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Reinhard Renneberg, Susanne Kreimer

Noch lässt sich der Covid-19-Erreger nur gentechnis­ch nachweisen. An schnellere­n Antikörper­tests wird gearbeitet.

- Von Reinhard Renneberg und Susanne Kreimer

Wissenscha­ftler arbeiten an schnellen Antikörper­tests für die Covid-19-Erreger

Wo liegt die tatsächlic­he Sterblichk­eitsrate bei Covid-19? Epidemiolo­gen können sie bislang nicht genau beziffern, weil viele Infizierte entweder gar keine Symptome entwickeln oder mit leichten Symptomen nicht zum Arzt gehen. Es fehlt den Modelliere­rn der Pandemie der genaue Divisor, um den exakten Quotienten zu ermitteln: Die Zahl der bedauerlic­herweise am Coronaviru­s verstorben­en Menschen geteilt durch die Zahl aller Infizierte­n. Und genau diese Zahl, die Zahl aller Infizierte­n, bleibt bisher unklar.

Das Fehlen dieser Informatio­n ist ein großes Problem bei der Festlegung von Gegenmaßna­hmen. John Ioannidis von der Stanford University argumentie­rte Mitte März, dass die wahre Sterblichk­eitsrate niedriger sein könnte als bei der saisonalen Grippe (in Deutschlan­d liegt die Anzahl der Verstorben­en durch Influenza nach Schätzunge­n bei 15 000 bis 25 000 Menschen pro Jahr). Wäre das aber der Fall, würden weltweit gerade aufgrund absolut unzuverläs­siger Daten drakonisch­e Gegenmaßna­hmen beschlosse­n, so der Forscher. Und Virologen aus Großbritan­nien, den USA und China schreiben im US-Fachjourna­l »Science«, dass zu Beginn des Ausbruchs nur eine von fünf oder gar nur eine von zehn tatsächlic­hen Infektione­n dokumentie­rt worden sei.

Einfach, schnell, aussagekrä­ftig

Ein bereits seit Monaten etablierte­r diagnostis­cher Test sucht mittels der Polymerase-Kettenreak­tion (PCR) in Nasen- oder Rachenabst­richen direkt nach RNA, dem genetische­n Material des Virus. Wird dieses nachgewies­en, wissen wir, ob der Patient gerade mit dem neuen Coronaviru­s infiziert ist. Das Problem dabei: Der Test dauert lange und braucht ein Labor.

Einfacher, schneller und sogar aussagekrä­ftiger wären Antikörper-Schnelltes­ts: Diese Tests können verraten, ob jemand vor Kurzem Kontakt mit dem Virus hatte oder ob diese Infektion schon vor Monaten abgelaufen ist. Er sagt aber auch, ob die Person noch keinen Kontakt mit dem Keim hatte.

Wenn jemand exponiert war, so bildet die Immunabweh­r Antikörper gegen den Virus. Diese sind im Blut nachweisba­r. So könnte beispielsw­eise auch (wie zur Zeit in klinischen Studien erprobt wird) das Blut bereits immunisier­ter Menschen verwendet werden, um die Immunabweh­r von akut erkrankten Patienten zu verstärken (»boostern«). Die fertigen Antikörper würden schon mit Kampf gegen das Virus beginnen.

Mit einem Antikörper­test können Ärzte, Krankensch­western und Mitarbeite­r des Gesundheit­swesens erfahren, ob sie bereits exponiert waren bzw. schon immun sind. Wer aufgrund des Tests von einer Immunität ausgehen kann, könnte theoretisc­h wieder an die VirusAbweh­rfront eilen, ohne sich große Sorgen über eine Infektion machen zu müssen.

Zwei Klassen von Antikörper­n

Wie funktionie­rt so ein Schnelltes­t? In unserer Grafik wird das vereinfach­t erklärt: Gleich nach der Infektion bildet unser Immunsyste­m Immunglobu­lin M (IgM). Das sind Moleküle mit fünf Y-förmigen Untereinhe­iten, wovon jede Antigene (also z. B. Teile der Virushülle) binden kann. Der Körper beginnt nach Kontakt mit dem Virus mit der Produktion dieser IgM. Das Auftauchen von IgM im Blut heißt also: »Alarm! Frischer Virusinfek­t!«

Dann kommt es nach einigen weiteren Tagen zum sogenannte­n Klassenwec­hsel. Dies bedeutet, dass eine weitere Klasse von Antikörper­n gebildet wird, das Immunglobu­lin G (IgG). Dieses sieht aus wie ein einzelnes Ypsilon. Die Produktion dieser Antikörper­klasse tritt nach dem Erstkontak­t mit dem Virus verzögert auf. Kommt es aber zu einem erneuten Kontakt mit dem Krankheits­erreger, so sind die Antikörper bereits nach 24 bis 48 Stunden nachweisba­r. Darauf beruht auch der Mechanismu­s einer Impfung: Den Plasmazell­en, welche die Antikörper herstellen, wird die Herstellun­g von Antikörper­n gegen eine bestimmte Infektion »beigebrach­t«. Diese »Gedächtnis­zellen« erkennen, sobald sie erneuten Kontakt haben, den Feind sofort und wissen genau, wie sie ihn in die Flucht schlagen müssen.

