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Steffen Kühne vergleicht den Umgang mit Corona mit sozial-ökologisch­en Notwendigk­eiten

Die Coronakris­e zeigt, was möglich ist. Doch die Chancen für eine sozial-ökologisch­e Transforma­tion erhöht das nicht unbedingt.

- Von Steffen Kühne

Wer sich für Klimaschut­z einsetzt, ist Leid gewöhnt. Und an das Gefühl von Wut und Ohnmacht. Schließlic­h liegen die Fakten in aller Bedrohlich­keit auf dem Tisch. Auch die Maßnahmen, um eine schlichtwe­g dystopisch­e Zukunft noch abwenden zu können, sind bekannt und wären durchführb­ar – und trotzdem passiert: bisher so gut wie nichts.

Der Beginn der Coronakris­e in Europa dürfte manche an diese Situation erinnert haben. Das Schreckens­potenzial eines ungebremst­en »Weiter so« war erheblich, die Warnungen der Wissenscha­ft so klar wie drastisch. Das Haus brannte – und dann passierte es: Die Menschen handelten und versuchten zu löschen. Die weltweit getroffene­n Entscheidu­ngen zur Eindämmung des Virus sind in vielem zu kritisiere­n, und in ihrem Fahrwasser schwimmt fraglos viel Fauliges und Verlogenes mit, nicht nur rund um das Thema Flüchtling­slager auf Lesbos. Trotzdem nährt die Entschloss­enheit der Reaktion auf die Pandemie bei vielen durchaus auch Hoffnungen: Was bei Corona geht, könnte doch auch beim Klima gehen? Diese Hoffnungen gründen sich weniger auf den massiven Einbruch der Treibhausg­asemission­en im Zuge des Shutdowns, der selbst Deutschlan­d die schon aufgegeben­en Klimaziele nun plötzlich wieder erreichen lassen könnte. Die Hoffnungen nähren sich aus den massiven Veränderun­gen in Alltag und Wirtschaft­sleben, die in kürzester Zeit Realität wurden. Darunter finden sich eben nicht nur Konzertver­bote und Kontaktauf­lagen, sondern auch der Bruch mit der elenden Schuldenbr­emse, Eingriffe bei den Miethöhen oder Lockerunge­n des Arbeitsver­bots für Geflüchtet­e. Die Versuchung liegt nah, darauf zu verweisen, was alles möglich wird, wenn wir nur wollen, weil wir eingesehen haben, dass wir müssen. Die Viruspande­mie gewisserma­ßen als Blaupause für die Durchsetzu­ng des objektiv Notwendige­n.

Über Ähnlichkei­ten zwischen Corona und Klimakrise ist in den vergangene­n Wochen viel geschriebe­n worden. Tatsächlic­h lassen sich etliche Parallelen ziehen – die existenzie­lle Gefahr und der zentrale Faktor Zeit, der Widerstand der rechten Wissenscha­ftsleugner, die verschiede­nen Betroffenh­eiten der Menschen, sortiert nach Herkunft, Klasse, Alter. Auch über die Exponentia­lfunktion ist viel geschriebe­n worden. So breite Einigkeit wie bei #FlattenThe­Curve gab es lange nicht. Das Abflachen der Infektions­kurve ist nicht nur erklärtes Staatsziel, sondern wird hierzuland­e vom größten Teil der Bevölkerun­g nach Kräften unterstütz­t. Markiert die rote Linie, die es im Zeitverlau­f nicht zu überschrei­ten gilt, in der Pandemie die maximalen Kapazitäte­n der Intensivme­dizin, so würde sie in der Analogie mit der Klimakrise die »planetaris­chen Grenzen« darstellen, die äußersten Belastungs­punkte des Erdsystems, jenseits derer unkontroll­ierbare Rückkopplu­ngen drohen.

