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Von der Hetze zum Terror

Rechtsextr­emismusfor­scher Andreas Speit über rechte Attentate und den Einfluss digitaler Medien

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Das Internet spielt eine zentrale Rolle für rechte Attentäter. Andreas Speit über Radikalisi­erung und Prävention.

Ihr aktueller Sammelband heißt »Rechte Egoshooter«. Das ist ein Begriff aus der Gamer-Szene. Was haben Computersp­iele mit Attentaten wie in Halle oder Hanau zu tun? In Halle hat der Attentäter Stephan B. seinen Anschlag live im Netz inszeniert. Weltweit sollten möglichst viele Menschen beim Morden zusehen können. Stephan B. spricht das Publikum auch im Jargon der GamerSzene an. In den von ihm veröffentl­ichten Dokumenten finden sich zudem Aufgabenst­ellungen, wie sie bei Computersp­ielen formuliert werden. In Hanau mordete der Attentäter ohne solche virtuellen Inszenieru­ngen. Aber auch Tobias R. hat über die digitalen Netzwerke sein Manifest verbreitet, war mit einem Blog online präsent. Die vermeintli­chen Einzeltäte­r sind keine »einsamen Wölfe«, sondern in eine Hass-Community eingebunde­n, in ein »Wolfsrudel«, in dem alle hetzen und einer schießt.

Sind die digitalen Medien der Grund für die Häufung rechtsterr­oristische­r Taten?

Sie sind für die extreme Rechte der wichtigste Kommunikat­ionskanal. Zu keiner früheren Zeit konnte diese heterogene Szene ihre politische­n Positionen so schnell, so günstig, so ungefilter­t und so weit öffentlich streuen. So wird das gesellscha­ftliche Klima angeheizt, und auf Worte folgen Taten. Der Attentäter von Halle folgte mit seinen Bemühungen um einen Livestream dem Mörder von Christchur­ch, Brenton T. Die Szene inspiriert sich längst global.

Es gibt jetzt verschärft­e Gesetze gegen Hasskrimin­alität im Netz. Führt ein direkter Weg »von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat«, wie es im Untertitel Ihres Buches heißt?

Virtuelle Hetze kann eine Person zum realen Attentat motivieren, muss es aber nicht. Ein gesellscha­ftliches Klima, das Hass gegen Menschen zulässt und zu Gewalt gegen Angefeinde­te mehr oder weniger offen auffordert, ermutigt Attentäter. Von einem »direkten Weg« sprechen wir aber nicht, die Motive sind viel zu komplex.

Anders Breivik, der norwegisch­e Massenmörd­er, aber auch Stephan B. haben parallel politische »Manifeste« online gestellt. Warum ist das den Tätern so wichtig?

Sie wollen zu Heroen werden und ein politische­s Zeichen setzen. Breivik ist so ein Held und »das Vorbild«, weil er binnen kurzer Zeit 77 überwiegen­d junge Menschen ermordete. Am gleichen Tag, nur fünf Jahre später, am 22. Juli 2016, tötete David S. in München neun Menschen mit Migrations­hintergrun­d. Der Anschlag wurde aber erst 2019 offiziell als politisch motiviert eingeordne­t. Er bildet in diesem Spektrum eine Ausnahme, ein Manifest veröffentl­ichte David S. nicht.

»Terror als Spiel« lautet die Überschrif­t eines Textes im Buch. Was ist damit gemeint? Die Inszenieru­ng des Terrors und der Kontext offenbaren einen neuen Tätertypus. Brenton T. tötete im Livestream, seine Fans sollten ihn anfeuern, »den »Highscore zu knacken« – also so viele Menschen wie möglich zu ermorden. Die neuen Rechtsterr­oristen, die ihre Anschläge im Internet vorbereite­n und verbreiten, tauschen sich mit Gleichgesi­nnten internatio­nal über Imageboard­s oder Chatprogra­mme aus, sie wollen zu weiteren Taten weltweit anregen.

Die männliche Form »Täter« ist mehr als berechtigt, denn es handelt sich nahezu immer um Männer. Warum?

