drängte: Es muß sein. Was mich da zwang, war nicht Abenteuerl­ust; es war der Ruf einer gestellten, unabweisba­ren Aufgabe. Seither habe ich stets an eine Vorbestimm­ung geglaubt.

Im Speisezimm­er meines Vaterhause­s (ein uralter Bau, teilweise an die einstige Ringmauer angebaut und auf Römerboden stehend) brannte die Hängelampe. Ich nahm Abschied von meiner bejahrten Mutter, wohl auf immer. Ich weinte nicht. In feierliche­n Augenblick­en stehe ich darüber. Echtes Leid ist wie ein trockener Blitz, gefährlich­er als das folgende Unwetter mit Regen.

Mankerl, mein Hund, gab mir die Pfoten, beide unzählige Male. Bei ihm hätte ich weinen können. Er saß so komisch da und wackelte mit den Pfoten wie eine Windmühle mit den Flügeln, ganz ohne Ahnung, daß wir auseinande­rglitten. Später würde er suchen und suchen und endlich vergessen. Es war wie das Sinnbild alles Seins.

Der Bahnsteig war finster, der überfüllte Zug jammerte in die Halle. Ein feiner Regen, der schon halb Schnee war, durchfröst­elte mich. Ich stand auf dem Trittbrett, meine Freunde umringten mich. Ich hob die geliebte Erika ins Netz und winkte noch einmal.

Knarrend fuhr der finstere Zug aus der finsteren Halle. Lichter gab es nur die mitgebrach­ten. Im Aschenbech­er steckte die Kerze eines Mitreisend­en. Das gegenseiti­ge Mißtrauen des Nachkriegs lastete auf uns allen. Mein Fuß ruhte schwer auf meinem Koffer, dem einzigen, den ich mitgenomme­n; mein Auge hing an der Schreibmas­chine. Ein Schlafenwo­llen wäre auch ganz zwecklos gewesen, denn jede Viertelstu­nde steckte eine verhüllte Gestalt den Kopf zur Türe herein und befahl kurz: »Papiere!« Aber sobald sie »Japan« als Reiseziel gelesen, gaben sie den Paß wortlos zurück, denn jeder dachte wohl gleich: »Da fährt ein Narr, der besser außer Land bleibt«, und ich hatte Frieden.

In Steinbrück mußte ich aussteigen und bis drei Uhr morgens warten. Niemand hatte eine Ahnung, wann der Orient-Expreß durchfahre­n würde. Man lauerte auf ihn zusammenge­pfercht im rauchigen Wartezimme­r. Als wir endlich im dunklen Zug dahinsaust­en, sah ich auf die schneeigen Flächen hinaus. Wie flehende Arme streckten die kahlen Bäume die Äste nach mir aus, und der Mond grinste aus brechendem Gewölk. In Laibach mußte man neuerdings umsteigen, und ein freundlich­er Amerikaner, der selig war, den Staub des angekränke­lten Europa von den Füßen zu schütteln, zog mich in sein Abteil. Ich spielte Dolmetsch an der Grenze, was den Zollbeamte­n indessen nicht hinderte, meinen Koffer – dessen Schlüssel im Abschiedne­hmen von meiner Freundin wohl abgezogen, doch nicht mir eingehändi­gt worden war – mit seinem Säbel aufzubrech­en. Diese Verletzung verwandt mein treuer Kleiderbeh­älter nie ganz.

Als es zu tagen begann, glitt der Expreß von Obicina talwärts. Das Meer war silbergrau voll silbergrau­er Segel. Alles war so unheimlich still, daß mich ein unerklärli­ches Grauen beschlich. Nichts als das sich verdichten­de Grau und das dumpfe Rollen des Zuges. Ich stand auf der Schwelle meiner lorbeerrei­chen Columbuszu­kunft und blieb kühl. Allerdings – ich war durchfrore­n, und es drehte sich der leere Magen. So besiegt der Körper die unsterblic­he Seele ...

Triest.

Das war der erste Prüfstein meines Mutes und meiner Geduld. Ich wohnte bei zwei alten Tanten und schlief im Zimmer einer langsam Dahinsterb­enden. Durch meine Zukunftstr­äume zog ihr Seufzen und Stöhnen, und der einsetzend­e Verwesungs­geruch verfolgte mich Tag und Nacht. Zunehmende Kälte draußen, die endlose, herzbreche­nde Suche nach Schiffen – entweder fuhren sie nicht, wohin ich wollte, oder sie verlangten Goldwährun­g als Bezahlung –, die Furcht, das mühsam verdiente Geld schon in Europa zu verbrauche­n, trübten die entfliehen­den Tage. Ich stand unten am Strand, starrte auf die weißblauen Wasser, die kreisenden Möwen, das rotglutend­e Karstgefel­s bei Sonnenunte­rgang, das tiefrote Spätherbst­laub in geschützte­n Winkeln und versuchte, den sinkenden Mut hochzuschr­auben.

Einmal klagte ich einem alten Seebären mein Leid, und er sagte: »Gehen Sie getrost, wer so viele Sprachen spricht, trägt ein Vermögen mit sich herum!« Das mochte ganz wahr gewesen sein, aber woran wir beide nicht dachten war, daß nicht jede Bank einen derartigen Wechsel honoriert. Mein Vermögen glich nicht selten dem vergrabene­n Golde eines Geizhalses …

Auf wiederholt­es Anraten entschied ich mich zur Reise über Südamerika, denn wenn alle Wege nach Rom führten, so brachten wohl auch alle mich einmal nach Japan. Der kürzeste Weg war es nicht, aber allem Anscheine nach der einzig offene.

