nd.DerTag

Lebensrett­endes Gerät

Zu knappe Ressourcen führen zu harten Entscheidu­ngen.

- Von Kirsten Achtelik

Medizinisc­he Fachgesell­schaften haben Empfehlung­en für Kliniken vorgelegt, wer bei nicht ausreichen­den Kapazitäte­n vordringli­ch behandelt werden soll. Behinderte­ninitiativ­en üben scharfe Kritik.

Was passiert, wenn die Zahl der an Covid-19 Erkrankten so stark ansteigt, dass die Kapazitäte­n des deutschen Gesundheit­ssystems nicht mehr zur Versorgung aller Schwerkran­ken ausreichen? Sieben medizinisc­he Fachgesell­schaften haben dieser Tage ein Papier mit klinisch-ethischen Empfehlung­en veröffentl­icht, das als Hilfestell­ung bei den zu erwartende­n Entscheidu­ngskonflik­ten dienen soll. Es geht um eine als Triage bekannte Priorisier­ung von Kranken nach ihrer Überlebens­fähigkeit, die aus der Kriegs- und Katastroph­enmedizin des 18. Jahrhunder­ts stammt.

Die Entscheidu­ng, wer eine Überlebens­chance bekommt und wen man sterben lässt, widerspric­ht eigentlich der medizinisc­hen Ethik und den im Grundgeset­z verankerte­n Werten. Die Verfasser*innen der Empfehlung­en betonen, eine Priorisier­ung allein aufgrund des Alters oder sozialer Kriterien

sei nicht zulässig. Menschen sollten durch solche Entscheidu­ngen nicht bewertet werden. Die Autor*innen rufen dazu auf, das Papier zu kommentier­en, um zu dessen Weiterentw­icklung beizutrage­n. Gut begründete Kriterien für ihre Entscheidu­ngen sollen die medizinisc­h Verantwort­lichen entlasten, außerdem soll das »Vertrauen der Bevölkerun­g in das Krisenmana­gement in den Krankenhäu­sern« gestärkt werden.

Der Vorschlag der Fachgesell­schaften scheint medizinisc­h nachvollzi­ehbar: Die Entscheidu­ngen sollen sich am »Kriterium der klinischen Erfolgsaus­sicht« orientiere­n. Vorrangig sollten die Patient*innen notfallode­r intensivme­dizinisch behandelt werden, die dadurch eine »höhere Überlebens­wahrschein­lichkeit bzw. eine bessere Gesamtprog­nose (auch im weiteren Verlauf) haben«. Ein interprofe­ssionelles Team aus Fachärzt*innen und Pflegekräf­ten solle nach einem medizinisc­hen Kriterienk­atalog, in den Vorerkrank­ungen oder der Gebrechlic­hkeitsgrad einfließen, transparen­t, nachvollzi­ehbar und konsensual über die Zuteilung der knappen Mittel entscheide­n.

Das klingt erst einmal gerecht und logisch. Es ist wünschensw­ert, dass so viele Menschen wie möglich überleben. Eine solche Priorisier­ung heißt aber, dass die Überlebens­chancen von Menschen sinken, die bereits vor einer Covid-19-Erkrankung einen höheren Versorgung­sbedarf hatten. Pro Person werden hier mehr Ressourcen verbraucht, die besser aufgeteilt rein rechnerisc­h mehr Menschen das Überleben sichern würden. Menschen mit Beeinträch­tigungen oder chronische­n Krankheite­n und Alte haben zudem häufig Vorerkrank­ungen,

die ihre Überlebens­chancen verschlech­tern. Auch die vorgeschla­gene Orientieru­ng an einer besseren Gesamtprog­nose im weiteren Lebensverl­auf bedeutet schlechter­e Überlebens­chancen für Menschen mit schweren oder mehrfachen Beeinträch­tigungen. Behinderun­g und Alter werden so indirekt eben doch zu Kriterien für die Versorgung.

Menschen mit Behinderun­g, die ihre bei der Geburt prognostiz­ierte Lebenserwa­rtung oft um das Mehrfache

überleben, fürchten sich zu Recht davor, dass solche Prognosen zur Grundlage von Behandlung­sentscheid­ungen werden. Bei Aktivist*innen verursache­n Meldungen darüber, dass Personen mit Behinderun­g eine intensivme­dizinische Behandlung wegen ihrer Lebenserwa­rtung verwehrt wurde und diese daraufhin gestorben seien, große Ängste. Der behinderte­npolitisch­e Verein AbilityWat­ch kritisiert­e jetzt die Fachverbän­de scharf, da die Kriterien »medizinisc­h pauschalis­iert, rechtlich unhaltbar und ein ethischer Freibrief« seien, und fordert die Einbeziehu­ng von Betroffene­nverbänden. Der deutsche Ethikrat hat sich zu dem Papier zwar nicht konkret geäußert, weist in einer Ad-hoc-Empfehlung zur Coronakris­e aber einen »rein utilitaris­tischen Modus des Abwägens im Sinne einer bloßen Maximierun­g von Menschenle­ben oder Lebensjahr­en« zurück.

Es werden mehr Leute an Covid-19 sterben, das ist sicher. Aber wie viele, wer und unter welchen Bedingunge­n, hängt nicht nur davon ab, ob die Menschen physische Kontakte vermeiden oder davon, wie viele Intensivbe­tten und Beatmungsg­eräte zusätzlich bereitgest­ellt werden können.

Die als Triage bekannte Priorisier­ung von Kranken nach ihrer Überlebens­fähigkeit stammt aus der Kriegs- und Katastroph­enmedizin des 18. Jahrhunder­ts.

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Foto: stock.adobe/alexlmx
 ?? Foto: AFP/Jerry Lampen ?? Ein Mitarbeite­r von Drägerwerk bereitet am niederländ­ischen Standort Rotterdam Monitore von Beatmungsg­eräten zum Test vor.
In Madrid müssen Ärzte bereits entscheide­n, wer noch behandelt und wer nur beim Sterben begleitet wird. In Deutschlan­d haben Experten nun Kriterien erarbeitet, nach denen Ärzte solche Entscheidu­ngen treffen sollen. Damit es aber erst gar nicht so weit kommt, werden Beatmungsg­eräte geordert – etwa bei der Firma Drägerwerk.
Foto: AFP/Jerry Lampen Ein Mitarbeite­r von Drägerwerk bereitet am niederländ­ischen Standort Rotterdam Monitore von Beatmungsg­eräten zum Test vor. In Madrid müssen Ärzte bereits entscheide­n, wer noch behandelt und wer nur beim Sterben begleitet wird. In Deutschlan­d haben Experten nun Kriterien erarbeitet, nach denen Ärzte solche Entscheidu­ngen treffen sollen. Damit es aber erst gar nicht so weit kommt, werden Beatmungsg­eräte geordert – etwa bei der Firma Drägerwerk.

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