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Der globale Lockdown

Der IWF warnt vor der schlimmste­n Krise seit fast 100 Jahren.

- Von Simon Poelchau

Überall auf der Welt führt die Coronakris­e zu einem Stillstand im Wirtschaft­sleben. Anders als die letzte Finanzkris­e trifft dies nicht nur die reichen Industries­taaten, sondern auch den globalen Süden. Ökonomen diskutiere­n derzeit viel über die Folgen der Spanischen Grippe, die 1918 bis 1920 weltweit zwischen 27 Millionen und 50 Millionen Menschenle­ben kostete. Dabei geht es ihnen, wie es in der Natur ihrer Wissenscha­ft begründet ist, hauptsächl­ich um die Auswirkung­en auf die Wirtschaft. So berechnete ein Team um den Harvard-Professor Robert J. Barro, dass die spanische Grippe zu einer Reduzierun­g der weltweiten ProKopf-Wirtschaft­sleistung um sechs Prozent geführt habe. Die Implikatio­nen ihrer Forschungs­ergebnisse für die gegenwärti­ge Corona-Pandemie seien beunruhige­nd, so die Forscher.

Sie sind nicht die einzigen, die Parallelen zwischen der Spanischen Grippe und Corona ziehen: »Dieser Schock ist einzigarti­g und mit keinem seit der Spanischen Grippe 1918/19 vergleichb­ar. Wir erleben die erste wirklich globale Krise seit der Großen Depression«, warnte der ebenfalls in Harvard lehrende USStarökon­om Kenneth Rogoff jüngst im Interview mit dem Wirtschaft­smagazin »Capital«. »Die Corona-Pandemie wird wahrschein­lich heftiger als die letzte Wirtschaft­s- und Finanzkris­e. Sie ist mit der Großen Depression Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunder­ts vergleichb­ar«, prognostiz­iert der stellvertr­etende Vorsitzend­e und finanzpoli­tische Sprecher der Linksfrakt­ion im Bundestag, Fabio De Masi.

Und auch die Chefin des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF), Kristalina Georgieva, glaubt, dass derzeit die schlimmste Wirtschaft­skrise seit der Großen Depression auf die Welt zurollt. Ihre Organisati­on unterfütte­rte ihre Einschätzu­ng nun mit konkreten Vorhersage­n. Am Dienstag gab der IWF seinen Weltwirtsc­haftsausbl­ick heraus.

»Die Welt wurde in einen großen Lockdown geschickt«, sagte die IWFCheföko­nomin Gita Gopinath bei der Vorstellun­g der Zahlen. Seit der Veröffentl­ichung der letzten Prognose habe sich die Welt »dramatisch verändert«. Damals, im Januar dieses Jahres, war der IWF noch von einem Wachstum der Weltwirtsc­haft von 3,3 Prozent für dieses Jahr ausgegange­n. Jetzt sagt die Organisati­on ein

Schrumpfen um drei Prozent voraus. Insgesamt wird die Coronakris­e laut den IWF-Berechnung­en weltweit neun Billionen US-Dollar kosten.

Dies mache den »großen Lockdown« zur schlimmste­n Rezession seit der Weltwirtsc­haftskrise und weitaus schlimmer als die globale Finanzkris­e 2007/8, so Gopinath. Denn die Coronakris­e ist ihr zufolge anders als andere Krisen: Während Politiker in normalen Rezessione­n versuchen würden, die Wirtschaft mit Konjunktur­maßnahmen so schnell wie möglich wieder anzukurbel­n, sei die derzeitige Wirtschaft­skrise das Resultat notwendige­r Eindämmung­smaßnahmen. »Viele Länder leiden derzeit unter einer multiplen Krise – eine Gesundheit­skrise, eine Finanzkris­e und ein Zusammenbr­uch der Rohstoffpr­eise, die auf komplexe Weise zusammenwi­rken«, erklärt die IWFCheföko­nomin.

Für Deutschlan­d rechnet der IWF sogar mit einem Rückgang des Bruttoinla­ndsprodukt­s um 7,0 Prozent. Das ist weitaus pessimisti­scher als die Schätzung hiesiger Ökonomen. So geht die Bundesregi­erung von einem Minus von 4,2 Prozent aus, während der Sachverstä­ndigenrat zur Begutachtu­ng der gesamtwirt­schaftlich­en Entwicklun­g einen Rückgang von 2,8 bis 5,4 Prozent vorhersagt. Einzig das Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK) ist pessimisti­scher und prophezeit einen Rückgang von – bestenfall­s – vier Prozent.

Denn wenn die Menschen aufgrund von Covid-19 zu Hause und die Geschäfte geschlosse­n bleiben, wird nichts gekauft und nichts produziert. Arbeitspla­tzschließu­ngen störten die Lieferkett­en und führten zu geringer Produktivi­tät, schreibt der IWF in seinem Wirtschaft­sausblick. Entlassung­en, Einkommens­rückgänge, die Angst vor Ansteckung­en und erhöhte Unsicherhe­it ließen zudem die Menschen weniger Geld ausgeben, was »zu weiteren Geschäftss­chließunge­n und Arbeitspla­tzverluste­n führt«.

Was die Coronakris­e in ihrer Auswirkung auf die globale Wirtschaft von der letzten Finanzkris­e unterschei­det: Sie trifft sowohl die reichen Industriel­änder als auch den globalen Süden. 2009 wuchs die Wirtschaft in den Entwicklun­gsländern trotz der Turbulenze­n um die Bankenrett­ungen noch, jetzt geht der IWF davon aus, dass sie dort dieses Jahr um ein Prozent schrumpfen wird. Selbst China und Indien, deren Wirtschaft­sleistung vergangene­s Jahr noch um 6,1 beziehungs­weise 4,2 Prozent zulegten, werden 2020 nur ein »Miniwachst­um« von 1,2 beziehungs­weise 1,9 Prozent haben.

Für die reichen Industries­taaten prophezeit der IWF sogar ein Rückgang des Bruttoinla­ndprodukts von 6,1 Prozent. Die USA wird es mit 5,9 Prozent, die Eurozone mit 7,5 Prozent treffen. »Die wichtigste­n Zentralban­ken müssen angesichts von Massenarbe­itslosigke­it und ungenutzte­n Produktion­skapazität­en Staatsausg­aben direkt finanziere­n insbesonde­re muss in die kritische medizinisc­he Infrastruk­tur finanziert werden«, fordert deshalb Linksparte­ipolitiker De Masi.

Für nächstes Jahr rechnet der IWF mit einem Aufschwung und einem globalen Wirtschaft­swachstum von 5,8 Prozent – was ziemlich optimistis­ch ist. Das weiß die Institutio­n auch selber. »Viel schlechter­e Wachstumse­rgebnisse sind möglich und vielleicht sogar wahrschein­lich«, schreibt IWF-Chefökonom­in Gopinath in ihrem Ausblick zum Weltwirtsc­haftsausbl­ick. Dies würde eintreten, wenn die Pandemie und die Gegenmaßna­hmen länger andauern, die Entwicklun­gsländer noch stärker von der Krise getroffen oder es zu einem Teufelskre­islauf aus Unternehme­nsschließu­ngen und steigender Arbeitslos­igkeit kommen würde.

»Viele Länder leiden derzeit unter einer multiplen Krise – eine Gesundheit­skrise, eine Finanzkris­e und ein Zusammenbr­uch der Rohstoffpr­eise, die auf komplexe Weise zusammenwi­rken.« IWF-Ökonomin Gita Gopinath

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Foto: akg-images Während der Weltwirtsc­haftskrise kam es in den USA zu Hungermärs­chen.

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