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Der Trend geht zum Zweitslip

- Wolfgang Hübner

Letzte Woche wurde an dieser Stelle ein Eindruck davon vermittelt, wie die Arbeit einer Redaktion in teilweiser Selbstisol­ation vonstatten geht. Bei den Videokonfe­renzen lernen wir die Wohn- oder Arbeitszim­mer der Kollegen kennen, die sich von zu Hause zuschalten. Manchmal schummelt sich ein Kind oder ein Haustier ins Bild. Obenrum, so weit die Kamera es erfasst, sind die Kollegen auch im Homeoffice manierlich gekleidet, über die nicht sichtbaren Bereiche liegen keine Informatio­nen vor. Noch hat sich niemand vor der Kamera maskiert, aber wenn man dem Kanzleramt­schef glauben darf, steht der Höhepunkt der Epidemie noch bevor. Alles in allem kann man sagen, dass wir auch auf die Entfernung Hand in Hand arbeiten – nein, Kommando zurück, diese Redewendun­g sollte in Quarantäne geschickt werden.

Im Internet kursierte – weil Masken ja Mangelware sind – neulich ein Video, in dem demonstrie­rt wird, wie man aus einer Unterhose mit wenigen Handgriffe­n eine perfekt sitzende Atemschutz­maske herstellt. Man steckt den Kopf durch die eine Beinöffnun­g, zieht den Stoff bis über die Nase und verdreht die andere Hälfte des delikaten Kleidungss­tücks hinter dem Kopf so, dass man sie über den Scheitel bis in die Stirn stülpen kann. Übrig bleibt ein Sehschlitz. Durchaus eindrucksv­oll, auch wenn man dann aussieht wie ein Ninja Fighter. Falls Sie einer Person begegnen, die sich so ausstaffie­rt hat, dann sollten Sie ihr beide Daumen drücken, dass sie noch eine zweiten Schlüpfer besitzt. Denn der Trend geht zum Zweitslip.

Übrigens müssen in diesen Zeiten nicht nur Redewendun­gen kritisch geprüft werden, sondern auch das Liedgut. »Brüderlein, komm tanz mit mir« gehört vorerst auf den Index, wo die Tanzverans­taltungen schon stehen, weshalb wir uns diesmal nicht über das Tanzverbot am Karfreitag zu streiten brauchen. Franz Lehárs Operette »Land des Lächelns« hat sich nicht nur deshalb erledigt, weil die Theater geschlosse­n sind, sondern auch, weil das Lächeln als solches immer öfter hinter den Masken und damit aus der Öffentlich­keit verschwind­et. »I Want to Hold Your Hand« von den Beatles – ärztlich untersagt. Und dann das Arbeiterka­mpflied: »Brüder in eins nun die Hände, Brüder das Sterben verlacht« ist unter virologisc­hem Gesichtspu­nkt ziemlich problemati­sch; Prof. Drosten würde die Hände über dem Kopf zusammensc­hlagen – ha, da haben wir’s: Ins Gesicht soll man sich ja auch nicht mehr fassen.

Vergessen Sie Goethe (»Solch ein Gewimmel möcht’ ich sehn«), denken Sie an Möricke: »Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.« Greifen Sie zu, wenn Sie es auf Ihrem zugelassen­en Osterspazi­ergang entdecken. Aber achten Sie darauf, dass es mindestens zwei Meter lang ist. Denn wie sagte die Bundeskanz­lerin: »Eine Pandemie kennt keine Feiertage.«

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