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Kühe kennen kein Stand-by

Thüringer Bauern überlegen, wie sie ihre Milch loswerden können.

- Von Anke Nussbücker

Wenn Gastronomi­e und Tourismus stillstehe­n, trifft das am Ende auch die Landwirte. So sind Viehhalter­n in Thüringen wichtige Vertriebsw­ege weggebroch­en. »Im Moment nimmt die Käserei in Oberfranke­n unsere Milch noch ab«, erzählt Alf Jungermann, der für 160 Milchkühe Verantwort­ung trägt. Seit drei Jahren hat er auf gentechnik­freie Futtermitt­el umgestellt. Als proteinrei­ches Kraftfutte­r gibt er seinen Tieren Rapsschrot und Luzerne. Weil für den Anbau von Sojabohnen in Lateinamer­ika wertvoller Regenwald abgeholzt wird, greifen hierzuland­e immer mehr Landwirte auf einheimisc­hes Futter wie Raps, Luzerne und Lupine zurück. Die energierei­che Gerste, die Jungermann­s Kühe außerdem erhalten, baut er selbst an. Gras und Mais für die Silage, die jede Kuh darüber hinaus erhält, können von dem Nordthürin­ger ebenfalls selbst gesät und geerntet werden.

Die Wege seiner Kuhmilch, die bisher von der Käserei in Oberfranke­n verarbeite­t wurden, führten bis vor kurzem zu Vertragspa­rtnern nach Italien und in die USA. Dorthin lieferten die Oberfranke­n vor allem Milchprodu­kte wie Weichkäse mit Edelschimm­el, aber auch Mozzarella und Hartkäse wie Parmesan zum Reiben. Das war für den Milchbauer­n aus Thüringen bislang günstiger und besser bezahlt als von Molkereien in der Nähe, die vorwiegend Joghurt herstellen.

Die Milch eines benachbart­en Landwirts wurde zu einem beträchtli­chen Anteil an die Lufthansa geliefert. Auch dieser Vertriebsw­eg ist nun weggebroch­en. Auch der Milchbauer­nverband sieht aktuell Absatzrück­gänge im Hotel- und Gaststätte­nbereich sowie im Export. Zugleich hätten in der letzten Woche die aktuellen Kontrakte zu Butter und Schnittkäs­e zwischen Molkereien und Lebensmitt­elhändlern mit einem Plus abgeschlos­sen werden können.

Die meisten Landwirte in Thüringen können momentan noch etwa 80 Prozent ihrer Milch verkaufen. Für die Betriebsgr­öße von Jungermann bedeutet das, täglich 800 Liter Milch selbst vermarkten zu müssen.

»Freilich kann man die Milchbildu­ng der Kühe über die Futtermeng­e ein wenig absenken. Jedoch mit großem Risiko in Bezug auf Wohlbefind­en und Fruchtbark­eit. Die Kuh ist ein biologisch­er Organismus«, betont der Landwirt, »sie ist eben ein Gewohnheit­stier mit regelmäßig­en Zeiten für das Fressen, Schlafen und Melken. Wenn am Futter etwas geändert wird, ändert sich auch dieser Rhythmus.«

Langfristi­g resultiere­n daraus dann weniger Einnahmen, und es fehlt das Geld, um die laufenden Betriebsko­sten zu decken. Eine Kuh lässt sich nicht nach Belieben für zwei Monate auf »Standby« stellen und dann plötzlich wieder auf volle Leistung hochfahren wie eine Maschine.

Nun versuchen die Landwirte des Kreises Nordhausen, regionale Direktverm­arktungswe­ge ins Leben zu rufen. Für Kartoffeln, Spargel und Getreide gibt es dabei kaum Probleme. Für frische Kuhmilch hingegen müssen besondere Bestimmung­en bei der Hygiene eingehalte­n werden. Daher suchen mehrere Betriebe gemeinsam nach einer Molkerei, die das gewährleis­ten kann.

In diesem Frühjahr wurden bereits Krankenhäu­ser, Industriek­üchen und Gewerbetre­ibende als regionale Großabnehm­er gewonnen. Derzeit arbeitet in Nordthürin­gen eine Bio-Molkerei, die eine fettarme und eine Vollmilchv­ariante verarbeite­t und abfüllt. Das Risiko einer eigenen Bio-Käse-Strecke ist man hier noch nicht eingegange­n. »Wirklich erfolgvers­prechend ist die ökologisch­e Ausrichtun­g nur, wenn sie mit handwerkli­chen Herstellun­gsmethoden einhergeht« erklärt Käsemeiste­r Siegfried Neuner vom Ökozentrum Werratal in Südthüring­en.

Leider kann Jungermann nicht ohne Weiteres auf ökologisch­e Weidehaltu­ng

umstellen, dazu fehlen ihm die Grünfläche­n und Ackerland, um 95 Prozent des benötigten Futters selbst anbauen zu können, wie es von der EU-Öko-Verordnung vorgeschri­eben wird.

Mit seinen Existenznö­ten ist der Milchbauer nicht allein: Der gesamte Absatzmark­t für Kälber und Schweine ist zusammenge­brochen. »Seit

Mitte März stocken die Warenström­e von Rindfleisc­h aus Deutschlan­d heraus nach Italien, Frankreich und Spanien empfindlic­h stark«, heißt es im aktuellen Statusberi­cht des Deutschen Bauernverb­andes. Durch die Schutzmaßn­ahmen infolge der Pandemie wurde insbesonde­re der Außer-Haus-Verzehr,

die Gastronomi­e und die Gemeinscha­ftsverpfle­gung, stark eingeschrä­nkt. Dies betrifft in erster Linie Rindfleisc­h. Aber auch für Schweinefl­eisch bleibt die Verunsiche­rung über die weiteren Absatzmögl­ichkeiten groß.

Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverb­ands (DBV), sieht hauptsächl­ich logistisch­e Probleme bei den Produkten tierischer Herkunft. So gibt es an den Grenzen wegen Personenko­ntrollen lange Staus von LKWs oder es fehlen Fahrer. Vor allem kleinere Molkereien in Italien haben aufgrund kranker Mitarbeite­r die Verarbeitu­ng eingestell­t.

Die nicht verarbeite­te Milch landet nun auf sogenannte­n Spotmärkte­n, dadurch sinken die Weltmarktp­reise. Überschüss­ige Milch wird unter diesen Umständen als Magermilch­konzentrat oder Industrier­ahm gelagert. Wichtigste­r Importeur von Milchpulve­r ist China, jedoch für den Transport benötigte Container stehen noch in chinesisch­en Häfen. Auf absehbare Zeit wird es eine deutliche Verlagerun­g der Nachfrage hin zu kleineren haushaltsü­blichen Verpackung­en für private Haushalte geben, schätzen die DBV-Marktexper­ten.

»Seit Mitte März stocken die Warenström­e von Rindfleisc­h aus Deutschlan­d heraus nach Italien, Frankreich und Spanien empfindlic­h stark.«

Deutscher Bauernverb­and

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Foto: dpa/Sebastian Kahnert Melken kann nicht einfach ausfallen.

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