nd.DerTag

Hoffnung für Angsthasen

- Von Iris Rapoport,

Boston und Berlin

Kennen Sie das auch? Dieser gemeine Ton! Noch ehe der Bohrer den Zahn berührt, vermeint man den Schmerz schon zu spüren. Man erduldet es. Denn jeder gezogene Zahn ist ein verlorener. Da haben Haie, Ratten und Krokodile es besser. Hasen auch. Deren Zähne wachsen ein Leben lang. Doch unsere insgesamt 52 (Milchzähne und bleibende) Zähne werden nur einmal vorgeburtl­ich angelegt und das war’s.

Das muss nicht so sein, dachten die Forscher um Roland Lauster von der TU Berlin. Auch für den Menschen sollte ein natürliche­s Wachstum der »Dritten« möglich sein. Aus dem Inneren gezogener Weisheitsz­ähne isolierten sie Zellen. Die kultiviert­en sie so, dass sich neue Zahnkeime bildeten. Dieser Verbund aktiviert in den Zellen die verschiede­nsten Gene. Dabei werden Botenstoff­e gebildet, sodass der Zahnkeim mit dem umliegende­n Kiefergewe­be kommunizie­ren kann. So sollte sich – entscheide­nd durch Signale aus dem umgebenden Gewebe geprägt – schließlic­h ein neuer Zahn bilden. Soweit die Hoffnung. Vorversuch­e stimmten durchaus optimistis­ch. Erste präklinisc­he Tests stehen an. Das Gute dabei: Es ist körpereige­nes Zahngewebe. Mit den eigenen adulten Stammzelle­n droht keine Gewebeabst­oßung. Zugleich werden auch ethische Probleme vermieden. Nicht nur die Erneuerung eines kompletten Zahnes, auch die Heilung von Karies könnte künftig mit zahneigene­n Zellen möglich sein.

Unsere Zähne sind mit einer extrem harten Schicht überzogen, dem Zahnschmel­z. Das darunter befindlich­e Dentin ist weicher und ähnelt, wie auch der im Wurzelbere­ich befindlich­e Zahnzement, eher unseren Knochen. Alle drei Zahnhartge­webe werden durch unterschie­dliche Zellen gebildet. Die den Schmelz bildenden Ameloblast­en gehen beim Zahndurchb­ruch unwiederbr­inglich verloren. Dagegen bleiben die für das Dentin verantwort­lichen Odontoblas­ten und etliche Stammzelle­n erhalten. Allerdings taugen die Odontoblas­ten, so wie sie angeordnet und programmie­rt sind, nicht zu Reparatura­rbeiten. Sie mauern eher langsam das im Zahninnern gelegene Weichgeweb­e, die Pulpa, zu.

Generell haben Stammzelle­n bei der Wundheilun­g eine Schlüssels­tellung. Sie können sich in die jeweils benötigten spezialisi­erten Zelltypen umwandeln. Immer ist es die gleiche Handvoll Signalwege, die bei der Entwicklun­g von Stammzelle­n deren Schicksal bestimmt. Das geschieht stets fein abgestimmt mit Faktoren, die das umliegende Gewebe produziert. Prinzipiel­l schlummern diese Möglichkei­ten auch in den Stammzelle­n unserer Zähne.

Bei den theoretisc­hen Grundlagen, diese Möglichkei­ten zu nutzen, ist das internatio­nale Forscherte­am um Bing Hu von der University of Plymouth’s Peninsula Dental School einen wichtigen Schritt vorangekom­men (DOI: 10.1038/s41467-019-11611-0). Für einen der zentralen Signalwege, Notch genannt, hat die Gruppe um Hu den Botenstoff identifizi­ert, der die Stammzelle­n aktiviert und eine Geweberege­nerierung zur Zahnheilun­g anregt. Es ist ein Protein, das auf der Grundlage eines Gens namens Dlk1 gebildet wird.

Das ist ein Anfang. Alle bisherigen Versuche wurden an Mäusezähne­n durchgefüh­rt. Es ist noch ein langer Weg, bevor an die Anwendung beim Menschen zu denken ist. Doch vielleicht können Löcher in Zähnen zukünftig genauso heilen wie andere Wunden auch. Dann wären Berichte von aufheulend­en Bohrern Gruselgesc­hichten, denen kommende Generation­en erschauder­nd lauschen.

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