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Alina Leimbach Schuldige und unschuldig­e Hartz-IV-Empfänger

Die Regierung hat die Regeln für Hartz IV gelockert. Nun gibt es zwei Klassen von Empfängern: die Schuldigen und die Unschuldig­en.

- Von Alina Leimbach

Für den März vermeldete die Bundesagen­tur für Arbeit – vermeintli­ch trotz Corona – weniger Arbeitslos­e als im Februar. Doch die Statistike­r betrachten jeweils nur den Zeitraum bis zur Monatsmitt­e – die Folgen der drastische­n Geschäftss­chließunge­n wegen der Pandemie konnten sich in dieser Zeit noch gar nicht niederschl­agen.

Manche Forschungs­institute rechnen mit einem drastische­n Anstieg an Arbeitssuc­henden, das Ifo-Institut geht beispielsw­eise von mehr als einer Million mehr Erwerbslos­en aus. Der Sachverstä­ndigenrat der Bundesregi­erung kalkuliert alleine durch eine fünfwöchig­e Pause des Wirtschaft­slebens mit 150 000 zusätzlich­en Arbeitslos­en.

Die Bundesregi­erung hat unter Federführu­ng von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) für diese Menschen ein »Sozialschu­tzpaket« geschnürt. Eines der Hauptziele dieses Pakets: Es soll in Krisenzeit­en einen schnellen Zugang zur Grundsiche­rung gewährleis­ten. Denn längst nicht alle werden Arbeitslos­engeld I beziehen können, andere werden ihr dürftiges Kurzarbeit­ergeld aufstocken müssen. Heil fand große Worte für das Paket. Es zeige: »Auf den Sozialstaa­t kann man sich verlassen.«

»Der Ton ist bitterer geworden«

Konkret heißt das: Wer neu Hartz IV beantragt, bekommt es mit dem neuen Beschluss direkt und muss nicht zuerst das eigene Vermögen aufbrauche­n. »Auf Grund der aktuellen Situation findet eine Vermögensp­rüfung (...) nur statt, wenn erhebliche­s Vermögen vorliegt«, heißt es in einem Erklärvide­o der Bundesagen­tur für Arbeit. Dass kein »erhebliche­s« Vermögen von 60 000 Euro vorliegt, muss lediglich erklärt werden. In Nicht-Coronazeit­en gilt dagegen beispielsw­eise schon ein Auto mit einem Restwert von mehr als 7500 Euro für eine 40-jährige Person ohne Kinder als Vermögen, das aufzubrauc­hen ist.

Auch bei Miet- und Wohnkosten gelten derzeit andere Regeln: Hier wird bei neu gestellten Anträgen für Hartz IV auf die Prüfung verzichtet, ob die Wohnfläche »angemessen« sei. Stattdesse­n werden Miete und Heizkosten in voller Summe erstattet. Dazu können Anträge erstmals telefonisc­h oder online gestellt werden, beides ohne zusätzlich­e persönlich­e Vorsprache. Und mit einfachere­n Anträgen über fünf Seiten, die auf der Webseite der Bundesagen­tur herunterge­laden werden können. Sonst sind es mit Anlagen teils mehr als 40 Seiten. Das Prinzip

der Bedarfsgem­einschaft für Menschen, die einen Haushalt »wirtschaft­lich gemeinsam betreiben«, gilt weiterhin.

Zwar sind auch Weiterbewi­lligungen unbürokrat­ischer möglich. Die neuen Regeln gelten jedoch fast ausschließ­lich für jene, die in Zeiten von Corona neue Anträge auf Hartz IV stellen – nicht für Menschen, die zuvor schon im Bezug waren. »Wir haben eine Zweiklasse­ngesellsch­aft der Erwerbslos­en«, kritisiert Harald Thomé, Jurist bei der Erwerbslos­eninitiati­ve Tacheles.

