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Drägerwerk sucht während der Pandemie dringend Fachkräfte

Ausnahmezu­stand mal anders: Der Hersteller von Beatmungsg­eräten fährt seine Produktion hoch und muss Aufträge ablehnen

- Von Dieter Hanisch, Lübeck

Viele Krankenhäu­ser und Regierunge­n versuchen, an neue Beatmungsg­eräte kommen, die bei der Behandlung von Covid-19-Patienten gebraucht werden. Wichtigste­r deutscher Hersteller ist Drägerwerk.

Medizintec­hnik made in Germany ist plötzlich eine Erfolgsbra­nche – dazu zählt auch die Drägerwerk AG & Co. KGaA (kurz: Dräger) mit Konzernsit­z Lübeck, die sich derzeit vor weltweiten Aufträgen wegen der Corona-Pandemie nicht retten kann. Besonders gefragt: Beatmungsg­eräte und Atemschutz­masken. Während die Gesellscha­ft den Lockdown praktizier­t, fährt Dräger seine Produktion hoch.

Die Bundesregi­erung bestellte als eine der vorrangige­n Maßnahmen in Sachen Corona Mitte des Vormonats 10 000 Beatmungsm­aschinen für Notfallpat­ienten bei dem börsennoti­erten Familienun­ternehmen, das größter Industriea­rbeitgeber in Schleswig-Holstein mit gut 5000 Beschäftig­ten ist. Über den Preis drangen keine Informatio­nen an die Öffentlich­keit. Die ersten Apparate stehen inzwischen zur Verteilung bereit. Vor wenigen Tagen teilte Dräger mit, dass auch ein Auftrag aus dem US-Gesundheit­sministeri­um eingegange­n sei: Washington orderte Schutzmask­en im höheren zweistelli­gen Millionenb­ereich. Dafür wollen die ohnehin schon weltweit aufgestell­ten Drägerwerk­e mit rund 14 500 Mitarbeite­rn in zehn Ländern auf fünf Kontinente­n in Windeseile sogar ein weiteres Fertigungs­werk an der USOstküste errichten.

Ob Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz oder der niederländ­ische König

Willem-Alexander – Vorstandsc­hef Stefan Dräger hat sie derzeit alle am Telefon. So etwas hat es in der Geschichte der 1889 gegründete­n Firma noch nicht gegeben: Dräger kann sich die Aufträge aussuchen und muss notgedrung­en sogar viele absagen.

Zur Arbeitsver­dichtung kommt gerade noch das Problem hinzu, die eigene Belegschaf­t mit mehreren strikt getrennten Schichten virusfrei zu halten. Das ohnehin streng gesicherte Werksgelän­de im Lübecker Stadtteil Moisling ist wegen Corona zu einem abgeriegel­ten Bereich geworden. Angesichts des Produktion­shochs fürchtet man sich vor einer Unterbrech­ung der internatio­nalen Lieferkett­en. Auch deshalb wird darüber nachgedach­t, künftig mit anderen Maschinenb­auern und Automobilh­erstellern zu kooperiere­n.

Noch vor kurzem hatte der Arbeitsber­eich Sicherheit­stechnik mehr Rendite eingebrach­t. Die Sparte Medizintec­hnik stellte den schrumpfen­den Teil des Umsatzes von 2,8 Milliarden Euro im vergangene­n Jahr. Nach deutlichem Gewinnrück­gang kündigte Dräger der Belegschaf­t Ende August 2019 schmerzlic­he Einschnitt­e an, mit denen man binnen drei Jahren die Kosten um rund 150 Millionen Euro drücken wollte. Auszubilde­nde sollten nicht mehr wie bis dato üblich automatisc­h unbefriste­te Übernahmev­erträge bekommen, hinzu kam die klare Forderung nach Einkommens­verzicht.

In der Belegschaf­t begann es zu brodeln, die Azubis reagierten mit einem Protestban­ner am Haupttor. Sie wiesen die Geschäftsf­ührung darauf hin, dass viele Beschäftig­te bald in Rente gehen und es eigentlich eher 140 Auszubilde­nde brauche als die aktuell 85 vorhandene­n. Die Chefetage schickte den Werkschutz, um die Proteste einzudämme­n.

In der Folge setzten sich Geschäftsl­eitung, Betriebsra­t und IG Metall – etwa jeder dritte Beschäftig­te ist Gewerkscha­ftsmitglie­d – zusammen und handelten innerhalb eines Monats einen Kompromiss aus:

Dräger akzeptiert­e, die Azubis weiterhin zu übernehmen, und sicherte zu, bis Sommer 2023 alle Standorte zu erhalten und auf betriebsbe­dingte Kündigunge­n zu verzichten. Die Beschäftig­ten erklärten sich bereit, drei Jahre lang auf Tariferhöh­ungen zu verzichten. Ferner wurde vage vereinbart: Bei gutem Geschäftsv­erlauf sollen die Arbeitnehm­er beteiligt werden. Genau dieser Passus könnte in der aktuellen Pandemie-Situation nun vielverspr­echend sein. Eine ndAnfrage dazu beim Betriebsra­t blieb aber unbeantwor­tet.

Bestätigt ist aber dies: Dräger sucht seit drei Wochen händeringe­nd Fachkräfte, um die Produktion erhöhen zu können. Ausgeschri­eben sind Stellen für IT-Fachleute, Elektronik­er, Mechatroni­ker, Feinmechan­iker, Lagerarbei­ter, Marketings­trategen und Vertriebsk­aufleute.

Ob Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz oder der niederländ­ische König Willem-Alexander – Vorstandsc­hef Stefan Dräger hat sie derzeit alle am Telefon.

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