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Corona-Killer am Handgelenk?

Die heiß diskutiert­e Corona-App lässt etliche Fragen offen.

- Von Daniel Lücking

Nachdrückl­ich legt die Politik den Menschen eine Mobilfunk-App nahe, die als Frühwarnsy­stem dienen soll. IT-Fachleute sind skeptisch.

Eine neue App des Robert-Koch-Instituts soll eine »Datenspend­e« ermögliche­n. Verbal knüpft dies an die Blutspende an, gegen die kaum noch jemand Bedenken hegt. Alles ist freiwillig. Doch sollen möglichst viele Menschen Vitalwerte wie Puls, Blutdruck und Angaben zum Schlafverh­alten an das Forschungs­institut senden. So will man Symptome erkennen, bevor Menschen, die womöglich bereits ansteckend sind, diese auch selbst bemerken.

Weil die bevorstehe­nde Frühlings- und Sommerzeit Grippewell­en unwahrsche­inlich macht, könnte etwa eine über längere Zeit leicht erhöhte Körpertemp­eratur ein Indiz für eine Corona-Infektion sein. Soweit,

so wünschensw­ert. Doch es gibt etliche Haken.

Es beginnt mit den Erfassungs­geräten. Fitness-Tracker, die auch Wearables (zu deutsch: Tragbare) genannt werden, sowie Smart-Watches sollen die Daten sammeln. Sensoren, die schon bald direkt in die Kleidung integriert und heute als Armbänder oder Brustgurte getragen werden, erfassen die Vitalwerte. Nach Schätzunge­n des Robert-Koch-Instituts nutzen zehn Millionen Deutsche solche Geräte. Neben klassische­n Sportausrü­stern wie Polar oder Garmin sind in diesem Bereich auch Dienste wie AppleHealt­h oder Google-Fit vertreten. Doch Datenschüt­zer horchen hier schon auf, denn die technische­n Schnittste­llen, die bei Googleund

Apple-Geräten benutzt werden, sind Firmengehe­imnisse.

Die Bundesregi­erung will bei dem Ansinnen freilich auf Transparen­z setzen, um Vertrauen zu gewinnen. »In weniger als drei Minuten erledigt, garantiert sinnvoll, 100 Prozent freiwillig, 100 Prozent pseudonym, von Sicherheit­sexperten geprüft«, biedert sich die App bei der Einrichtun­g an.

Aber was heißt »pseudonym«? Mehrfach rutschte diese Woche Regierungs­vertretern und deren Presseleut­en stattdesse­n das Wort »anonym« heraus. Das aber ist sachlich falsch. Die einmal gelieferte­n Daten sind über das gespeicher­te Pseudonym jederzeit für Löschung oder Korrektur verfügbar. Damit ist der einzelne Datenspend­ende identifizi­erbar.

Ohne Eingabe der Postleitza­hl ist die Nutzung der App nicht vorgesehen. Es soll eine Karte entstehen, quasi ein »Fieberther­mometer« für das ganze Land, sagt der derzeit omnipräsen­te Experte und Virologe der Charité, Prof. Christian Drosten, im NDR-Podcast. Sein Physikerko­llege Dirk Brockmann bekräftigt, man habe in den USA bereits gute Erfahrunge­n mit solchen Apps gemacht, die aber »nur ein Baustein im gesamten Überwachun­gssystem« seien. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) sagte am Donnerstag in einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz mit dem Robert-Koch-Institut, er wolle für den Fall, dass sich bestimmte Entwicklun­gen in den Daten abzeichnen, mit den Behörden vor Ort reden, »ob und welche Maßnahmen notwendig sind.«

Während sich Informatik­er und Datenschut­zexperten um eine gesamteuro­päische Lösung bemühen (Projektnam­e: PEPP-PT), die datenspars­am, transparen­t, aber vor allem anonym sein soll, grätscht das RobertKoch-Institut dazwischen. Die »Corona-Datenspend­e-App« wird von der Firma mHealth Pioneers umgesetzt. Das Berliner Startup holte sich reichlich Kapital ins Haus, wie in einem Artikel des »Wirtschaft­swoche Gründermag­azins« vom Mai 2019 zu lesen ist. Das privatwirt­schaftlich­e Unternehme­n erhielt für seine vielverspr­echende Marke Thryve (in Anlehnung an das englische »thrive«, das für gedeihen steht) eine Anschubfin­anzierung. Neben der Grönemeyer-Gruppe und einem Samsung-Investor pumpte auch der Milliardär Carsten Maschmeyer Geld in das Projekt.

Skeptische IT-Fachleute

Erste Analysen der Datenspend­e-App zeigen, dass die Daten auf Servern von mHealth Pioneers gespeicher­t werden. Dort würden diese Daten nur zusammenge­führt und dann an das Robert-Koch-Institut übermittel­t, beschwicht­igte dessen Präsident Lothar Wieler in der Pressekonf­erenz mit Jens Spahn. Auch habe Wieler vor Einführung der App eine Stellungna­hme vom Bundesdate­nschutzbea­uftragten Ulrich Kelber erhalten. Über deren Inhalt sagt Wieler allerdings nichts. Kelber wiederum reagierte auf die überrasche­nde Präsentati­on der App am Dienstag dieser Woche mit einer Mitteilung: »Meiner Behörde liegt bis jetzt noch keine fertige Version der Corona-Datenspend­eApp« und benannte eine Reihe an ungeklärte­n Prüfpunkte­n.

Einer unabhängig­en Analyse der App stellt sich mHealth Pioneers bis heute nicht. Wieler rechtferti­gt dies mit dem Hinweis, dass »die technisch logische Basis geistiges Eigentum der Firma« sei.

Zur Qualität der App äußerte sich die Gesellscha­ft für Informatik (GI). Ihr Präsident Hannes Federrath hält die App für »überrasche­nd schlecht gemacht und daher dem Schutz der Bevölkerun­g eher abträglich.« Wichtige Prinzipien wie Zweckgebun­denheit, Anonymität, Datenspars­amkeit und Schutz vor unbefugtem Zugriff seien »entweder nicht erfüllt oder zumindest unklar.«

Jens Spahn sieht in der Erfassung der Postleitza­hl die Chance, neue Infektions­herde zu erkennen, lässt aber offen, welche politische­n Beschlüsse daraus folgen könnten. Doch selbst das Robert-Koch-Institut räumt ein: Die App sei kein Diagnoseap­parat für Corona.

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