Seit Jahren laufen Diskussion­en über den Mann in der modernen Gesellscha­ft. Welche Rolle hat er, welche Männlichke­it soll gelebt werden, wie soll er als Partner oder Vater sein? In dieser Debatte, auch um die Rechtslage für Väter nach Scheidunge­n und Trennungen, haben sich einige Männer radikalisi­ert. Der gestiegene Anspruch von Frauen auf Gleichbere­chtigung bedeutet einen sinkenden Machteinfl­uss für Männer. Nicht alle sehen da eine Chance für sich. Björn Höcke hat dazu aufgerufen, dass wir »unsere Männlichke­it wiederentd­ecken« müssen. Weiße Männer sehen sich von »Fremden« in ihrer Macht und Teilhabe bedroht, und ebenso omnipräsen­t ist ihr Frauenhass.

Einige der Täter betrachten sich als »Incel« – abgeleitet von »Involuntar­y Celibate« –, also als unfreiwill­ig im Zölibat Lebende. Welche Rolle spielt der sexuelle Frust alleinsteh­ender Männer?

Einzelne Aspekte wie psychologi­sche Störungen oder sexuelle Frustratio­n sollten nicht ausgeblend­et, aber auch nicht überbewert­et werden. Zu oft wird so die politische Motivlage verdrängt. Im Spektrum der Incels – und nicht nur dort – wird ein radikaler Antiislami­smus, Antisemiti­smus und Antifemini­smus vertreten, kombiniert mit Gewalt-, Vergewalti­gungs- und Tötungsfan­tasien.

Ein Beitrag von Ihnen heißt »Der Jude und die Weiblichke­it – zwei alte Feindbilde­r«. Welchen Zusammenha­ng sehen Sie zwischen Antisemiti­smus und Antifemini­smus?

Schon in der Romantik finden sich Judenund Frauenhass. Den Angefeinde­ten wurde eine vermeintli­che Naturnähe angedichte­t, Juden wie Frauen ein besonders starker Geschlecht­strieb unterstell­t. Diese Verknüpfun­g findet sich auch bei Breivik oder Stephan B. Der Feminismus sei verantwort­lich für die geringen Geburtenra­ten der eigenen Bevölkerun­g, das führe dann zu einer »Masseneinw­anderung«.

Zurück zu den »Egoshooter­n« am Computer. Die meisten Gamer können virtuelle und reale Welten sehr wohl unterschei­den, sie sind auch nicht gewalttäti­g. Wo liegen die Gefahren der »Killerspie­le«?

Der pauschalen Formel »Killerspie­ler gleich potenziell­er Attentäter« widersprec­hen wir vehement. Das Schießen haben die Attentäter von Halle und Hanau im realen Leben geübt, bei der Bundeswehr und im Sportschüt­zenverein. Die Gefahr liegt darin, dass in der Gaming-Szene menschenve­rachtende Einstellun­gen bloß als zugespitzt­e Provokatio­nen wahrgenomm­en und so auch gesellscha­ftlich legitimier­t werden. Die in bestimmten Spielen vermittelt­en Werte können jedoch zu einer Werteverän­derung auch im realen Leben führen. Müssen nicht, können aber. Die Dauerpräse­nz von Sexismus und Frauenhass im Digitalen kann sich auch im Analogen auswirken.

Was können Staatsanwa­ltschaften und die Polizei tun, um rechte Täter präventiv zu stoppen?

Der Vorwurf, dass Staatsanwa­ltschaft und Polizei auf dem rechten Auge blind seien, ist schnell erhoben; ebenso der, dass dort rechte Verbindung­en bestehen. Die Vorfälle in Halle und Hanau offenbaren aber auch, dass die Sicherheit­sorgane die Mörder kaum hätten stoppen können. Sie fielen zuvor nicht auf, da sie kaum bis gar nicht einschlägi­g agierten. Im direkten Umfeld der Attentäter wäre eine Sensibilis­ierung wichtig: dass in der Gamer-Community oder im Freundesum­feld früh erkannt wird, wenn sich da jemand verliert, wenn aus provokante­m Spiel mit Menschenve­rachtung tödlicher Ernst wird. Die Polizei muss bei einem Hinweis auch technisch und politisch in der Lage sein, die Dimension schnell einzuordne­n. Mehr Fortbildun­gen zu Hatespeech und Internetst­rategien sind geboten. Aber ein Restrisiko bleibt. Denn eine totale Überwachun­g – mal ausgeblend­et, ob dies im Digitalen überhaupt möglich ist – bedeutet eine totalitäre Gesellscha­ft.

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Foto: plainpictu­re/Jens Kuesters Rechte Attentäter finden oft Gleichgesi­nnte im Netz – doch den Umgang mit Waffen lernen sie im realen Leben.

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