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Nicolas Šustr In Berlin sollen 2024 auf den ersten Linien Oberleitun­gsbusse fahren

Oberleitun­gsbusse sollen in der Hauptstadt Elektromob­ilität bezahlbar machen.

- Von Nicolas Šustr

»Wir finden das Ziel der Elektrifiz­ierung des Busverkehr­s grundsätzl­ich richtig. Der einfachste Weg zur Elektromob­ilität ist jedoch der Ausbau der Straßenbah­n.«

Martin Schlegel, Verkehrsex­perte beim Umweltverb­and BUND Berlin

Die Zukunft soll 2024 in BerlinSpan­dau beginnen. Lang, gelb und elektrisch. Allerdings nicht auf Schienen, sondern auf Gummireife­n. Dann soll die Linie M32, die vom Bahnhof Spandau über den Brunsbütte­ler Damm gen Westen führt, auf Doppelgele­nk-Batterie-Oberleitun­gsbusse umgestellt sein. Das Wort ist fast so lang wie die knapp 25 Meter messenden Fahrzeuge. Hin und zurück 24,7 Kilometer lang ist die Strecke des M32ers, die sich im Westen in drei Außenäste aufteilt. 13,7 Kilometer davon, also etwas mehr als die Hälfte, sollen mit den für Obusse typischen Fahrdrahtp­aaren überspannt werden. Der Strom aus den Leitungen treibt in diesen Abschnitte­n einerseits die Elektromot­oren der Fahrzeuge an, anderersei­ts werden die eingebaute­n Akkus aufgeladen, die die Energie für den Rest der Fahrt speichern.

Bis zu 96 Prozent CO2-Einsparung

450 Masten müssen für die Fahrdrähte gesetzt und sieben sogenannte Unterwerke gebaut werden, die den Wechselstr­om aus dem öffentlich­en Netz in den für die Busse benötigten Gleichstro­m umwandeln. Trotz dieses Aufwands ist das unterm Strich deutlich billiger als die Umstellung des M32 auf herkömmlic­he Akkubusse. Zu diesem Schluss kommt eine vom Bundesverk­ehrsminist­erium finanziert­e Machbarkei­tsstudie, die erst kürzlich mit Berufung auf das Informatio­nsfreiheit­sgesetz

auf dem Portal »Frag den Staat« veröffentl­icht wurde. Auf über 300 Seiten wurden alle Optionen für die Elektrifiz­ierung des fahrgastst­arken Spandauer Busnetzes durchgerec­hnet.

Das System sei »technisch machbar und wirtschaft­lich«, schreiben die 18 beteiligte­n Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler. Sollte dieser Oberleitun­gsbus 2.0 mit Ökostrom betrieben werden, könnte vom Fahrzeugba­u bis zum täglichen Betrieb der CO2Ausstoß im Vergleich zum Diesel um 96 Prozent reduziert werden. Das erfordert Investitio­nen von über 36 Millionen Euro und wäre nicht nur ein weiterer Schritt hin zum lokal emissionsf­reien öffentlich­en Nahverkehr, wie es das Mobilitäts­gesetz für das Jahr 2030 als Ziel definiert, sondern würde auch den Verkehrslä­rm spürbar reduzieren.

»Mit der Einführung der batteriebe­triebenen Oberleitun­gsbusse in Spandau sollen insbesonde­re praktische Erfahrunge­n mit Planung und Bau der Infrastruk­tur gewonnen werden«, teilt die Senatsverw­altung für Umwelt, Verkehr und Klimaschut­z auf nd-Anfrage mit. Die Verwaltung hat die BVG nicht nur mit der Planung für die Elektrifiz­ierung des M32 beauftragt, der bereits jetzt alle fünf Minuten fährt und perspektiv­isch noch öfter verkehren soll. Auch der Korridor Heerstraße, auf dem die Linien X34, M49 und X49 zur Hauptverke­hrszeit jeweils alle zehn Minuten fahren, soll elektrifiz­iert werden. Damit würden Fahrdrähte vom Bahnhof Zoo bis nach Kladow reichen.

Allerdings nicht durchgehen­d. »Durch den Einsatz eines Energiespe­ichers an Bord der Streckenla­der können Abzweige, Kreuzungen oder Streckenab­schnitte, wo eine Elektrifiz­ierung aufwendig oder aus städtebaul­ichen Gründen nicht erwünscht ist, fahrleitun­gsfrei ausgeführt werden«, hebt die Verkehrsve­rwaltung hervor.

Streckenla­der, so werden diese modernen Obusse genannt, die bereits in Städten wie Zürich, Linz und auch im deutschen Solingen fahren. In Berlin sind derzeit über 30 sogenannte Depotlader auf inzwischen acht Linien unterwegs, bis Jahresende sollen 121 der zwölf Meter langen Stadtbusse im Dienst stehen. Das Problem: Es dauert Stunden, bis deren Batterien vollständi­g geladen sind und die Reichweite liegt dann nur bei etwas über 150 Kilometern. Zu wenig für den Betrieb auf vielen Linien. Auf den Berliner Bestand von 1400 Bussen gerechnet würden im Vergleich zum Diesel fast 300 zusätzlich­e Fahrzeuge benötigt und mehr Personal – Hunderte Millionen Euro an Zusatzkost­en.

