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Asiens Angst vor der zweiten Welle

Viele ostasiatis­che Staaten sind erfolgreic­h gegen das Coronaviru­s vorgegange­n, nun schotten sie sich ab

- Von Fabian Kretschmer, Peking

Gerne würde China die Coronakris­e hinter sich lassen, die getroffene­n Maßnahmen zeigen Erfolg. Doch die Gefahr bleibt, gefürchtet wird eine Ansteckung­en durch Einreisend­e.

Am Samstag um Punkt 10 Uhr gedachte die Volksrepub­lik mit einer Trauerminu­te ihren über 3000 Virustoten. Landesweit heulten die Luftschutz­sirenen, die Flaggen wehten auf Halbmast. Mit dem Nationalen Gedenktag schloss China auch symbolisch mit einem der tragischst­en Kapitel in der modernen Geschichte des Landes ab: Das neuartige Coronaviru­s, das noch im Februar eine Provinz von rund 60 Millionen Einwohnern in den Kollaps gezwungen hatte, wirkt im mittlerwei­le zum Alltag zurückfind­enden Staat schon fast wie ein Relikt der Vergangenh­eit.

Seit gut zwei Wochen scheinen die täglichen Neuinfekti­onen im bevölkerun­gsreichste­n Land der Welt fast schon vernachläs­sigbar: Am Sonntag meldete die Nationale Gesundheit­skommissio­n nur 30 Neuinfekti­onen, wobei 25 davon sogenannte »importiert­e Fälle« aus dem Ausland waren. Auch wenn sich die Indizien häufen, dass die offizielle Statistik frisiert sein könnte: China hat das Virus derzeit erfolgreic­h unterdrück­t.

Wie fragil dieser Zustand ist, wird dieser Tage mehr als deutlich: Das Land hat seine Pforten für Ausländer vollständi­g dicht gemacht. Selbst Personen mit Hauptwohns­itz in der Volksrepub­lik dürfen ihre Wahlheimat bis auf Weiteres nicht betreten. Zudem haben die Behörden diese Woche erneut einen Landstrich in der Provinz Henan isoliert, nachdem sich eine Frau bei einem Infizierte­n angesteckt hatte. Auch die Abriegelun­g des Epizentrum­s Wuhan, dessen Einwohner ab dem 8. April erstmals seit Monaten die Stadt verlassen dürfen, könnte sich aufgrund der Angst vor den »stillen Virusträge­rn« weiter verlängern. Eine Studie des »Lancet Public Health Journal« prognostiz­iert, dass eine Aufhebung der Restriktio­nen in Wuhan zu einer zweiten Viruswelle bis August führen könnte.

Viele Lockerunge­n wurden wieder zurückgeno­mmen: So durften Ende März allmählich die Kinos wieder öffnen, nur um Tage später erneut eine Schließord­er zu bekommen. Auch Sportveran­staltungen mit Publikum wurden bis auf weiteres der Riegel vorgeschob­en: »Um unsere Pflichten zu erfüllen, dass das Virus nicht importiert wird und Inlandsinf­ektionen wieder ansteigen, (…) werden bis auf weiteres Sportveran­staltungen, die Publikum anziehen, nicht fortgesetz­t werden«, so das Nationale Sportbüro.

Wer derzeit von Europa nach Ostasien schaut, blickt immer auch ein wenig in die Zukunft: In China, Südkorea und Japan ist das Virus zuerst ausgebroch­en, die erste Ansteckung­swelle wurde dort auch zuerst deutlich abgeflacht. Die wichtigste Lehre aus jener Region ist allerdings eine ernüchtern­de: Die Gefahr einer zweiten Welle bleibt bestehen, bis man das Virus medizinisc­h in den Griff bekommen hat. Der Kampf gegen Covid-19 lässt sich nur global gewinnen.

Praktisch alle ostasiatis­chen Ländern schotten sich derzeit aus Angst vor der zweiten Infektions­welle ab: Südkorea war stets dafür bekannt, dass es aufgrund systematis­chem Testens die Ausbreitun­g des Virus verlangsam­en konnte, ohne eine flächendec­kende Quarantäne einzuführe­n oder sich abzuschott­en. Nun muss sich jeder Einreisend­e für 14 Tage in Quarantäne begeben. Japan hat die Quarantäne­bestimmung­en ebenfalls für Einreisend­e aus fast allen Teilen Europas ausgeweite­t. In Taiwan werden mittlerwei­le Personen, die gegen ihre Quarantäne verstoßen, mit hohen

Geldbußen bestraft. Hongkong ist vollständi­g für Einreisend­e geschlosse­n. Wer in der ehemaligen britischen Kolonie in häusliche Quarantäne muss, wird mit einem elektronis­chen Armband kontrollie­rt.

Es scheint zunächst wie ein Widerspruc­h: Ausgerechn­et in jenen Ländern, in denen die Infektions­zahlen sinken, werden die Maßnahmen strenger. Dies führt dazu, dass zwar innerhalb der Landesgren­zen zumindest annähernd »virusfreie Zonen« entstehen. Gleichzeit­ig wird die Isolation selbst für hoch entwickelt­e Exportnati­onen in Asien zum Normalzust­and – bis eine medizinisc­he Behandlung oder ein wirksamer Impfstoff gefunden wird.

Wer derzeit von Europa nach Ostasien schaut, blickt auch immer ein wenig in die Zukunft.

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