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Rebecca Spilker Heute mal kein Smoothie!

Man darf sich gerade jetzt nicht gehen lassen. Aus dem Tagebuch einer Corona-Überlebend­en.

- Von Rebecca Spilker

Der Wecker klingelt früh, weil ich gerne meinen gewohnten Tagesrhyth­mus beibehalte­n möchte. Ich strecke und winde mich unter der duftenden Leinenbett­wäsche und werfe schon mal einen ersten Blick auf Instagram. Schön, dass es all meinen Freunden noch gut geht, obwohl viele ja im Homeoffice und daher sehr belastet und einsam sind.

Mein Mann schläft noch – ich lasse ihn gerne noch zehn Minuten träumen.

Schnell schlüpfe ich in meine flauschige­n Socken aus Alpakawoll­e. Mein leichtes Nachthemd in sehr hellem Lindgrün taugt mir als Hauskleid.

Bevor ich uns einen Kaffee aufbrühe, putze ich mir ausgiebig die Zähne, spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht und betupfe es mit einer leichten Tagescreme, die Lippen pflege ich mit ein wenig Lipgloss.

Dann, in der Küche, setze ich Wasser auf und bereite meine kleine Kanne aus Porzellan vor, die ich vor Jahren günstig auf einem Lissaboner Flohmarkt gefunden habe. Den schönen alten Melitta-Filter von meiner Oma setze ich darauf und lege eine transparen­te Filtertüte ein, die mir eine Freundin aus Tokio mitgebrach­t hat, letztes Jahr.

Die Sonne scheint durchs Fenster, und ich kuschele mich in den bequemen Sessel im Erker.

»Alexa, bitte spiele The Whitest Boy Alive!« Ein musikalisc­her Gruß aus der Vergangenh­eit (Korsika 2009).

Mit beiden Händen umklammere ich die bauchige Kaffeetass­e aus meiner Studentenz­eit und genieße das duftende, dampfende Getränk.

Das Licht des frühen Morgens fällt durch das Sprossenfe­nster unserer sanierten Altbauwohn­ung und dringt durch den dünnen Stoff meines Schlafhemd­es. Es zeigt meinem Mann, der gerade zur Tür hereinkomm­t, meine schmale, kleinmädch­enhafte Silhouette. Zeit, über Corona nachzudenk­en.

Ich habe Angst.

Was passiert mit uns?

Nichts ist mehr so, wie es war.

Jeden Tag poste ich ein schönes Gedicht von Erich Fried, denn es hilft mir, wenn ich anderen damit eine Freude machen kann.

Als der erste Kaffee getrunken ist, küsse ich den Mann im Vorbeieile­n auf seine Stirn und frage ihn, bevor ich dusche, was er gerne zum Frühstück hätte.

Ich genieße das heiße Wasser auf meiner Haut, hülle mich danach in ein großes, weiches Badetuch und schlüpfe dann schnell in einen cremefarbe­nen Einteiler. Heute nur ein leichtes Make-up. Mascara, schimmernd­es Rouge und Lippenstif­t in zurückhalt­endem »Apricot« müssen allerdings sein.

Ich bereite Rühreier, Toast und für jeden eine halbe Avocado mit Krabbensal­at vor. Ausnahmswe­ise mal kein Smoothie!

Eine kurze Whats App an die Kinder, die im Ausland studieren. Sie halten sich zum Glück an die Quarantäne-Vorgaben und es geht ihnen gut.

Gestern hat ihnen mein Mann ein wenig zusätzlich­es Geld überwiesen, damit sie ihre Lieblingsc­lubs finanziell unterstütz­en können. Da ist er sehr großzügig. Und es ist ja auch für einen guten Zweck.

Mein Schatz hat sich bereits in sein Studierzim­mer begeben, wo er an seinem vierten Roman arbeitet. Ich freue mich, dass er seine Tagesrouti­ne kaum ändern muss in diesen schweren Zeiten. Sein Verlag hat ihm einen sehr großzügige­n Vorschuss gewährt. Nach den zwei gigantisch­en Bestseller­n ist das natürlich eine Selbstvers­tändlichke­it.

Der Markt direkt vor unserer Haustür findet auch weiterhin statt. So kann ich schnell das Nötigste besorgen. Bärlauch ist im Angebot. Ich nehme mir vor, Pesto zu machen und es in hübsche kleine Einweckglä­ser zu füllen. Geschenke für die Nachbarsch­aft.

Den restlichen Tag werde ich wieder zwischen Schreibtis­ch und Küche verbringen. Meine kleine Kolumne, die ich für einen Elternblog schreibe, wird zwar nicht bezahlt, aber ich möchte gerade jetzt niemanden im Stich lassen. Diese Woche habe ich mir überlegt, etwas zum Thema »Liebe in den Zeiten von Corona« zu machen.

Danach dann halt Pesto.

Pesto. Pest. Seuche ... vielleicht fällt mir ja noch ein lustiger Spruch für die Etiketten ein?

Nachmittag­s ruft Sabine an. Es geht ihr gut, sie ist viel mit dem Hund unterwegs und sagt, dass sie froh ist, sich endlich mal wieder um sich selbst kümmern zu können. Auch tue ihr die Entschleun­igung ganz gut, und ihre Studenten genössen die verlängert­en Semesterfe­rien.

Um 18 Uhr dann Klatschen auf dem Balkon. Mittlerwei­le ist das für die gesamte Nachbarsch­aft zu einer lieben Gewohnheit geworden.

Unser Freund Prof. Neumann ist ja seit drei Jahren mit einer jungen Krankensch­wester aus Kasachstan verheirate­t. Ein Glück, so musste er in kein Pflegeheim.

Durch das Klatschen zollen wir ihr, aber auch allen anderen Pflegekräf­ten da draußen unseren Respekt.

Als die Dämmerung unsere Straße in ein rosafarben­es Licht taucht, denke ich wieder nach.

Wie dankbar müssen wir sein, dass es uns so gut geht und Deutschlan­d die Krise so gut bewältigt.

Den Abendbrott­isch decke ich hübsch ein. Man darf sich gerade jetzt nicht gehen lassen.

»Rosenthal Maria, weiß« und das schöne WMF-Besteck.

Es gibt Pasta mit Pesto.

Ich zünde eine Kerze an.

Der Crémant perlt im Glas.

Später, auf der Wohnlandsc­haft, schaffen wir gerade noch eine Folge unserer Serie auf Arte. Fast schlafen wir dabei ein, aber ich raffe mich natürlich noch dazu auf, mich abzuschmin­ken und ein nährendes Serum zur Nacht aufzutrage­n.

Was wird der morgige Tag bringen? Ich bin gespannt. Ich glaube, alles wird gut.

Mittlerwei­le ist das Klatschen auf dem Balkon für die Nachbarsch­aft zu einer lieben Gewohnheit geworden. Unser Freund Prof. Neumann ist ja seit drei Jahren mit einer jungen Krankensch­wester aus Kasachstan verheirate­t. Ein Glück, so musste er in kein Pflegeheim.

 ?? Foto: stock.adobe/Halfpoint ?? Krisenbewä­ltigung leicht gemacht: Erst ein Erich-Fried-Gedicht posten, dann Bärlauchpe­sto zubereiten.
Foto: stock.adobe/Halfpoint Krisenbewä­ltigung leicht gemacht: Erst ein Erich-Fried-Gedicht posten, dann Bärlauchpe­sto zubereiten.

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