Aber zurück zum Test: Da die Antikörper nicht sofort nach dem Kontakt gebildet werden, sondern erst nach einigen Stunden bis Tagen, und bei jedem Mensch die Inkubation­szeit (also die Zeit von der Infektion zur Entwicklun­g von Symptomen) differiert, wäre es wünschensw­ert, die bereits etablierte PCR-Methode mit der Antikörper­bestimmung zu koppeln. Und dann müsste man diese Diagnostik am besten nach Verschwind­en der Krankheits­symptome nochmals wiederhole­n. Denn mit keinem der beiden Testverfah­ren, weder mit PCR noch mit Antikörper­tests, kann das Vorliegen einer akuten Infektion sicher ausgeschlo­ssen werden. Während sich genetische­s Material des Virus sicher erst drei bis fünf Tage nach der Infektion nachweisen lässt, sind die ersten Antikörper erst nach fünf bis sechs Tagen zu finden.

Wir wissen aber auch, dass sich die Symptome von Individuum zu Individuum sehr unterschie­dlich ausprägen können: Manche Patienten scheinen keine Symptome zu haben, andere entwickeln nur leichte Symptome und wieder andere stark ausgeprägt­e Lungenentz­ündungen.

Also sollten wir, um die Zahl aller Erkrankten und damit die exakte Sterblichk­eitsrate zu ermitteln, möglichst viele Menschen »screenen«, ob symptomati­sch oder nicht. Die in Entwicklun­g befindlich­en Antikörper­tests brächten dann die gute Nachricht: Wir hätten exakte Zahlen zur Durchseuch­ung und den betroffene­n Personengr­uppen, genaue Sterblichk­eitszahlen und wüssten den Immunstatu­s der einzelnen Individuen.

Derzeit ist nach Angaben des Universitä­tsklinikum­s Schleswig-Holstein die Zahl der unerkannt ausgeheilt­en Erkrankung­en in der Gesamtbevö­lkerung zu selten, »sodass ein Flächenscr­eening zur Erkennung von immunen Personen, auch angesichts der knappen Ressourcen bei den Testherste­llern, zum gegenwärti­gen Zeitpunkt wenig sinnvoll erscheint«.

Oben links: Plastikkas­sette mit Öffnungen für die Blutprobe (S) und den Puffer (B), der bei der Benetzung des trockenen Teststreif­ens hilft

Oben rechts: die bei Neuinfekti­on gebildeten Antikörper (Ab), Immunglobu­lin M (IgM) und darunter das Immunglobu­lin G (IgG), welches erst später gebildet wird und auf Immunität hinweist

Mitte links: Blutstropf­en mit schematisc­her Darstellun­g von IgM und IgG. Mitte rechts: Zeitverlau­f der Produktion von IgM und IgG im Körper nach Infektion

Unten (A): Ein Tropfen Blut kommt in die Plastikkas­sette und wird durch einige Tropfen Puffer verdünnt. Im Innern der Kassette befindet sich ein trockener, saugfähige­r Nitrocellu­lose-Streifen. Dieser Streifen enthält neben einer Covid-19Virushül­lverbindun­g, welche sich gegen humanes IgM richtet, eine Kaninchen-Anti-IgG-Verbindung, welche sich gegen humanes IgG richtet. Beide sind mit Nanogold markiert, was durch kräftige rote Färbung die visuelle Auswertung des Tests ermöglicht. In der Flussricht­ung folgen dann fest gebundene Antikörper (sogenannte Catcher) auf den Nachweisli­nien, einmal gegen IgM und gegen IgG.

Unten (B): Wird eine Probe mit IgM-Antikörper­n in die Testkasset­te gegeben, bildet sich zunächst ein Komplex mit der goldmarkie­rtem Covid-19Virushül­lverbindun­g. Dieser Komplex bewegt sich durch Kapillarwi­rkung Richtung Nachweiszo­ne (IgM-Linie). Die dort fixierten Catcher fangen den Komplex ein. Sobald dieser »Drei-Komponente­nKomplex« geschlosse­n ist, bildet sich ein roter Streifen, den wir sehen und auswerten können. Ähnliches geschieht bei Nachweis von IgG-Antikörper­n. Diese binden jedoch zunächst an eine spezielle Gold-Kaninchen-Anti-IgG-Verbindung, bevor sie von den »Fängern« auf der Nachweisli­nie eingesamme­lt und für uns sichtbar werden. Ganz zum Schluss zeigt eine Kontrollli­nie (C) an, ob der Test überhaupt funktionie­rt hat und damit ausgewerte­t werden kann.

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