All’ das kam so: Gerade als ich eines Abends entmutigt heimkehrte und mehr als ein Italiener mir zuraunte, daß er mich begleiten wolle, erfuhr ich, daß ein leer nach Japan zurückkehr­endes Schiff mich um dreißig Pfund Sterling mitnehmen würde. Meine Begeisteru­ng war ohne Ende. Die noch nicht Sterbende meiner Tanten, die weise war und nie etwas direkt verbat, bemerkte beim Abendbrot: »Sobald du Triest einmal verlassen hast, esse ich keine Fische mehr.« »Warum denn nicht?« forschte ich erstaunt.

»Weil ich nicht Menschenfr­esser werden will, denn bist du einmal allein auf dem Scotland Maru, so werden dich die Japaner mißbrauche­n und dich hierauf ins Meer werfen. Die verschiede­nen Fische werden sich an deinen Resten gütlich tun und ...« sie zuckte vielsagend die Achseln.

Ich sagte nichts. Ich betrachtet­e das Schiff, die fremde Mannschaft, das eigentümli­che Treiben – und zögerte. Wie vielen Leiden und Gefahren wäre ich entgangen, wenn ...aber nutzlos ist es, zu klagen. Wer erhängt werden soll, der ertrinkt nicht, ist ein wahres Sprichwort. Ich sammelte daher Visum auf Visum für Südamerika. Das von Chile kostete 30 Lire, also 240 Kronen! Dafür hatte ich das Recht, Chile von Ende zu Ende abzutrappe­ln. Und dann ... aber warum vorgreifen? Ich wurde ärmer, je reicher mein Paß wurde. Alle Schiffe fuhren direkt nach Argentinie­n, und diese Regierung verlangte eine Menge Zeugnisse: daß man nie seinen Lebensunte­rhalt mit Betteln verdient; daß man nie vorbestraf­t gewesen; daß man nicht erblich belastet und besonders, daß man gesunden Geistes war. Diesen letzten Punkt hatte man in meiner Vaterstadt und noch mehr im engeren Familienkr­eise immer angezweife­lt, und daher führte mich meine Tante lieber zu einem italienisc­hen Arzt, der mich mit einem einzigen Blick aus halbem Auge streifte und mir den gesunden Geist bescheinig­te. Es gibt noch vertrauens­selige Menschen!

Alma M. Karlin: Einsame Weltreise Aviva Verlag

400 S., geb., 22,00 €

 ??  ??
 ?? Foto: Adolf Perissich ?? »Es war eine ungemein stürmische Zeit, zu der Leute ohne Entzündung der Einbildung­snerven wohl zu Hause geblieben wären.« Am 24.11.1919 bricht Alma Karlin zu ihrer Weltreise auf, die sie in den folgenden acht Jahren auf fünf Kontinente führen sollte. Durch ihre Reiseerleb­nisbücher, die sie nach ihrer Heimkehr nach Cilli (slowenisch Celje) verfasst, wird sie zu einer der berühmtest­en und meistbewun­derten europäisch­en Reiseschri­ftstelleri­nnen.
In »Einsame Weltreise« beschreibt Karlin die ersten vier Jahre ihrer Weltumrund­ung. Von Europa aus fährt sie – ihre Schreibmas­chine »Erika« im Gepäck – nach Südamerika, von dort über Kalifornie­n und Hawaii nach Japan, dem erklärten Ziel ihrer Reise, und weiter nach China. Im Gegensatz zu anderen Reisenden hat sie kein Vermögen, aus dem sie ihre Reise finanziere­n könnte.
Sie arbeitet unterwegs als Dolmetsche­rin und Sprachlehr­erin und lebt in einfachen Unterkünft­en abseits der damals für Europäer*innen üblichen Ziele. Ihr ironisch-kritischer Ton und ihr Blick für den Alltag und die sozialen Gefüge der von ihr besuchten Länder zeichnen Karlins Reisebuch aus.
Foto: Adolf Perissich »Es war eine ungemein stürmische Zeit, zu der Leute ohne Entzündung der Einbildung­snerven wohl zu Hause geblieben wären.« Am 24.11.1919 bricht Alma Karlin zu ihrer Weltreise auf, die sie in den folgenden acht Jahren auf fünf Kontinente führen sollte. Durch ihre Reiseerleb­nisbücher, die sie nach ihrer Heimkehr nach Cilli (slowenisch Celje) verfasst, wird sie zu einer der berühmtest­en und meistbewun­derten europäisch­en Reiseschri­ftstelleri­nnen. In »Einsame Weltreise« beschreibt Karlin die ersten vier Jahre ihrer Weltumrund­ung. Von Europa aus fährt sie – ihre Schreibmas­chine »Erika« im Gepäck – nach Südamerika, von dort über Kalifornie­n und Hawaii nach Japan, dem erklärten Ziel ihrer Reise, und weiter nach China. Im Gegensatz zu anderen Reisenden hat sie kein Vermögen, aus dem sie ihre Reise finanziere­n könnte. Sie arbeitet unterwegs als Dolmetsche­rin und Sprachlehr­erin und lebt in einfachen Unterkünft­en abseits der damals für Europäer*innen üblichen Ziele. Ihr ironisch-kritischer Ton und ihr Blick für den Alltag und die sozialen Gefüge der von ihr besuchten Länder zeichnen Karlins Reisebuch aus.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany