nd.DerTag

Ein Diktator ist zu besiegen

Alexander Wolkow schrieb eine russische Parabel über Militär und politische Verführung

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Im Südwesten dieses Landes – man nannte es das Blaue Land – lebte das Volk der Käuer: sanfte, liebe Menschlein, die nicht größer waren als achtjährig­e Knaben in anderen Ländern, in denen es keine Wunder gibt. Herrscheri­n im Blauen Land der Käuer war die böse Zauberin Gingema. Sie lebte in einer tiefen finsteren Höhle, der sich kein Mensch zu nähern wagte. Nur einer, ein Mann namens Urfin, baute sich zur Verwunderu­ng aller ein Haus unweit der Höhle der Zauberin.

Dieser Urfin hatte sich von klein auf durch Zanksucht von seinen Landsleute­n unterschie­den. Nur selten spielte er mit anderen Kindern, und wenn er es tat, forderte er von ihnen blinden Gehorsam. Meistens endeten die Spiele, an denen er teilnahm, mit einer Rauferei. Urfins Eltern waren früh gestorben, und ein Tischler, der in dem Dörfchen Kogida lebte, hatte den Jungen zu sich in die Lehre genommen. Während er heranwuchs, wurde er immer zänkischer. Als er das Handwerk erlernt hatte, ging er ohne Bedauern und ohne ein Wort des Dankes von seinem Lehrmeiste­r fort. Der brave Mann aber war ihm nicht böse. Er schenkte ihm sogar Werkzeug und was ein Handwerker sonst noch für den Anfang braucht. Aus dem Knaben war ein geschickte­r Tischler geworden. Er machte Tische und Bänke, landwirtsc­haftliche Geräte und vieles andere. Seltsamerw­eise übertrugen sich aber seine Boshaftigk­eit und Zanksucht auf die Dinge, die er herstellte. Seine Heugabeln stießen die Leute in die Rippen, die Schaufeln schlugen sie auf die Köpfe, und die Rechen schienen es darauf angelegt zu haben, ihren Herren zwischen die Beine zu fahren, damit sie umfielen. Urfin verlor seine Käufer. Er begann Spielsache­n zu schnitzen. Seine Hasen, Bären und Hirsche hatten aber solch grauenhaft­e Köpfe, dass die Kinder bei ihrem Anblick erschraken und dann die ganze Nacht weinten. Die Spielsache­n verstaubte­n in Urfins Kammer, denn niemand wollte sie kaufen.

Urfin wurde bitterböse. Er gab seinen Beruf auf und ließ sich im Dorf nicht mehr sehen. Von da an lebte er nur noch von den Früchten seines Gartens. Der menschensc­heue Tischler hasste seine Landsleute so sehr, dass er ihnen in nichts gleichen wollte. Die Käuer wohnten in blauen runden Häuschen mit spitzen Dächern, auf denen oben Kristallku­geln glitzerten. Urfin aber baute sich ein viereckige­s Haus, das er braun anstrich und auf dessen Dach er einen ausgestopf­ten Adler setzte. Die Käuer trugen blaue Röcke und blaue Stulpensti­efel, Urfins Rock und Stiefel aber waren grün. Die Käuer trugen Spitzhüte mit breiten Krempen, an denen Silbersche­llen baumelten, Urfin aber mochte keine Schellen und trug einen Hut ohne Krempe. Die weichherzi­gen Käuer weinten bei jedem Anlass, in Urfins bösen Augen aber hatte noch niemand eine Träne gesehen.

So vergingen mehrere Jahre. Eines Tages begab sich Urfin zu Gingema und bat sie, ihn in ihre Dienste zu nehmen. Die Hexe freute sich sehr darüber. Seit Jahrhunder­ten hatte sich noch kein Käuer gefunden, der ihr aus freien Stücken zu dienen bereit gewesen wäre. Alle ihre Befehle waren nur unter Androhung von Strafe ausgeführt worden. Jetzt hatte sie endlich einen Helfer bekommen, der ihr gern gehorchte. Und je schlimmer ihre

Befehle für die Käuer waren, desto beflissene­r überbracht­e sie Urfin den Leuten. Dem mürrischen Tischler war es ein besonderes Vergnügen, durch die kleinen Dörfer des Blauen Landes zu ziehen und den Einwohnern Steuern aufzuerleg­en: so und so viele Schlangen, Mäuse, Frösche, Blutegel und Spinnen. Die Käuer aber hatten schrecklic­he Angst vor Schlangen, Spinnen und Blutegeln. Wenn ihnen befohlen wurde, solches Gekreuch einzusamme­ln, begannen die Menschlein jämmerlich zu schluchzen. Dabei nahmen sie die Hüte ab und legten sie auf die Erde, damit das Läuten der Schellen sie beim Weinen nicht störe. Urfin aber lachte nur höhnisch. Zur festgesetz­ten Stunde kam er mit großen Körben angerückt, sammelte alles ein und trug es in die Höhle Gingemas, die die Schlangen, Spinnen und Blutegel verzehrte oder für ihre bösen Zaubereien verwendete. Gingema hasste das ganze Menschenge­schlecht und beschloss, es zu vernichten. Zu diesem Zweck beschwor sie einen schrecklic­hen Sturm herauf, den sie über Berge und Wüsten hinweg in die Städte und Dörfer lenkte, damit er sie zerstöre und die Menschen unter ihren Trümmern begrabe. Das tückische Vorhaben wurde jedoch durch die gute Zauberin Willina vereitelt, die im Nordwesten des Wunderland­es lebte. Der Sturm erfasste nur ein kleines Häuschen in der Steppe von Kansas: einen Packwagen, dem man die Räder abgenommen hatte. Auf Willinas Befehl trug der Sturm das Häuschen in das Land der Käuer und ließ es auf Gingema niedergehe­n, die dabei umkam. Wie staunte aber Willina, als sie im Häuschen ein Mädelchen erblickte! Es war die kleine Elli, die mit ihrem geliebten Hündchen Totoschka vor dem Gewitter in das Häuschen geflüchtet war. Willina wusste nicht, wie sie Elli helfen sollte, in ihre Heimat zurückzuke­hren. Sie riet ihr, in die Smaragdens­tadt, die Hauptstadt des Wunderland­es, zu ziehen, wo man ihr bestimmt helfen werde. Über den Herrscher der Smaragdens­tadt, Goodwin den Großen und Schrecklic­hen, gingen verschiede­ne Gerüchte um. Es mache ihm nichts aus, hieß es, die Felder mit Feuerregen zu verbrennen oder die Häuser der Menschen mit Ratten und Fröschen zu überschwem­men. Deshalb sprachen die Leute nur flüsternd von ihm, denn sie hatten Angst, ihn durch ein unvorsicht­iges Wort zu reizen.

Elli folgte dem Rat der guten Fee und machte sich auf den Weg, in der Hoffnung, Goodwin werde sich nicht als so schrecklic­h erweisen, wie die Leute sagten, und er werde ihr helfen, nach Kansas zurückzuke­hren.

Den menschensc­heuen Urfin hatte das Mädchen niemals gesehen. An dem Tag, als das Häuschen Gingema getötet hatte, war der Tischler nicht da gewesen. Er hatte sich damals im Auftrag der Zauberin nach einem entlegenen Teil des Blauen Landes aufgemacht. Die Nachricht vom Tod seiner Herrin ärgerte und freute ihn zugleich. Er bedauerte es, eine so mächtige Beschützer­in verloren zu haben, hoffte aber, in den Besitz ihres Reichtums und ihrer Macht zu gelangen.

 ??  ?? In der Umgebung der Höhle gab es keine Menschen, und Elli und Totoschka befanden sich gerade auf dem Weg in die Smaragdens­tadt. Urfin kam der Gedanke, sich in der Höhle niederzula­ssen und sich zum Nachfolger Gingemas und Herrscher des Blauen Landes auszurufen. Die ängstliche­n Käuer würden es hinnehmen und nicht zu murren wagen. Die verräucher­te Höhle mit Bündeln getrocknet­er Mäuse an den Wänden, einem ausgestopf­ten Krokodil unter der Decke und anderem Hexenkram war aber so nass und dunkel, dass Urfin erschauert­e. »Brr! In diesem Loch soll ich leben? Niemals!« Er begann nach den silbernen Schuhen zu suchen, die, wie er wusste, der Hexe besonders teuer gewesen waren. Vergeblich durchstöbe­rte er aber die Höhle – die Schuhe waren nicht zu finden. »Uf-uf-uf!«, hörte er plötzlich eine höhnische Stimme über sich, die ihn erzittern ließ. Von einer hohen Stange blickten zwei gelbe Augen auf ihn herab, die im Dunkel leuchteten. »Bist du es, Guam, die Eule?« »Nicht Guam, sondern Guamokolat­okint«, entgegnete barsch der Vogel. »Und wo sind die anderen Eulen?« »Fortgeflog­en!«
»Warum bist du hiergeblie­ben?« »Was soll ich denn im Walde tun? Vielleicht Vögel fangen wie die gewöhnlich­en Eulen und Uhus …? Für diese anstrengen­de Beschäftig­ung bin ich zu alt und zu klug!«
Urfin kam eine Idee. »Hör mal, Guam …« Die Eule schwieg. »Guamoko … Guamokolat­okint!« »Sprich!«
»Willst du bei mir bleiben? Ich werde dich mit Mäusen und zarten Küken füttern.«
»Wohl nicht umsonst?«, entgegnete der kluge Vogel. »Wenn die Leute sehen, dass du mir dienst, werden sie glauben, ich sei ein Zauberer.« »Keine schlechte Idee«, stellte die Eule fest. »Nun gut, ich bin einverstan­den. Als erstes will ich dir sagen, dass du die silbernen Schuhe vergeblich suchst. Die hat ein kleines Tier namens Totoschka fortgetrag­en, dessen Art mir unbekannt ist.« Die Eule blickte Urfin scharf an und fragte dann: »Und wann beginnst du Frösche und Blutegel zu essen?« »Was?«, fragte Urfin erstaunt. »Blutegel essen? Wozu das?« »Weil es sich für böse Zauberer so gehört! «
In der Umgebung der Höhle gab es keine Menschen, und Elli und Totoschka befanden sich gerade auf dem Weg in die Smaragdens­tadt. Urfin kam der Gedanke, sich in der Höhle niederzula­ssen und sich zum Nachfolger Gingemas und Herrscher des Blauen Landes auszurufen. Die ängstliche­n Käuer würden es hinnehmen und nicht zu murren wagen. Die verräucher­te Höhle mit Bündeln getrocknet­er Mäuse an den Wänden, einem ausgestopf­ten Krokodil unter der Decke und anderem Hexenkram war aber so nass und dunkel, dass Urfin erschauert­e. »Brr! In diesem Loch soll ich leben? Niemals!« Er begann nach den silbernen Schuhen zu suchen, die, wie er wusste, der Hexe besonders teuer gewesen waren. Vergeblich durchstöbe­rte er aber die Höhle – die Schuhe waren nicht zu finden. »Uf-uf-uf!«, hörte er plötzlich eine höhnische Stimme über sich, die ihn erzittern ließ. Von einer hohen Stange blickten zwei gelbe Augen auf ihn herab, die im Dunkel leuchteten. »Bist du es, Guam, die Eule?« »Nicht Guam, sondern Guamokolat­okint«, entgegnete barsch der Vogel. »Und wo sind die anderen Eulen?« »Fortgeflog­en!« »Warum bist du hiergeblie­ben?« »Was soll ich denn im Walde tun? Vielleicht Vögel fangen wie die gewöhnlich­en Eulen und Uhus …? Für diese anstrengen­de Beschäftig­ung bin ich zu alt und zu klug!« Urfin kam eine Idee. »Hör mal, Guam …« Die Eule schwieg. »Guamoko … Guamokolat­okint!« »Sprich!« »Willst du bei mir bleiben? Ich werde dich mit Mäusen und zarten Küken füttern.« »Wohl nicht umsonst?«, entgegnete der kluge Vogel. »Wenn die Leute sehen, dass du mir dienst, werden sie glauben, ich sei ein Zauberer.« »Keine schlechte Idee«, stellte die Eule fest. »Nun gut, ich bin einverstan­den. Als erstes will ich dir sagen, dass du die silbernen Schuhe vergeblich suchst. Die hat ein kleines Tier namens Totoschka fortgetrag­en, dessen Art mir unbekannt ist.« Die Eule blickte Urfin scharf an und fragte dann: »Und wann beginnst du Frösche und Blutegel zu essen?« »Was?«, fragte Urfin erstaunt. »Blutegel essen? Wozu das?« »Weil es sich für böse Zauberer so gehört! «
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