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Jérôme Lombard besuchte einen leidenscha­ftlichen Sammler von Fanartikel­n

Das jüdische Fest zum Auszug aus Ägypten steht ganz im Zeichen von Corona.

- Von Jérôme Lombard

Was unterschei­det diese Nacht von allen anderen Nächten?« Dies ist die erste von insgesamt vier Fragen, die traditione­ll das jüngste Kind der Familie am Sederabend, am Vortag des acht Tage dauernden jüdischen Pessach-Festes, stellt. Es ist dann üblicherwe­ise der Vater, der als Antwort die Freiheitsg­eschichte vom Auszug des Volkes Israel aus der Knechtscha­ft Ägyptens hinein ins Gelobte Land erzählt. Dieses Ereignis feiern Juden und Jüdinnen weltweit in der Pessach-Woche, die am Mittwoch dem 8. April beginnt und bis zum 16. andauert.

Auch bei Familie Delberg in Berlin war es schon immer so. »Ich bin bei uns für die Einleitung des Sederabend­s zuständig und spreche auch die Gebete«, sagt Mike Delberg. Der 30-jährige Berliner stammt aus einer jüdisch-russisch-ukrainisch­en Familie und wohnt in Wilmersdor­f. »Jedes Jahr feiern wir zusammen mit meiner Schwester, meinen Großeltern und meinen Eltern zusammen in ihrer Wohnung in Moabit«, erzählt Delberg. »Pessach ist für uns Delbergs wie das jüdische Neujahr und auch Chanukka seit jeher ein Fest, an dem alle Generation­en unserer Familie zusammenko­mmen.«

Doch was seit jeher gilt, hat in Zeiten der Corona-Pandemie keinerlei Bedeutung. »An diesem Pessach werden Juden in Berlin und überall auf der Welt Festtage erleben, wie wir sie in der modernen Zeit so noch nicht gesehen haben«, ist sich Delberg Junior sicher. In der Familie habe man bereits ausführlic­h über das Virus und seine Gefahren gesprochen und festgelegt, dass man sich in den acht Festtagen nicht physisch treffen wird. »Mein Vater ist über 60 Jahre alt und gehört damit zur besonders gefährdete­n Risikogrup­pe«, sagt der junge Mann. »Wir haben uns auch vor Pessach schon seit mehreren Wochen nicht mehr getroffen, wir wollen nichts riskieren.«

In den bevorstehe­nden Festtagen nicht wie gewohnt im Familien- oder Freundeskr­eis zusammenzu­kommen und Pessach eben nicht physisch gemeinsam zu feiern, ist auch die Aufforderu­ng des Vorstands der Berliner Jüdischen Gemeinde sowie des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d. Der von der Gemeinde jährlich ausgericht­ete Gemeinscha­ftsseder, bei dem weit über 100 Menschen gemeinsam den Abend begehen, ist in diesem Jahr ebenso abgesagt worden wie die speziellen Gottesdien­ste in den Synagogen.

»Um die Ausbreitun­g des Coronaviru­s weiter einzudämme­n, sind alle Gemeindemi­tglieder aufgerufen, Pessach kontaktlos und nur im eigenen Haushalt zu feiern«, sagt Delberg, der sich lange Zeit als Repräsenta­nt der Jüdischen Gemeinde zu Berlin engagiert hat. Mit Nachdruck appelliert er an alle jüdischen Berliner, sich an die Auflagen zu halten. »Dieses Pessach einmal nicht an einem Tisch zusammen mit den Lieben zu feiern bedeutet, vielleicht noch viele weitere PessachFei­ertage gemeinsam erleben zu können«, sagt Delberg. Zumal es technische Möglichkei­ten gebe, sich an den Feiertagen trotz Kontaktspe­rre zu sehen oder wenigstens zu sprechen. »Wir werden unseren Familiense­der per Videokonfe­renz abhalten, auch wenn ich weiß, dass das nicht zu 100 Prozent koscher ist«, erzählt Delberg. Die Großeltern wolle man per Telefon dazuschalt­en.

»Das einzig wirklich große Problem wird das Kochen sein«, meint der junge Mann und lacht. Bereiteten sonst immer die Eltern das traditione­lle Abendessen mit den ungesäuert­en Matzen, den Bitterkräu­tern und dem Wein zu, muss er dieses Jahr selbst ran. »Zum Glück übermittel­t der Videochat ja keine Gerüche und Geschmäcke­r.«

Für Jeremy Borrowitz ist das Kochen an Pessach kein Problem. »Ich koche generell sehr gerne und auch für das besondere Pessach-Dinner habe ich schon einige Erfahrunge­n gesammelt«, sagt der Rabbiner. Der gebürtige US-Amerikaner ist im vergangene­n Jahr kurz nach den Pessach-Feiertagen im April mit seiner Familie aus New York nach Berlin-Kreuzberg gezogen. Für Borrowitz, seine Frau und die kleine gemeinsame Tochter ist es das erste Pessach-Fest in Deutschlan­d. »Eigentlich wollten wir für unsere Freunde einen großen gemeinsame­n Seder bei uns Zuhause veranstalt­en«, erzählt Borrowitz. Wegen Corona musste notgedrung­en umdisponie­rt werden. Statt sich auf ein feierliche­s Beisammens­ein vorzuberei­ten, hat der Rabbiner im Vorfeld des Sederabend­s Videos im Internet hochgelade­n.

Für observant lebende Juden, die streng nach der rabbinisch­en Auslegung der biblischen Gesetze leben, ist ein Videochat an Pessach selbst ein No-Go. In seinen Videos liest Borrowitz aus der Haggada vor, dem Buch über den israelitis­chen Auszug aus Ägypten, das am Sederabend normalerwe­ise gemeinsam gelesen wird. »Zusammen mit anderen Jüdinnen und Juden aus Berlin habe ich einen Berliner Kommentar zur traditione­llen Haggada geschriebe­n«, sagt er. Darin geht es um zeitgenöss­ische Betrachtun­gen aus einer Berliner Perspektiv­e auf die antike Auszugsges­chichte. »Rituale und Gewohnheit­en geben Halt in schwierige­n Zeiten«, sagt der Rabbiner. Er hoffe, dass er damit einen Beitrag zu einem fröhlichen Pessach-Fest in der Hauptstadt leisten könne. »Gesund und sicher für alle«.

»Dieses Pessach einmal nicht an einem Tisch zusammen mit den Lieben zu feiern bedeutet, vielleicht noch viele weitere Pessach-Feiertage gemeinsam erleben zu können.«

Mike Delberg, Jüdische Gemeinde zu Berlin

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Foto: getty images/iStockphot­o Den ungesäuert­en Matzen müssen viele dieses Pessach alleine brechen.

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