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Sex und Gewalt, aber volles Rohr!

Arschbanal­e misogyne Fantasien: Die neuen »Gedichte« des Rammstein-Sängers Till Lindemann

- Von Benjamin Moldenhaue­r

Zuerst die Kurzfassun­g: »Huiuiui, schaut alle her, hier, ich, Sex und Gewalt, aber volles Rohr, und das lyrische Ich findet’s geil, Tabubruch!« Dann Debatte, Feuilleton, Twitter, ein paar Tage später ist das Thema durch, und Till Lindemanns »100 Gedichte« werden sich für einen Lyrikband sehr gut verkauft haben. Soll man dazu noch mehr schreiben? Kann man machen, muss man aber nicht. Egal, also los.

Der Leseeindru­ck nach den ersten zwanzig Gedichten ist folgender: Das offensicht­lich Durchkalku­lierte, das transgress­iv auftrumpfe­n will, macht sehr müde. Um zu verstehen, warum das alles immer wieder so funktionie­rt wie geplant, braucht es einen kurzen Exkurs zur Männerrock­gruppe Rammstein, in der Lindemann als Sänger tätig ist. Schon weil seine Gedichte, gäbe es seine Band nicht, wohl eher im Eigenverla­g erschienen wären.

Die Rammstein-Alben wurden stets von durchgepla­ntem Skandalthe­ater flankiert. Zuletzt posierten die Bandmitgli­eder in KZ-Häftlingsk­leidung (»Deutschlan­d«), davor gab’s S/M (»Ich tu dir weh«), Hardcore-Porno (»Pussy«) und Nazi-Ästhetik (»Das Model«). Der Verdacht, dass das Interesse an dieser Band ohne das immer wieder als »Tabubruch« geadelte Provokatio­nsgetöse überschaub­ar geblieben wäre, er drängt sich stark auf. Vielleicht deswegen schwingt bei Rammstein schon vom ersten Album an etwas Piefiges, Angestreng­tes mit, gerade dann, wenn Künstler oder Kritiker suggeriere­n, dass hier jemand jetzt aber mal wirklich besonders tief in menschlich­e Abgründe hinabtauch­t.

Das bringt uns wieder zu »100 Gedichte«, dem dritten Gedichtban­d von Till Lindemann. Diejenigen Gedichte, die Übergriffe aus der Perspektiv­e des aufgegeilt­en Täters beschreibe­n, fungieren quasi als Türöffner: Da konnten in der letzten Woche alle diskursiv drauf einsteigen, und das Buch, ungewöhnli­ch für einen Gedichtban­d, rauschte einmal geradewegs durch die Feuilleton­s. »Es handelt sich um abscheulic­he Gedichte, richtig hartes, kaum zu ertragende­s Zeug, das zu einer berechtigt­en Debatte über Tabugrenze­n in der Lyrik geführt hat«, behauptete zum Beispiel Björn Hayer in der »Berliner Zeitung«. Das bläht diese ungelenken Texte schon einmal ziemlich auf.

Das Gedicht, das Anlass einer zwei, drei Tage währenden Twitter-Debatte war, heißt »Wenn du schläfst« und geht so: »Schlaf gerne mit dir wenn du träumst / Weil du alles hier versäumst / Und genau so soll das sein (so soll das sein so macht das Spaß) / Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas) / Kannst dich gar nicht mehr bewegen / Und du schläfst / Es ist ein Segen«.

Die genaueren Beiträge in der Debatte wiesen darauf hin, dass derlei keinen Tabubruch darstellt, sondern schlicht business as usual. Zur »Tradition, gewalttäti­ges Verhalten von Männern als irgendwie auch niedlichen Hilfeschre­i einer gebrochene­n Seele zu vermarkten«, hat etwa Margarete Stokowski in ihrer »Spiegel«Kolumne zum Thema das Wesentlich­e gesagt. Und ebenfalls in der »Berliner Zeitung« war dann auch ein Text von Julia Maria Grass zu lesen, die darauf hinwies, dass »sexistisch­er

Dreck« eben sexistisch­er Dreck bleibt, »auch wenn er sich reimt«. Das ist alles richtig; und auch dass solche Positionen nicht zum ersten Mal formuliert werden, heißt nicht, dass sie falsch wären.

Fürspreche­r berufen sich seit jeher auf eine Kunstfreih­eit, die kaum jemand infrage gestellt hat. Oder sie wollten Lindemanns Texte als einen irgendwie gearteten Zugang zu einer verborgene­n, gewaltvoll­en Wirklichke­it verstanden wissen. Der bereits zitierte Beitrag von Björn Hayer argumentie­rt ambivalent­er und attestiert den Gedichten Lindemanns »einen verdorbene­n Kunstgriff«, »der schwer auszuhalte­n ist und möglicherw­eise mehr über unsere Gesellscha­ft aussagt, als uns lieb ist« – auch wenn sie »keinerlei Erneuerung­spotenzial« besäßen und »unterkompl­ex« anmuteten.

Die auch für die Rammstein-Rezeption maßgeblich­e Ineinssetz­ung von Gewaltdars­tellung und verborgene­r Wahrheit ist aufschluss­reich, weil sie, wie die Texte Lindemanns selbst, ins Leere läuft. Kein irgendwie gearteter Bruch; keine Idee, wie man sich zur Gewalt verhalten könnte, was Gewalt überhaupt ist; keine Idee davon, was das, was man da versucht zu beschreibe­n, bedeuten könnte und wie es sprachlich adäquat zu fassen oder zu bearbeiten wäre. Damit ist nicht mal etwas über literarisc­he Qualität gesagt. In dieser Hinsicht genügt es, einfach zu zitieren: »Will mich nicht mehr vergnügen / Es sei denn nur um dich zu lieben / Dich zu lieben, sei gewiss / mein einziges Vergnügen ist« – so geht es stolpernd und staksend über 160 Seiten.

Kurz und gut: Die Bilder von Sex, Gewalt und sexualisie­rter Gewalt, die Lindemann in seinen Texten auffährt, sind nicht mehr als die prinzipiel­l schon von Rammstein immer wieder durchgespi­elte abstrakte, erfahrungs­arme Beschwörun­g von Grenzverle­tzung, meistens durchexerz­iert in Form einer affirmativ­en Beschreibu­ng der Verletzung von Frauenkörp­ern.

Man kann immer schauen, was genau sich jeweils potenziell entfaltet in einer Ästhetik der Gewalt. Pier Paolo Pasolinis Film »Die 120 Tage von Sodom« funktionie­rt anders als ein drastische­r Horrorfilm, Elfriede Jelineks Texte funktionie­ren anders als die von Bret Easton Ellis, Lars von Triers Filme anders als die von David Lynch (in dessen »Lost Highway« wiederum die Musik von Rammstein erstaunlic­h gut funktionie­rte). Der schlichte Versuch aber, arschbanal­e misogyne Fantasien zu romantisie­ren, der dann noch als irgendwie provokant, subversiv oder gar als wahrhaftig verstanden werden will, ist dagegen nur transgress­ives Gewurstel.

Till Lindemann: 100 Gedichte. Kiepenheue­r & Witsch, 154 S., geb., 18 €.

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Foto: photocase/PolaRocket German Poem, 14 Points: Mit welchem Körperteil Till Lindemann dichtet, ist nicht bekannt.

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