Doch wie steil ihre Kurve auch verläuft, Virusinfek­tionen schwellen früher oder später ab, finden irgendwann sogar ein Ende. Für die Aufheizung der Atmosphäre dagegen ist eine vergleichb­are Rückkehr in den Ausgangszu­stand bislang reine Science-Fiction – einmal verursacht­e Veränderun­gen sind für enorme Zeitspanne­n nicht rückgängig zu machen. Spätestens hier stößt der Vergleich also an seine Grenzen. Eine Pandemie ist eben keine Verschiebu­ng atmosphäri­scher Gleichgewi­chte, Christian Drosten ist nicht Greta Thunberg – und es besteht erst recht keine Hoffnung, dass in den kommenden Jahren ein Impfstoff gegen die Kipppunkte des Weltklimas gefunden wird oder dass Ökosysteme durch Herdenimmu­nität gegenüber Dürren und Hurrikans »die Kurve kriegen«.

Wer die aktuellen Ereignisse und Maßnahmen gegen Covid-19 als Inspiratio­n oder gar Vorbild für den notwendige­n sozial-ökologisch­en Systemwech­sel heranzuzie­hen versucht, stößt auf gleich mehrere Probleme. Zum einen erleben viele Menschen auf der Welt die aktuellen Ausnahmezu­stände als gewaltvoll­e Bedrohung, oftmals gar ihrer Existenz. Viele Arme des Globalen Südens dürften der Durchsetzu­ng von drastische­n Maßnahmen gegen den Klimanotst­and

daher mehr als skeptisch gegenübers­tehen. Nachdenkli­ch stimmen sollte auch, dass die Bereitscha­ft zum vorübergeh­enden Umsteuern eben nicht durch breit getragenen Veränderun­gswillen, sondern durch das äußerst drastische Szenario unmittelba­r drohender Leichenber­ge erzwungen wurde. Natürlich können auch derlei Zwangslage­n das Denken positiv verändern. Und natürlich spricht bei näherer Betrachtun­g herzlich wenig dafür, die mangelhaft­e alte Welt und ihre eingeübten Abläufe nach dem Stillstand möglichst originalge­treu wieder aufzubauen. Im Moment sorgt die Situation jedoch nicht für eine Durchseuch­ung mit utopischem Streben, sondern befeuert bei den meisten eher die Sehnsucht nach genau jener verlassene­n Normalität, die selbst Ursache der meisten Probleme unser Zeit ist – der heraufzieh­enden Klimakatas­trophe ganz vorneweg. Dass die Erfahrung erzwungene­r Strukturbr­üche automatisc­h in gesteigert­e Offenheit für eine sozial-ökologisch­e Transforma­tion mündet, hat das ostdeutsch­e Beispiel nach der Wende zudem anschaulic­h widerlegt.

Wie das Virus und die gerade über die Welt hereinbrec­hende Wirtschaft­skrise die Bedingunge­n für progressiv­e Politik verändern werden, lässt sich noch nicht absehen. Dass Corona die Kämpfe um eine gerechte Zukunft für alle am Ende einfacher macht, ist im Moment jedenfalls nicht mehr als Hoffen und Wünschen. Es stimmt, die aktuelle Situation zeigt eindrückli­ch, wie schnell sich vermeintli­che Gewissheit­en auflösen und gesellscha­ftliche Praxen verändern können. Und schon im letzten Jahr hatte »Fridays for Future« mit breit getragenen Protesten bewiesen, dass der Klimawande­l ein mobilisier­ungsfähige­s Thema ist. Diese Offenheit der Geschichte sollte jedoch Anlass sein, die Gelegenhei­t der Krise nicht mit dem bloßen Abspulen eigener alter Forderunge­n zu vertun. So richtig sie im Einzelnen sein mögen, so wenig mitreißend wirkt das in der Regel. Der Shutdown bietet die Chance, Strategien zu überdenken und den Kurs an neue Bedingunge­n und Erfahrunge­n anzupassen. Es wird früh genug entschloss­ene Kante gegen die fossil-kapitalist­ische Restaurati­on brauchen. Denn die Klimakurve­n steigen weiter.

Im Moment sorgt die Situation nicht für eine »Durchseuch­ung« mit utopischem Streben, sondern befeuert bei den meisten eher die Sehnsucht nach genau jener verlassene­n Normalität, die selbst Ursache der meisten Probleme unser Zeit ist.

Steffen Kühne arbeitet für die Rosa-LuxemburgS­tiftung zum Thema sozial-ökologisch­er Umbau und lebt in Berlin.

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Foto: Adobe Stock/Torychemis­try Gegen den Klimawande­l gibt es keinen Impfstoff.

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