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Einhorn unter Eseln

Ein argloses Sittengemä­lde US-amerikanis­cher Spießeridy­llen: Die Sitcom »The Unicorn«

- Von Jan Freitag

Einhörner sind die denkbar liebenswer­testen Geschöpfe – gerade weil sie, nüchtern betrachtet, reine Fantasie sind. So gesehen ist es nur logisch, dass Menschen auf Partnersuc­he jene Männer als Einhörner bezeichnen, die es im Grunde eigentlich auch gar nicht gibt: verwitwete Väter diesseits der Midlife-Crisis, denen das eigene Ego unwichtige­r ist als der Rest des Universums zusammen, die sensibel sind und gefühlvoll, empathisch, aufgeschlo­ssen, reflektier­t, dabei gut in Form und – hüstel – sexuell ähnlich verheißung­svoll wie jenes, das Einhörnern aus der Stirn ragt. Also in einem Wort genauso sind wie: Walt.

Sexistisch­er als mit dem männlichen Bedarf nach weiblicher Haushaltso­rganisatio­n könnte eine Familiense­rie gar nicht beginnen – wäre da nicht der Hauptdarst­eller.

Als sich der Endvierzig­er ein Jahr nach dem Tod seiner Frau bei einer Dating-App anmeldet, dauert es entspreche­nd nur Sekunden, bis zwei Dutzend Alleinsteh­ende auf Walt (Walton Goggins) reagieren. Schließlic­h ist er dieses Einhorn, »The Unicorn« auf Englisch und Titel jener Sitcom, mit der uns Sky eher heiter als wolkig die Krisenzeit vertreiben möchte. In den ersten vier von 18 Folgen grundiert Walts tragischer Verlust die Suche nach einer neuen Partnerin zwar ab und zu mit etwas Melancholi­e; insgesamt aber tauchen die Showrunner Bill Martin und Mike

Schiff das US-amerikanis­che Spießerpar­adies auch mental in gleißendes Sonnenlich­t.

Walt ist darin der Super-Dad schlechthi­n, den seine zwei halbwüchsi­gen Töchter Grace (Ruby Jay) und Natalie (Makenzie Moss) trotz, oder gerade wegen, seiner Angewohnhe­it, nur Tiefgekühl­tes aufzuwärme­n, vergöttern. Als die Gefriertru­he mit Gerichten, die Jill einst vorgekocht hatte, aber leer ist, erschließt sich allerdings nicht nur Walt, sondern auch seinen Buddys Ben (Omar Benson Miller) und Forrest (Rob Corddry) nebst ihren Gattinnen Michelle (Maya Lynne Robinson) und Delia (Michaela Watkins) die Dringlichk­eit einer neuen Verpartner­ung. Sexistisch­er als mit dem männlichen Bedarf nach weiblicher Haushaltso­rganisatio­n könnte ein Familiensp­aß also gar nicht beginnen – wäre da nicht der Hauptdarst­eller.

Walton Goggins (»Six«) ist mit seinem zahnarztwe­ißen Überwältig­ungslächel­n zwar bis an die Schmerzgre­nze bieder besetzt; doch er trägt keineswegs zufällig den Vornamen seiner Figur. Nachdem sich Goggins’ Frau 2006 das Leben genommen hat, spielt er seinen Schicksals­genossen

vermutlich glaubhafte­r aus dem Bauch heraus, als es bei all der duften Laune ringsum den Anschein hat. Zudem verbirgt sich hinter der arglos leichten Dialogregi­e gelegentli­ch eine Gesellscha­ftskritik, die gerade in ihrer Zurückhalt­ung wirkt.

Wenn Walt in einer Selbsthilf­egruppe zur Wutkontrol­le für Witwer beispielsw­eise der einzige Mann ist, wird damit auch der destruktiv­e Lebenswand­el seiner Geschlecht­sgenossen in den fleisch- und waffenvern­arrten USA kommentier­t. Wenn seine pubertiere­nden Töchter die Partnersuc­he des Vaters aus Angst torpediere­n, er wende sich dann von ihnen ab, zeugt Walts Antwort – »Du wirst mich nie los, in ein paar Jahren wirst du es dir wünschen, aber das wird nicht passieren!« – von viel Wärme im Generation­enkonflikt. Und die Übergriffi­gkeit der befreundet­en Paare ist von einer Penetranz, dass sie nur satirisch gemeint sein kann. Hoffentlic­h …

Denn der Art und Weise zuzusehen, wie alle vier Paare Walts Leben so durchdring­en, dass sie sogar ein falsches Dating-Profil anlegen, um sein Paarungsve­rhalten besser zu verstehen, ist von einer Schamlosig­keit, die nur fiktional sein kann. Und falls nicht, darf man »The Unicorn« eben als abschrecke­ndes Beispiel maximal invasiver Freundscha­ften made in USA betrachten. Die nämlich brillieren wie so oft in Sitcoms mit einer ulkigen Schlagfert­igkeit, wie es sie nur nach Drehbuch geben kann.

Das ist gerade in synchronis­ierter Form oft ermüdend. Zugleich aber steckt darin ein Zauber wechselsei­tiger Empathie, der dieses zerstritte­ne Land auch zu einem Ort beispiello­ser Freundlich­keit macht. Mit ein paar Grimassen weniger, könnte man sich an diesem Einhorn unter Eseln also durchaus erfreuen.

»The Unicorn«, ab 9. April auf Sky.

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Foto: obs/Sky Deutschlan­d Abschrecke­ndes Beispiel invasiver Freundscha­ften? Walt (Walton Goggins, Mitte) und seine Freunde

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