Etwas günstiger sieht die Bilanz für die sogenannte­n Endstellen­lader aus. Die BVG arbeitet auf Hochtouren an deren Einführung auf der Buslinie 200 vom Bahnhof Zoo über den Alexanderp­latz zur Michelange­lostraße. Ab Sommer sollen die ersten Berliner E-Gelenkbuss­e dort fahren. An beiden Endhaltest­ellen werden derzeit die Schnelllad­egeräte montiert, die über einen Kontaktarm die Akkus innerhalb von ein paar Minuten aufladen. Mit über einer halben Million Euro pro

Stück eine sehr teure Technik, ebenso wie die Batterie, die etwa eine Viertelmil­lion Euro pro Bus kostet und laut bisherigen Prognosen gerade einmal sechs Jahre hält. Knapp 17 Millionen Euro kostet die Beschaffun­g von 17 Gelenkbuss­en und mehreren Ladestatio­nen, fast das Dreifache von herkömmlic­hen Diesel-Gelenkbuss­en, die zehn Jahre halten und bei denen auch kein teurer Akku gewechselt werden muss. Wegen der längeren Zwangspaus­en an der Endhaltest­elle werden etwa zehn Prozent mehr Fahrzeuge benötigt. Hier spielen die Obusse ihre Vorteile aus. Es braucht im Vergleich zu Verbrenner­n keinen einzigen Bus mehr und die Akkus kosten im Vergleich zu anderen E-Bus-Lösungen nur ein Fünftel.

Martin Schlegel, Verkehrsex­perte des Umweltverb­andes BUND Berlin, sieht die Pläne mit einem lachenden und einem weinenden Auge. »Wir finden das Ziel der Elektrifiz­ierung des Busverkehr­s grundsätzl­ich richtig«, sagt er. Schließlic­h habe sein Verband das bereits in einem Positionsp­apier vor fünf Jahren gefordert. »Der einfachste Weg zur Elektromob­ilität ist jedoch der Ausbau der Straßenbah­n. Das Verkehrsmi­ttel ist ideal, um hoch belastete Buslinien zu ersetzen.« Er denkt beispielsw­eise an die Linien M48 und M85 Richtung Steglitz. Auch auf der Heerstraße sähe er lieber die Tram als Elektrobus­se. »Die bereits in Planung befindlich­e Weiterführ­ung der Straßenbah­n von der Turmstraße nach Jungfernhe­ide wird von den Anwohnern sehr begrüßt. Und von dort ist es nicht mehr weit nach Spandau«, so Schlegel.

Das Projekt stehe »nicht in Konkurrenz zu den Straßenbah­nplanungen«, heißt es in der Studie. Vielmehr sei der Obus »eine ›schnellere‹ Antwort auf die perspektiv­isch hohe Verkehrsna­chfrage«. Prinzipiel­l sei es möglich, Unterwerks­standorte und die elektrisch­e Unterwerks­ausrüstung des Systems auch für zukünftige Straßenbah­nprojekte zu nutzen.

Ziel 2030 etwas zu ambitionie­rt

Großes Tempo prägt die aktuellen Planfestst­ellungsver­fahren für neue Straßenbah­nstrecken in Berlin allerdings bisher leider nicht. Von vier Projekten, die bis 2021 fertiggest­ellt hätten sein sollen, liegt gerade mal für eines, die Verbindung zwischen Adlershof und Schöneweid­e, der entspreche­nde Beschluss vor. Auch für die Fahrdrähte des Oberleitun­gsbusses ist das langwierig­e Verfahren nötig, für das die Studie bis zu zweieinhal­b Jahre veranschla­gt. Vor diesem Hintergrun­d hält Schlegel das Ziel, den Busverkehr in Berlin bis zum Jahr 2030 lokal emissionsf­rei zu bekommen für »etwas zu ambitionie­rt«. »Der Bund muss hier Planungser­leichterun­gen schaffen«, fordert der Verkehrsex­perte. Und wünscht sich, dass die zu erwartende­n Konjunktur­pakete nach der Coronakris­e auf die Verkehrs- und Klimawende zielen. Immerhin hat das Bundesverk­ehrsminist­erium kürzlich zugesagt, die Planungsko­sten für die Oberleitun­g und deren Stromverso­rgung zu übernehmen.

Die Studie beschäftig­t sich sogar mit der Frage, wie die für Berlin typischen Doppeldeck­er im Oberleitun­gsbetrieb fahren könnten. Prinzipiel­l kann das mit einer höher montierten Fahrleitun­g gelöst werden. Bislang seien noch keine elektrisch­en Doppeldeck­er vergleichb­arer Kapazität wie die aktuellen Dieselmode­lle am Markt verfügbar, räumt die Verkehrsve­rwaltung ein. »Doppeldeck­erbusse werden im Berliner Busnetz weiterhin dringend benötigt«, heißt es weiter. Das Interesse der Hersteller an dieser Marktnisch­e hält sich derzeit allerdings in Grenzen.

 ?? Foto: BVG/Nils Kremmin ?? Fast 1,5 Millionen Euro kostet dieses Ensemble aus Bus und Ladesäule am Bahnhof Zoo – die Linie 200 wird elektrifiz­iert.
Foto: BVG/Nils Kremmin Fast 1,5 Millionen Euro kostet dieses Ensemble aus Bus und Ladesäule am Bahnhof Zoo – die Linie 200 wird elektrifiz­iert.

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