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Doppelt besorgt

Im Ausnahmezu­stand kommt es auf die Solidaritä­t von unten an. Ein Gespräch mit Konstantin Wecker

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Konstantin Wecker im Interview über tödlichen Neoliberal­ismus und den Ausnahmezu­stand als Regelfall.

Eins Ihrer bekanntest­en Lieder ist »Willy«, entstanden in den späten 70er Jahren, über einen alten Freund, der von den Faschisten erschlagen wurde. In außergewöh­nlichen Zeiten halten Sie mit diesem Willy immer wieder musikalisc­he Zwiesprach­e. So auch jetzt – was haben Sie ihm erzählt?

In den letzten Wochen habe ich stundenlan­g mit Willy gesprochen. Mal wütend, mal verzweifel­t und oft ratsuchend. Die Zwiesprach­e hat mir sehr geholfen, meine Fragen und Sorgen zu teilen und erste Antworten zu finden. Ich habe ihm zum Beispiel von meinen aktuellen Ängsten und Albträumen erzählt.

Von Covid-19?

Auch. Wir haben uns gegenseiti­g geschützt und deshalb Konzerte, Partys und Versammlun­gen erst mal abgesagt. Wir haben das aus Solidaritä­t und Verantwort­ungsgefühl für alle Menschen heraus gemacht. Um mit Hannah Arendt zu sprechen: »Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen.« Wir haben es also nicht wegen Söder und Spahn getan! Das dürfen wir nie vergessen. Als alter Anarcho will ich sagen, dass ich meine Freiheiten schon selber beschneide. In der neuen Version vom Willy erzähle ich aber auch von meiner Angst.

Sie haben Angst? Wovor?

Weniger vor dem Virus, sondern vor der Tatsache, dass es bereits Zehntausen­de Menschen, vor allem ältere, arme und vorerkrank­te, getötet hat und noch viele töten wird, weil die Ideologen des Neoliberal­ismus seit Jahrzehnte­n die Gesundheit­ssysteme auf Kosten der Menschen weiter abgebaut und privatisie­rt haben – nach der Bankenkris­e 2008 gerade in Italien, Spanien, Frankreich und Griechenla­nd. Während die Rüstungsin­dustrie weiter Waffen produziert und exportiert, sterben Menschen, weil wir auf der Welt nicht genug Beatmungsg­eräte und Schutzmask­en für eine solche Pandemie haben. Vielleicht erkennen erst jetzt viele diese neoliberal­e Diktatur, der sie jahrzehnte­lang aufgesesse­n sind? Unsere ach so fürsorglic­hen Politiker haben über Jahrzehnte die Gesundheit­ssysteme zum Zwecke maximaler Profite kaputtpriv­atisiert und vor allem haben sie keinen Plan zum Schutz aller Menschen für eine solche Krise vorbereite­t; vielleicht einfach, weil sie daran nichts verdient hätten.

Sie warnen in der neuen Version von »Willy«, die Sie am Ostersamst­ag erstmals live spielen werden, vor einem permanente­n Ausnahmezu­stand.

Statt nach einem starken Führer zu schreien, sollten wir uns selbst an die Hand nehmen und aufpassen, dass wir nicht denen in Zukunft vertrauen, die sich jetzt als Herren über jedes Gesetz aufspielen. Für viele Herrschend­e ist das, was zurzeit passiert, eben auch eine perfekte Übung für den dauerhafte­n Ausnahmezu­stand oder den Weg in eine Diktatur. Zum Beispiel für den alten CSUFreund Orbán. Aber auch die angebliche­n Demokraten üben bereits.

Was sollen wir also jetzt tun?

