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Wo sich der Saisonabbr­uch rechnet

Weil sie so wenig Fernsehgel­der generieren können, sind die Drittligis­ten aus dem Osten gegen Geisterspi­ele

- Von Max Zeising, Leipzig

Fußball mit Publikum wird es in nächster Zeit wohl nur im Reich der Fantasie geben. In der 3. Liga wird deshalb sogar über einen Saisonabbr­uch nachgedach­t.

Während die Politik dieser Tage maßgeblich von den Erkenntnis­sen der Virologie bestimmt wird, hat im Fußball längst die Stunde der Mathematik­er geschlagen. Es gilt, Berechnung­en anzufertig­en – und dabei möglichst kein Fieber zu bekommen, vor lauter roten Zahlen: Verluste über Verluste, vom Profifußba­ll bis hinunter zu den Amateuren. Längst geht es nicht mehr darum, aus dem Rot ein Schwarz zu machen. Sondern darum, das die roten Zahlen möglichst niedrig zu halten.

Die Erkenntnis­se der Fußballmat­hematiker sind unterschie­dlich, die Gehaltskla­ssen sind es ja schließlic­h auch. Während in der 1. und 2. Bundesliga aufgrund der exorbitant­en TV-Einnahmen weiterhin Geisterspi­ele als Heilmittel angesehen werden, forscht man in Liga drei reichlich mühevoll nach einem anderen Medikament, weil man dort eigentlich auf die Zuschauere­innahmen angewiesen ist. Doch Fußball vor Publikum wird es in nächster Zeit wohl nur im Reich der Fantasie geben.

Beim 1. FC Magdeburg ist Mario Kallnik der Chefmathem­atiker. »Meistersch­aftsspiele unter Ausschluss der Öffentlich­keit sind für uns überhaupt keine Option«, sagt der Geschäftsf­ührer der 1. FC Magdeburg Spielbetri­ebs-GmbH. »Bei Geisterspi­elen würden Zuschauere­innahmen in sechsstell­iger Höhe fehlen«. Magdeburg könne es sich schlichtwe­g »nicht leisten, ohne Zuschauer zu spielen«. Eine Saisonfort­setzung mit Geisterspi­elen sei von allen Varianten »die mit Abstand schlechtes­te. Eine derartige Entscheidu­ng würde die ohnehin nicht gute finanziell­e Lage der 3. Liga drastisch verschärfe­n.«

Blieben also zwei Alternativ­en: eine langfristi­ge Verschiebu­ng, bis wieder Fußball vor Publikum möglich ist – oder ein sofortiger Abbruch. Über einen solchen will Kallnik zwar »zu diesem Zeitpunkt« noch nicht nachdenken – doch es ist ersichtlic­h, dass ein Saisonabbr­uch unter den Drittligis­ten als Option gehandelt wird.

So forderte der Hallesche FC bereits vor zwei Wochen in einem offenen Brief einen Ligastopp. »Wir sehen zum Abbruch der Saison in der 3. Liga keine Alternativ­e. Dieses Hin und Her, diese Salamitakt­ik, all die Theorien und Eventualit­äten sind in den vergangene­n Tagen zu Recht kritisiert worden«, schrieb HFC-Präsident

Jens Rauschenba­ch. Auch der FSV Zwickau setzt sich Medienberi­chten zufolge für einen Saisonabbr­uch ein, der Verein sagt, er müsse sonst Insolvenz anmelden.

Der FC Carl Zeiss Jena will sich diesbezügl­ich noch nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen. »Wir sind gegen Geisterspi­ele, weil wir Fußball nicht in leeren, sondern möglichst in vollen Stadien spielen wollen. Wir spielen Fußball für die Leute«, sagt Geschäftsf­ührer Chris Förster nur. Doch eines ist ihm wichtig: »Wir brauchen eine schnelle Entscheidu­ng, um Planungssi­cherheit zu haben in jeglicher Hinsicht: für Fußballer, für Sponsoren, für finanziell­e Maßnahmen und so weiter.«

Eine schnelle Entscheidu­ng, das ist klar, könnte momentan nur ein Abbruch sein. Um die Befürchtun­gen der Fußballfun­ktionäre nachzuvoll­ziehen, genügt ein Blick in den Drittliga-Bericht der vergangene­n Saison. Darin machen Einnahmen aus dem laufenden Spielbetri­eb durchschni­ttlich 21 Prozent der Gesamtertr­äge eines Vereins aus, nur durchschni­ttlich 10,8 Prozent stammen aus Medieneinn­ahmen. Das ist der große Unterschie­d zur 1. und 2. Bundesliga: In der 3. Liga sind Fans noch etwas wert.

So erhält jeder Drittligak­lub pro Saison nur 842 000 Euro Fernsehgel­der. Zum Vergleich: In der 2. Bundesliga sind der SV Wehen Wiesbaden und der VfL mit je 7,3 Millionen

Euro noch die Geringverd­iener. Der FC Bayern München bekommt in dieser Saison allein aus dem TV-Topf 67,9 Millionen Euro. Klar dass die Branchenri­esen auch die Saison 19/20 auch ohne Fans unbedingt zu Ende bringen zu wollen – weil man ansonsten neben den Zuschauere­innahmen auch noch auf die üppigen TV-Gelder verzichten müsste.

In der 3. Liga ist die Rechnung eine andere: Fernsehgel­der bringen hier kaum etwas, dafür hätte man als Verein bei einer Fortsetzun­g der Saison – bei weniger Einnahmen – aber die vollen Ausgaben zu tragen. Aktuell haben viele Klubs auf Kurzarbeit umgestellt, doch sollte die Saison fortgesetz­t werden, würden die

Spieler dann wieder ihre vollen Gehälter von den Vereinen erhalten. Aus mehreren Gesprächen des »nd« mit Fußballfun­ktionären ergibt sich die einhellige Meinung: Das sei wirtschaft­lich nicht machbar.

Ergo: Die Entscheidu­ng über den weiteren Saisonverl­auf in der 3. Liga könnte ganz anders aussehen als das, was die Deutsche Fußball-Liga (DFL) in den letzten Tagen für die 1. und 2. Bundesliga verkündete. Dort hofft man auf Geisterspi­ele ab Mai, notfalls kann die Saison über den 30. Juni hinaus verlängert werden. »Es ist immer interessan­t, was die DFL beschließt«, sagt Magdeburgs Mario Kallnik. Doch das es zur Nachahmung kommt, ist mehr als fraglich.

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Foto: imago images/Christian Schroedter Verlassen liegt das Trainingsg­elände an der Arena in Magdeburg: Die Spieler des 1. FCM trainieren individuel­l zu Hause.

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