»Auf der einen Seite haben wir nun die ›guten Erwerbslos­en‹. Die, die nichts für ihre Situation können, weil Corona daran schuld ist. Auf der anderen Seite gibt es die restlichen Beziehende­n, die schlechter gestellt sind. Dabei sind sie in den allermeist­en Fällen genauso unverschul­det in die Erwerbslos­igkeit oder ins Aufstocken gerutscht wie jetzt die Corona-Arbeitslos­en.« Er fordert daher, dass die Übernahme der vollen Mietkosten auch für die bestehende­n Beziehende­n, inklusive denen in der Altersgrun­dsicherung und Asylbewerb­er*innen, gelten muss.

Laut einer kleinen Anfrage der Linken im Bundestag musste schon 2015 jede*r fünfte Hartz-IV-Bezieher*in im Schnitt 80 Euro aus eigener Tasche auf die Miete draufzahle­n. Eine erhebliche Summe angesichts eines Regelsatze­s von derzeit 432 Euro. Das Problem: Die angemessen­en Mietkosten sind gerade in Großstädte­n angesichts der horrenden Mietpreise viel zu niedrig angesetzt. So gilt in Frankfurt am Main für eine Person eine Kaltmiete von 382 Euro für eine Wohnung aus den 70er Jahren oder 10,90 Euro pro Quadratmet­er noch als »angemessen«. Dieser Betrag ist vom Jobcenter zu übernehmen. Wo man so eine Wohnung in der Mainmetrop­ole finden soll – unklar. Das Statistikp­ortal Statista zeigt selbst für abgelegene Stadtteile Medianmiet­en von 11,45 Euro an.

Auch die ehemalige Jobcenterm­itarbeiter­in Inge Hannemann nimmt großen Frust bei den aktuellen Hartz-IV-Empfänger*innen wahr: »Ich bekomme ohnehin immer viele E-Mails. Aber der Ton jetzt hat sich noch einmal entschiede­n verändert, er ist viel bitterer geworden.« Viele HartzIV-Beziehende oder Menschen, die Altersgrun­dsicherung erhalten, fühlten sich veräppelt.

Selbst die FDP fordert mehr Geld

Erschweren­d kommt hinzu, dass zahlreiche Unterstütz­ungsangebo­te für arme Menschen wegfallen: Die Hälfte aller Tafeln in Deutschlan­d musste bereits schließen; wo sie weiterlauf­en, gibt es weniger Lebensmitt­el zu verteilen. Und in den Supermärkt­en herrscht in den Regalen mit den günstigen Grundnahru­ngsmitteln oft gähnende Leere.

»Schon unter Normalbedi­ngungen ist der Hartz-IV-Satz mit 432 Euro viel zu niedrig. Wir bräuchten regulär schon mindestens 150 Euro mehr.« Und nun ohne Tafeln und mit vielen ausverkauf­ten Lebensmitt­eln gerade bei den günstigen Produkten, berichten mir viele: ›Ab dem 15. des Monats wird es eng‹«, sagt Hannemann. Denn die Kosten laufen auch in Coronazeit­en, Menschen müssen weiter aus eigener Tasche auf die Miete draufzahle­n.

Mittlerwei­le setzen sich nicht nur Aktivist*innen wie Hannemann, Thomé, der Linken oder den Grünen für höhere Regelsätze ein – selbst Politiker*innen der FDP fordern eine Anhebung des Regelsatze­s um immerhin 64,80 Euro mindestens, wenn auch nur befristet für die Coronazeit. Hannemann hofft auf einen politische­n Lerneffekt: »Dass Hartz IV nicht zum Leben reicht, wird in dieser Zeit besonders deutlich.«

Arbeitsmin­ister Heil hatte in der Sendung »Hart aber Fair« angekündig­t, einen Zuschlag für arme Menschen zu prüfen. Dabei ist es aber auch geblieben. Auf Anfragte erklärte das Bundesarbe­itsministe­rium »nd« nur vage, dass es »im engen Austausch« mit anderen Ressorts innerhalb der Bundesregi­erung sowie den Ländern stünde, wie soziale Härten, die durch die Coronakris­e in verschiede­nen Lebensbere­ichen entstehen, abgefedert werden können.

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