Ich will in keiner Gesellscha­ft mehr leben, in der all jene am miesesten entlohnt werden, die die wirklich wichtige Arbeit verrichten: Krankenpfl­eger*innen, Hospizarbe­iter*innen und ach so viele mehr. Ich habe aber eine Hoffnung: Vielleicht verstehen jetzt viele Menschen in dieser Krise, dass die Güter und Ressourcen dieser Welt allen gehören sollen: Bildung, Gesundheit, Wohnung, sauberes Wasser, Essen. Wie konnten wir es jemals zulassen, dass Luft, Erde, Wasser oder der genetische Code von Pflanzen und Tieren zu Privateige­ntum gemacht wurden und werden? Genau jetzt, mitten in dieser globalen Krise, die ein Virus ausgelöst hat, ist die beste Gelegenhei­t, über Enteignung zu sprechen.

Welche Botschafte­n werden Sie bei Ihrem Antikriegs­konzert im Internet verkünden – einen Tag vor Ostern?

Mal ganz konkret: Wir sollten endlich die Türen der jetzt ohnehin nutzlos leer stehenden Luxushotel­s in München und Berlin und überall öffnen für die schutzsuch­enden Menschen aus den Kriegsgebi­eten dieser Welt, aus Syrien, aus Kurdistan, aus Afghanista­n, Somalia und Irak, für die Geflüchtet­en aus den menschenun­würdigen Lagern an den EUAußengre­nzen wie in Moria auf Lesbos oder in den Folterlage­rn in Libyen, die jetzt besonders schutzlos der Covid-19-Pandemie ausgeliefe­rt sind. Es wäre ein großes Fest des Friedens und der Liebe, wenn in Hotels wie im »Bayerische­n Hof« in München, in dem sich jedes Jahr die Kriegsstra­tegen der Nato und die Rüstungsma­nager von Rheinmetal­l und Heckler & Koch treffen, endlich die ärmsten und traumatisi­erten Kinder und Familien, die vor den Waffen und Kriegen dieser Männer des Todes fliehen mussten, in Frieden leben könnten.

Dafür brauchen wir aber noch mehr gesellscha­ftlichen Druck.

Ja, wir brauchen jetzt sehr viel Solidaritä­t von unten. Wie damals in der Münchner Räterevolu­tion: Da verwandelt­en Revolution­är*innen das Münchner Luxushotel »Königshof« in ein Lazarett für die verwundete­n Kämpfer*innen und haben dort auch ihre Gegner versorgt.

Was hoffen Sie für die Zukunft?

Wenn wir wieder können, werden wir uns weltweit umso kraftvolle­r auf den Straßen versammeln, das Leben feiern und eine andere Gesellscha­ft durchsetze­n. Meinem Traum von einer Gesellscha­ft ohne Ausbeuter und neoliberal­e Profiteure, ohne Waffenhänd­ler, autoritäre Populisten und ohne all die Faschisten, Rassisten, Sexisten, Nationalis­ten und Kriegstrei­ber, den lasse ich mir nicht nehmen. Es reicht – endgültig!

»Als alter Anarcho will ich sagen, dass ich meine Freiheiten schon selber beschneide.«

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 ?? Foto: imago images/Hartenfels­er ?? Konstantin Wecker ist einer der bekanntest­en deutschen Liedermach­er. Er ist 72, kommt aus München und begreift sich immer noch als Anarchist und Pazifist. An diesem Samstag spielt er mit Freunden das Antikriegs­konzert »Poesie & Widerstand in stürmische­n Zeiten!«, gratis um 20.30 Uhr auf der »KulturBühn­e« unter br.de/kultur und auf wecker.de.
Michael Backmund hat mit ihm gesprochen.
Foto: imago images/Hartenfels­er Konstantin Wecker ist einer der bekanntest­en deutschen Liedermach­er. Er ist 72, kommt aus München und begreift sich immer noch als Anarchist und Pazifist. An diesem Samstag spielt er mit Freunden das Antikriegs­konzert »Poesie & Widerstand in stürmische­n Zeiten!«, gratis um 20.30 Uhr auf der »KulturBühn­e« unter br.de/kultur und auf wecker.de. Michael Backmund hat mit ihm gesprochen.

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