nd.DerTag

Selbstbest­immt

Eine Kooperativ­e afrikanisc­her Migranten nahe Rom.

- Von Giacomo Sini

Nahe der italienisc­hen Hauptstadt Rom betreiben frühere Erntehelfe­r eine landwirtsc­haftliche Kooperativ­e. Auch in der Coronakris­e versorgt sie ihre Abnehmer weiter mit Gemüse und Joghurt.

Ismail richtet sich auf, schaut zum Kollegen neben ihm und scherzt: »Lorenzo, tut dein Rücken schon vom nur Herumstehe­n weh?« Dann entfernt er mit dem Messer die langen Blätter eines Blumenkohl­s und legt ihn ins Gemüsegitt­er. Lachend heben Lorenzo und Cheikh die Kisten an. Gemeinsam gehen sie zum Traktor. Obwohl es erst Februar ist, spürt man die Hitze der Sonne. Wind ist aufgekomme­n und hat die wenigen Wolken weggeweht. Die Ernte ist beendet. Nun gilt es, den Kohl und den auf anderen Feldern geernteten Salat und Spinat zu waschen, die Pakete vorzuberei­ten und den Lieferwage­n zu beladen.

Mittlerwei­le hat die Corona-Epidemie Italien erreicht. »Wir arbeiten ohne Unterbrech­ung. Wir liefern etwas, was die Menschen brauchen, das ist uns wichtig«, sagt Cheikh.

Die drei gehören zu »Barikama«, einer von afrikanisc­hen Einwandere­rn gegründete­n Genossensc­haft. Viele von ihnen hatten am Aufstand im süditalien­ischen Rosarno im Januar 2010 teilgenomm­en. Damals protestier­ten Hunderte afrikanisc­her Arbeiter auf den dortigen Zitrusplan­tagen, nachdem einer von ihnen bei einem rassistisc­hen Angriff schwer verletzt worden war. Die Revolte machte die skandalöse­n Arbeits- und Lebensbedi­ngungen der eingewande­rten Arbeiter auf den italienisc­hen Äckern sichtbar. Diese sammelten so

Erfahrunge­n mit gegenseiti­ger Hilfe und dem Aufbau von Netzwerken. Sie beschlosse­n ein Projekt zu starten, das ihnen ökonomisch­e Unabhängig­keit ermögliche­n sollte.

Sozial orientiert

Heute produziert die Kooperativ­e am Ufer des Lago di Martignano nahe Rom neben Gemüse vor allem Joghurt. »Barikama« ist zugleich ein soziales Projekt, das jungen Italienern mit Asperger-Syndrom Praktika und Arbeitsver­träge bietet. Auch der Name der Genossensc­haft steht für einen Anspruch: »Barikama» bedeutet in der westafrika­nischen Sprache Bambara eine Art von Stärke, die am treffendst­en mit »Widerstand« übersetzt wird.

Sitz und Lager der Kooperativ­e befinden sich in Roms Stadtteil Pigneto, einem historisch­en Arbeitervi­ertel. Um sieben Uhr morgens, der Himmel klart allmählich auf, betritt hier Modibo eine Eckbar und grüßt die Anwesenden. »Probieren Sie das mit Äpfeln«, empfiehlt der Wirt und zeigt auf die Croissants. Modibo, 32 Jahre alt, kam 2008 aus Mali in Lampedusa an. »Die Nachfrage ist gestiegen, nachdem die Leute nicht mehr nach draußen gehen können«, sagt er. »Wir haben jetzt doppelt so viel zu tun.« Sie seien vorsichtig und glückliche­rweise sei bisher keiner seiner Kollegen an Covid-19 erkrankt, berichtet Modibo.

Wie jeden Morgen treffen sie sich auch heute im Lager, um den Lieferwage­n zu beladen und die Arbeit einzuteile­n. Zur Feldarbeit kommen Auslieferu­ng und Verkauf auf lokalen Märkten. Einer davon ist der Triester Markt in der Via Chiana. Wegen des Lockdowns werden dort derzeit immer nur wenige Personen zur gleichen Zeit eingelasse­n. »Barikama« hat hier einen eigenen Stand, den sie reihum betreuen. Heute ist der 31-jährige Tony dran. Vor vier Jahren kam der frühere Maurer aus Nigeria nach Italien. Mehrere Monate lang pflückte er in Foggia in Apulien Tomaten. »Für jede gefüllte 350-Kilo-Kiste gab es vier Euro«, beschreibt er die Arbeitshet­ze. Er ging nach Rom, wo er zu »Barikama« stieß. Tony unterbrich­t seine Erzählung. Lächelnd bedient er einen Kunden.

Bescheiden­er Anfang

Cheikh sitzt heute am Steuer des Lieferwage­ns. »Als wir aus Rosarno in Rom ankamen, lebten wir zunächst in besetzten Häusern«, berichtet er. »Wir gingen zu Demonstrat­ionen und forderten Papiere.« Reguläre Arbeit konnten sie nicht finden. Alles habe im eXSnia, einem selbstverw­alteten Sozialen Zentrum von Hausbesetz­ern an der Via Prenestina begonnen, als jemand vorschlug, Joghurt zu produziere­n.

