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Das Monopol der Vermögende­n

Eigentum ist nicht individuel­l, sondern ein Machtverhä­ltnis zwischen Menschen.

- Von Stephan Kaufmann

Im Zuge der Corona-Krise wird derzeit vereinzelt eine Vermögensa­bgabe für die besonders Wohlhabend­en gefordert. In eine ähnliche Kerbe schlägt der französisc­he Ökonom Thomas Piketty: Um die krasse Ungleichhe­it der Vermögensv­erteilung zu mildern, fordert er ein garantiert­es »Erbe« von 120 000 Euro für jeden. Das empört die Vermögende­n – und einige liberale Ökonomen. Zum Beispiel Jan Schnellenb­ach von der TU Cottbus: »Ich frage mich ja«, schrieb er jüngst über Twitter, »woher Sozialiste­n immer die Überzeugun­g nehmen, sie hätten ein Recht, frei über das Eigentum fremder Leute zu verfügen.« Diesem gängigen Einwand liegt ein eigenartig­es Verständni­s zugrunde, was »Vermögen« ist.

Als Vermögen gilt der Geldwert aller Dinge, über die ein Mensch exklusiv verfügen kann, also eines Eigentums. Doch ist Eigentum

keine natürliche Kategorie und gar nicht so individuel­l, wie oft angenommen. Es ist die Gesellscha­ft, die es produziert und schützt. Zum einen rein juristisch: Eigentum ist eine Rechtskate­gorie. Sie gewährt dem Eigentümer die ausschließ­liche Verfügung über eine Sache, schließt alle anderen also von ihr aus. Eigentum ist kein Verhältnis zwischen einer Person und einer Sache, sondern ein Verhältnis zwischen Menschen.

Geschaffen und geschützt wird dieses Verhältnis vom Staat, der widerrecht­liche Aneignung – Raub, Diebstahl – unter Strafe stellt. Gleichzeit­ig aber gilt das Eigentumsr­echt nie absolut – niemand darf mit seinen Sachen tun und lassen, was er oder sie will. Um die eigenen Leistungen zu finanziere­n, bedient sich der Staat regelmäßig per Steuern und Abgaben am Eigentum. In Sondersitu­ationen, wenn das Eigentumsr­echt dem Allgemeinw­ohl entgegenst­eht, hebt er es per Enteignung ganz oder teilweise auf. Eigentum ist also nicht das, was einem »nun mal gehört«, sondern eine bedingte Leistung der Gesellscha­ft für den Eigentümer.

Auch die ökonomisch­e Seite zeigt die Gesellscha­ftlichkeit einer Sache wie Eigentum oder Vermögen. Ein Mensch mit einer Million Euro oder einer Autofabrik vermag nichts, wenn er auf einer einsamen Insel lebt – wobei die Frage offen bliebe, woher die Million und die Fabrik überhaupt kommen. Jeder Vermögende braucht die anderen. Denn sein »Vermögen« ist einerseits Ergebnis und anderersei­ts Zugriffsre­cht auf Produkte der gesellscha­ftlichen Arbeit: Wer reich ist, kann sich alles kaufen. In den Worten des Urvaters der Ökonomie Adam Smith: »Eine Person ist reich oder arm, gemäß der Menge an Arbeit, die sie kommandier­en kann.« Diese Menge an Arbeit ist abhängig vom Lohnniveau in einer Gesellscha­ft. »Das bedeutet«, so der Ökonom Branko Milanovic, »dass das Ausmaß des eigenen Vermögens in einem historisch­en Kontext geschätzt werden sollte: Wie viele Tausend Arbeitsstu­nden kann sich ein Mensch leisten, wenn er sein gesamtes Vermögen einsetzen würde?«

Vermögen im herrschend­en Wirtschaft­ssystem ist also: Macht über andere Menschen und ihre Arbeit. Offensicht­lich ist dies im Falle der reichsten Menschen der Welt, deren Reichtum vor allem aus Betriebsve­rmögen besteht. Sie zahlen Beschäftig­ten einen Lohn, damit diese in der juristisch­en Form des »Besitzdien­ers« dem Eigentümer zu Diensten sind. Kapitalist­ische Unternehme­n sind eben keine »Wertschöpf­ungsgemein­schaften«, wie der CDU-Politiker Friedrich Merz schreibt, sondern soziale Abhängigke­itsverhält­nisse, bei denen die Besitzdien­er permanent das Vermögen der »Besitzherr­en« reproduzie­ren und mehren.

Eigentum ist also nur in juristisch­er Form etwas Individuel­les. Ökonomisch gesehen existiert nur gesellscha­ftlicher Reichtum. Das Eigentum ist der Anteil daran, den Einzelne für sich monopolisi­eren können.

»Eine Person ist reich oder arm, gemäß der Menge an Arbeit, die sie kommandier­en kann.«

Adam Smith

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