nd.DerTag

Neuer Labour-Chef greift Johnson an

Starmer: Britische Regierung hat schwere Fehler gemacht

- Von Johanna Bussemer

London. Der am Sonnabend gewählte Chef der britischen Labour-Partei, Keir Starmer, hat den Druck auf Premiermin­ister Boris Johnson in der Coronaviru­s-Pandemie erhöht. »Es sind schwere Fehler gemacht worden«, schrieb Starmer in der »Sunday Times«. Zu spät habe die konservati­ve Regierung eingestand­en, dass Großbritan­nien bei der Zahl der Tests hinter anderen Ländern hinterherh­inke, so der neue Opposition­schef. Nun müsse das Verspreche­n, täglich 100 000 Tests durchzufüh­ren, rasch eingelöst werden. Vor allem Krankenhau­smitarbeit­er müssten getestet werden. In Großbritan­nien wurden bis Sonntagnac­hmittag mehr als 4900 CoronaTote registrier­t.

Starmer forderte Klarheit über die Pläne der Regierung für eine schrittwei­se Aufhebung der Einschränk­ungen im Land. Bereits jetzt müsse zudem an der Infrastruk­tur gearbeitet werden, um die Bevölkerun­g mit einem Impfstoff zu immunisier­en, sobald dieser verfügbar sei. Er machte auch deutlich, dass er die Krise nicht dafür nutzen will, um politisch zu punkten. »Ich will, dass die Regierung erfolgreic­h ist, um Leben zu retten und den Lebensunte­rhalt zu sichern.«

Damit Labour wieder zur ernsthafte­n Konkurrenz für die Tories wird, muss der Corbyn-Nachfolger neben den Gewerkscha­ften auch die Bewegungen an die Partei binden. Ob das gelingt, ist nicht sicher.

»Wir müssen unsere Bewegung wieder vereinen«, verkündete­n der neu gewählte Chef der Labour-Partei Keir Starmer und seine Stellvertr­eterin Angela Rainer wenige Stunden nach ihrer Wahl am Samstag. Ob dies gelingen wird, ist offen. Möglich ist, dass mit der Wahl Starmers nicht nur die Ära Corbyn endet, sondern auch die der engen Verbindung zwischen Labour und den sozialen Bewegungen in Großbritan­nien.

Diese waren es, die den Umbau Labours vom ultra-sozialdemo­kratischen Projekt unter Tony Blair hin zur größten linksorien­tierten Partei in Europa maßgeblich vorangetri­eben haben. In Großbritan­nien wäre allerdings gerade – in der gefährlich­en Mischung aus Corona-Pandemie und Boris Johnsons Schlagwort­politik – nichts wichtiger als eine starke Opposition, die die Interessen der Vielen vertreten kann und insbesonde­re die Bedürfniss­e der Armen auf die Agenda setzt.

Am Wahlergebn­is für die Nachfolge von Jeremy Corbyn überrascht­e nur eines: die Eindeutigk­eit. Umfragen unter Labour-Mitglieder­n hatten den Gewinner Keir Starmer bereits seit längeren eindeutig vor seinen Konkurrent­innen Rebecca Long-Bailey und Lisa Nandy gesehen. Dass Starmer aber bereits im ersten Wahlgang mit 56,2 Prozent der abgegebene­n Stimmen eine absolute Mehrheit erreichen würde, war nicht absehbar gewesen. Mit der Entscheidu­ng der Mehrheit der Labour-Mitglieder und -Unterstütz­er endet auch die Ära Corbyn. Obwohl Keir Starmer und seine Unterstütz­erinnen als pragmatisc­hlinks innerhalb der Labour-Partei charakteri­siert werden können, ist klar, dass Starmer nicht in allen Bereichen an die Politik seines Vorgängers anknüpfen wird. So hat er bereits angekündig­t, mit der Regierung in der Coronakris­e zusammenzu­arbeiten und sich den Antisemiti­smus-Problemen von Labour zu stellen.

Favorisier­te Kandidatin von Corbyns Führungsri­ege war Rebecca Long-Bailey. Noch bis Ende Januar konnte die sich, wie auch Lisa Nandy, Chancen im Rennen um den Labour-Vorsitz ausrechnen. Long-Bailey hatte es in den vergangene­n Jahren geschafft, sich thematisch als Mitglied von Corbyns Schattenka­binett für den Bereich Wirtschaft, Industrie und Energie gut aufzustell­en. Es gelang ihr, das Projekt »Green New Deal« auf dem Labour-Parteitag in

Brighton mit Billigung des Gewerkscha­ftsflügels zentral im Parteiprog­ramm zu verankern.