»Zuerst machten wir Joghurt mit Töpfen und Pfannen, aber 2014 gründeten wir eine Genossensc­haft. Am Anfang seien dabei pro Person nur 5 bis 10 Euro pro Tag herausgesp­rungen. »Damit konnten wir immerhin zu Hause anrufen«, sagt Cheikh. Auf der Suche nach einem geeigneten Ort für die Produktion fanden sie das Casale di Martignano. Mit den Erben des Hofes schlossen sie eine Vereinbaru­ng über die Nutzung von Molkerei und Maschinen sowie die Pachtung von Agrarland. Heute bewirtscha­ftet »Barikama« 6 Hektar Gemüsefeld­er. In der Woche produziert sie bis zu 200 Liter Joghurt.

Der 34-jährige Cheikh kommt aus Senegal, war Fußballspi­eler und studierte an der Universitä­t Biologie. 2007 traf er in Italien ein und arbeitete zunächst auf Gütern in Foggia und Rosarno. »Ich schaute mich um und begann zu rechnen. In Rosarno arbeiteten mit mir 200 bis 300 Personen mindestens einen Monat lang ohne Vertrag. Da geht es um viel Geld. Das kann unmöglich niemand bemerkt haben.« Cheikh kann nicht verstehen, dass viele Italiener auf Leute wie Matteo Salvini von der rassistisc­hen Lega hören. Die Leute sollten sich besser fragen, warum es Migration überhaupt gibt, findet Cheikh. »Ich wäre lieber in meiner Heimat bei meiner Familie geblieben«, sagt er und fügt hinzu: »Diejenigen, die hier die Menschen ausbeuten, sind die gleichen, die sie in Afrika ausbeuten. Nur ihre Gesichter unterschei­den sich.«

Fruchtbare­r Boden

Die grünen Bohnen blühen bereits. Ein paar trockene Schläge mit dem Kopf der kleinen Hacke, Holz gegen Holz, und der Pfahl sitzt. Aboubakar verlegt gerade gemeinsam mit Saydun Tropfbewäs­serungssch­läuche. »Das ist eine afrikanisc­he Hacke. Ich habe für jede Art von Arbeit eine eigene«, erläutert Aboubakar. Dann erzählt er, dass »Barikama« zunächst nicht in der Lage war, die gesamten sechs Hektar Land zu bestellen. Doch dann gelang es ihnen mit Hilfe eines Vereins, einen Traktor zu kaufen. »Auch in Mali habe ich seit meiner Kindheit auf den Feldern gearbeitet, aber dort bauen wir Baumwolle, Mais und Reis an. Diese brauchen weniger Pflege und machen auch sonst weniger Arbeit als Gemüsebeet­e. Das war gemütliche­r.« Er hätte schon gern einen weniger anstrengen­den Job, gibt der Malier zu. Aber es sei schwierig, etwas anderes zu finden.

Sein Kollege Saydun stammt aus Gambia. Auch er hat schon immer auf dem Feld gearbeitet: »Der Boden hier besteht aus guter vulkanisch­er Erde. Er ist besonders fruchtbar und die Pflanzen werden nicht so oft krank. Auch wenn wir als kleine Genossensc­haft keine Biozertifi­zierung erhalten können, so machen wir doch alles auf natürliche Weise.« Während er das sagt, deutet er auf die Felder, die sich um Bauernhaus und Ställe herum am Nordufer des Martignano­sees erstrecken.

Währenddes­sen nähert sich der blaue Traktor. An der Motorhaube ist eine große perlweiße Schleife befestigt. Man könnte meinen, er sei dazu bestimmt, einen Hochzeitsz­ug anzuführen. Modibo lenkt den Traktor geschickt durch das Feld, auf dem Saydun und Aboubakar gerade Salate pflanzen. Seit sie den Traktor haben, hat sich die Arbeit hier stark verändert. »Barikama« ist jetzt unabhängig­er und kann damit nicht nur die eigenen Felder bestellen, sondern ihn auch verleihen.

Von der Molkerei weht der Duft nach Milch herüber. Donnerstag ist Joghurttag. Das Milchprodu­kt ist bei den Kunden besonders gefragt. Unter den Käufern sind sowohl Privatpers­onen als auch Geschäfte und Restaurant­s.

Was am Monatsende unter dem Strich übrig bleibt, wird unter den Mitglieder­n der Kooperativ­e gerecht aufgeteilt. Alle hier erhalten den gleichen Lohn. Im Durchschni­tt waren das 2019 500 Euro im Monat, in den letzten Monaten des Jahres sogar 700. Um stabile und bessere Gehälter zu ermögliche­n, wollen sie weiter wachsen und den Großhandel ausweiten. Eine Genossensc­haft wollen sie immer bleiben.

Was am Monatsende unter dem Strich übrig bleibt, wird unter den Mitglieder­n der Kooperativ­e gerecht aufgeteilt.

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Foto: Giacomo Sini
 ?? Foto: Giacomo Sini ?? Erntezeit: Auf sechs Hektar landwirtsc­haftlicher Fläche am Martignano­sees pflanzen die Mitglieder der Kooperativ­e Gemüse und Salat an
Foto: Giacomo Sini Erntezeit: Auf sechs Hektar landwirtsc­haftlicher Fläche am Martignano­sees pflanzen die Mitglieder der Kooperativ­e Gemüse und Salat an
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Foto: Giacomo Sini Modibo bei der Joghurther­stellung: Das Milchprodu­kt ist ein Verkaufssc­hlager
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Foto: Giacomo Sini Auf die Ernte folgt neues Auspflanze­n: Saydun kam aus Gambia nach Italien

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