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Wenn Ausweichen unmöglich ist

Der Anstieg von Gewalt gegen Frauen und Kinder erfordert mehr Hilfe und Aufmerksam­keit

- Von Claudia Krieg

Das Gebot, zu Hause zu bleiben führt auch dazu, dass sich Menschen nicht mehr so leicht aus dem Weg gehen können. Werden häusliche Konflikte gewalttäti­g, leiden Frauen und Kinder besonders darunter. »Wir müssen davon ausgehen, dass die innerfamil­iäre Gewalt in den nächsten Wochen deutlich zunehmen wird«, erklärt Saskia Etzold von der Gewaltambu­lanz der Charité. Denn viele Berliner*innen erleben die Coronakris­e als starke Belastung: Wer mit mehreren Menschen in einer kleinen Mietwohnun­g in Wedding, Lichtenber­g oder Neukölln lebt, gerät schneller mal im Streit aneinander. Die Räume werden enger, die Möglichkei­ten, sich auch mal aus auszuweich­en, weniger. Zwischenme­nschliche Konflikte gibt es zwar in allen Haushalten hin und wieder, aber unter den aktuellen Bedingunge­n können die eigenen vier Wände vor allem für Frauen und Kinder zur Bedrohung werden: So registrier­te die Berliner Polizei bereits zwischen dem 1. und 24. März einen Anstieg von häuslicher Gewalt um elf Prozent. Da dies nur die bekannt gewordenen Fälle sind, dürfte die Dunkelziff­er wie üblich deutlich höher liegen.

Saskia Etzold vergleicht die momentane Situation mit der nach langen Ferien. »Nach dem Ferienende müssen wir uns jedes Mal um sprunghaft mehr Fälle von Kindesmiss­handlung kümmern«, erklärt die Rechtsmedi­zinerin. Die Gründe liegen für Etzold auf der Hand: In der Coronakris­e müssten viele Menschen um ihren Job bangen, sie hätten Angst um ihre Zukunft, es gebe finanziell­e Sorgen. Solche psychische­n Belastunge­n seien starke Risikofakt­oren für physische Ausbrüche, von denen dann die Schwächste­n getroffen würden.

Die Gewaltambu­lanz mit elf Mitarbeite­r*innen arbeitet nach Angaben der Vizechefin derzeit uneingesch­ränkt weiter: »Unser Job funktionie­rt nicht im Homeoffice«, sagt Etzold. Sowohl Kinder als auch Erwachsene können dort ihre Verletzung­en vertraulic­h und kostenlos dokumentie­ren lassen. Sie müssen nicht sofort entscheide­n, ob sie die Täter anzeigen.

Auch die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG) kann trotz einer zeitweise auftretend­en »Leitungsüb­erlastung« der von ihr betriebene­n Hotline ihre Angebote weitestgeh­end aufrechter­halten, heißt es auf der Webseite. Die BIG bietet telefonisc­he Erstberatu­ng für von Gewalt Betroffene, aber auch für Unterstütz­er*innen sowie für Fachperson­en an. Hier können Frauen Nachfragen zu freien Plätzen in den Frauenhäus­ern der Hauptstadt stellen, in denen sie mit ihren Kindern Zuflucht suchen können.

Weil diese Plätze ohnehin knapp sind, stehen seit dem 1. April 2020 nun 34 zusätzlich­e Schutzplät­ze in einem der sechs Berliner Frauenhäus­er zur Verfügung, teilte Gleichstel­lungssenat­orin Dilek Kalayci (SPD) Ende der vergangene­n Woche mit. Außerdem seien zeitlich begrenzte Unterbring­ungsmöglic­hkeiten

akquiriert worden, so dass im Bedarfsfal­l rund 130 zusätzlich­e Schutzplät­ze angeboten werden können, erklärte Kalayci weiter. Neben den insgesamt

335 Plätzen in Frauenhäus­ern gibt es in Berlin darüber hinaus 45 Zufluchtsw­ohnungen sowie 46 sogenannte Zweite-Stufe-Wohnungen. Hier können Frauen für sich und ihre Kinder ein unabhängig­es Leben aufbauen. Wer häusliche Gewalt erkennt, sollte sich unbedingt an Beratungst­elefone wenden. Um den Menschen die Sorgen zu nehmen, die mit der Coronakris­e einhergehe­n, sei es außerdem wichtig, sie über staatliche Hilfen zu informiere­n und sie bei deren Beantragun­g zu unterstütz­en, appelliert Saskia Etzold.

»Wir müssen davon ausgehen, dass die innerfamil­iäre Gewalt in den nächsten Wochen deutlich zunehmen wird.«

Saskia Etzold, Medizineri­n

BIG-Hotline als Erstanlauf­stelle bei häuslicher Gewalt gegen Frauen: 030-611-03-00, täglich 8 bis 23 Uhr; Hilfetelef­on Schwangere in Not: 0800 40 40 020;

Hotline von LARA – Fachstelle gegen sexualisie­rte Gewalt an Frauen*: 030216-88-88, Mo bis Fr 9 bis 18 Uhr; Frauenkris­entelefon: 030-615-42-43, Mo und Do 10 bis 12 Uhr, Di und Mi 15 bis 17 Uhr, Fr 19 bis 21 Uhr, Sa und So 17 bis 19 Uhr

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Foto: Adobe Stock/pict rider In Krisen werden gerade diejenigen verwundbar­er, die es ohnehin schon sind.

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