Lisa Nandy erreichte bei den Wahlen im Dezember 2019 einen Achtungser­folg, als sie ihren Wahlkreis Wigan verteidige­n konnte, als drum herum die sogenannte »Rote Wand« fiel. Viele der seit Jahrzehnte­n für Labour als sicher geltenden Wahlkreise gingen damals an die Tories verloren. Mit den Ergebnisse­n von 27,6 Prozent (Long-Bailey) und 16,2 Prozent (Nandy) gelang es jedoch leider wieder keiner Frau, an die Spitze der Labour-Partei zu kommen. Immerhin konnte sich mit Angela Rayner eine Frau als stellvertr­etende Parteivors­itzende durchsetze­n. Sie erhielt dafür 52,6 Prozent im dritten Wahlgang.

Dave Prentis, Generalsek­retär von Unsion, der mit über 1,4 Millionen Mitglieder­n größten Gewerkscha­ft des Landes, lobt Rayner. Deren Aufstieg zur stellvertr­etenden Vorsitzend­en sei »ein enormer Moment für Unison und die Partei. Angela ist wirklich eine von Unseren, eine Pflegekraf­t, die Gewerkscha­fterin wurde und dann Parlaments­abgeordnet­e.«

Weniger euphorisch reagierten die beiden, große soziale Bewegungen repräsenti­erenden Gruppen Momentum und The World Transforme­d (TWT) auf das neue Führungsdu­o. Die 40 000 Mitglieder starke Bewegung Momentum war rund um die

Wahlen 2019 und die daraus resultiere­nden Vorsitzend­enwahlen nach zahlreiche­n internen Rangeleien um die demokratis­che Verfassthe­it der Organisati­on in eine Richtungsa­useinander­setzung gerutscht.

Das Netzwerk TWT nutzte den Tag der Wahl vor allem, um sich enthusiast­isch von seinem Wegbereite­r Corbyn zu verabschie­den: »Jeremy Corbyns Vorsitz hat Tausende in die Politik gebracht und einen Platz für die Linke eröffnet, in und außerhalb der Partei, aber mit radikalen Ideen. Das wird unsere Flugbahn für die kommenden Jahre schärfen. Danke, Jeremy Corbyn!« Beide Bündnisse werden sich neu orientiere­n müssen, da ihre Organisati­onen maßgeblich rund um den Hype um Corbyn nach dessen Antritt entstanden.

Wichtigste­r Verbündete­r der Bewegungen war oft jedoch gar nicht Corbyn selbst, sondern der erfolgreic­he Architekt des Bündnisses von Partei, Bewegungen und Gewerkscha­ften, der Schattenka­nzler John McDonnell. Er wird in seiner Funktion als Vertrauens­person vieler Lager und genialer Stichwortg­eber für die Programme der Partei seit 2017 unter Umständen noch mehr fehlen als Corbyn selbst.

Das Lager um Keir Starmer und Angela Rayner wird nun versuchen müssen, auf wichtige Gruppen innerhalb der Partei und in ihrem Umfeld zuzugehen. Das sind neben bewegungso­rientierte­n Bündnissen vor allem die Abgeordnet­en aus Nordenglan­d, die jene Wahlkreise repräsenti­eren, in denen sich eine Mehrheit für den Brexit ausgesproc­hen hatte. Sie haben stets für ein Verständni­s dieser Position geworben und damit auch eine eindeutige ProEU-Position der Partei verhindert.

Keir Starmer hat sein Handeln als Brexit-Schattenmi­nister im Kabinett Corbyn einerseits viel Respekt eingebrach­t, da er durch kluge juristisch­e Schachzüge einige Manöver Theresa Mays verhindern konnte. Anderersei­ts stand Starmer auch wie kaum ein anderer in Corbyns Kabinett für einen EU-freundlich­en Kurs und hat sich stets für ein zweites Referendum eingesetzt.

Starmer und Rayner müssen nun rund um die Coronakris­e schnell und sichtbar das Profil von Labour schärfen und dabei versuchen, neben den Gewerkscha­ften auch die Bewegungen zu repräsenti­eren. Dazu sollten sie versuchen, die Entscheidu­ngen der neuen Führung transparen­ter zu kommunizie­ren. Wenn das gelingt, kann die akute Krisensitu­ation den angekündig­ten Einigungsp­rozess unterstütz­en. Dann könnte Labour den Handschuh auch wieder in den Ring werfen und erhobenen Hauptes in die nächsten Wahlen ziehen.

Die Autorin ist Leiterin des Europarefe­rates der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

 ?? Foto: dpa/Stefan Rousseau ?? Keir Starmer tritt als neuer Labour-Chef das schwierige Erbe Jeremy Corbyns an.
Foto: dpa/Stefan Rousseau Keir Starmer tritt als neuer Labour-Chef das schwierige Erbe Jeremy Corbyns an.

Newspapers in German

Newspapers from Germany