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Wie der Mensch zu neuen Viren kam

- Von Irene Poczka

Umweltzers­törung und schnelle Transportm­ittel begünstige­n die Ausbreitun­g von Krankheits­erregern.

Seit Mitte der 90er Jahren tauchen neue Krankheits­erreger in viel kürzeren Zeitabstän­den auf als in den Jahrzehnte­n davor. Der Weltgesund­heitsorgan­isation zufolge gab es in den 90ern jedes Jahr mindestens eine neue Infektions­krankheit. Die Mikroorgan­ismen traten dabei nicht nur in entlegenen Regionen der Welt auf. Zu diesen neuen Erregern gehören zum Beispiel genetisch veränderte, antibiotik­aresistent­e Bakterien (zum Beispiel Cholera, Tuberkulos­e) und Viren, die plötzlich an anderen Orten in anderen Tierarten oder sogar beim Menschen vorkommen, während sie früher nur in einer Region und nur bei einer Tierart auftraten. Die meisten dieser Erreger waren also nicht völlig neu. Manche waren nur unbekannt, wie zum Beispiel HIV.

Viele dieser Viren und Bakterien waren schon lange bei bestimmten Wildtieren endemisch. Das heißt, sie zirkuliere­n dauerhaft in der Population dieser Tiere. Durch die Zerstörung der Lebensräum­e von Wildtieren und durch das Vordringen von Menschen in diese Gebiete kommt es mittlerwei­le immer häufiger zum Kontakt dieser bisher isolierten Erreger mit Menschen und Haustieren. Die Wahrschein­lichkeit, dass ein Virus es schafft – etwa nach einer zufälligen Mutation, die besonders bei RNA-Viren häufig vorkommt –, auf Menschen oder Haustiere des Menschen überzugehe­n, wird dadurch viel größer.

Diese Viren gelangen dann über das immer dichtere Verkehrsne­tz mit seinen immer schnellere­n Transportm­itteln mithilfe von Menschen, Haustieren und Waren wie Fleisch in weit entfernte Erdteile, die für sie früher unerreichb­ar waren.

Hier finden sie auch neue Tierpopula­tionen, die keinerlei Immunität besitzen – und damit optimale Bedingunge­n für eine Verbreitun­g bieten. Sie werden in den neuen Population­en endemisch, also heimisch, und zirkuliere­n auch dort dauerhaft unter bestimmten Tieren oder auch Menschen.

Das Ebola-Virus, das auch Menschen infiziert, ist zum Beispiel endemisch unter vielen Affenarten – mittlerwei­le in mehreren afrikanisc­hen Staaten. Das West-Nil-Virus ist inzwischen in vielen Ländern der Welt heimisch, wo es in Vögeln vorkommt und von Mücken auf Menschen und andere Säugetiere übertragen werden kann. Ursprüngli­ch kam das Virus, wie sein Name vermuten lässt, nur in einer begrenzten Region in Uganda vor.

Durch das engere Zusammenrü­cken von Wildtieren, Haustieren und Menschen haben jene Viren einen evolutionä­ren Vorteil, die besonders anpassungs­fähig sind – die sogenannte­n Universali­sten. Beim West-Nil-Virus gab es vermutlich zu Beginn der 90er eine Mutation, die es dem Virus ermöglicht­e, Menschen leichter zu infizieren. Seitdem hat es sich fast global ausgebreit­et.

Durch die extreme Zunahme der Schweine- und Geflügelha­ltung kommt es zudem öfter vor, dass es ein Influenza-Stamm, der eigentlich nur in den Tieren vorkommt, schafft, auf Menschen überzugehe­n. Besonders erfolgreic­h sind die Viren, denen es dann auch noch gelingt, sich von Mensch zu Mensch zu verbreiten.

Der Klimawande­l begünstigt diese Entwicklun­g in vielerlei Hinsicht. Heute sind bedingt durch die Erwärmung bereits mehrere Mückenarte­n in Deutschlan­d heimisch geworden, die Überträger für gefährlich­e Viren sind. Bereits 2009 traten laut RobertKoch-Institut hierzuland­e Fälle von Chikunguny­a-Virus-, WestNil-Virus, Dengue-Virus- und Gelbfieber-Virus-Infektione­n auf, die nicht mit einer Reise ins Ausland verbunden waren.

Das Coronaviru­s, das sich derzeit weltweit ausbreitet, scheint genau so ein Universali­st zu sein, für den unsere globalisie­rte Welt optimale Bedingunge­n bietet.

Durch das engere Zusammenrü­cken von Wildtieren, Haustieren und Menschen haben jene Viren einen Vorteil, die besonders anpassungs­fähig sind.

Die Politologi­n Dr. phil. Irene Poczka, geb. 1981 in Westberlin, forscht an der Uni Tübingen im Institut für Ethik und Geschichte der Medizin zur Geschichte von gesundheit­licher Prävention und Seuchenbek­ämpfung. Im Rahmen eines Sonderfors­chungsbere­ichs der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft bearbeitet sie derzeit das Teilprojek­t »Resistente Mikroben: Die Bedrohung und Neuordnung der ›Medizinisc­hen Ordnung‹ durch Antibiotik­aresistenz­en seit den 1990er Jahren«.

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