nd.DerTag

Abi oder Unterricht

Beides gleichzeit­ig ist nicht drin, so Berliner Schulleite­r.

- Von Rainer Rutz

Immer mehr Stimmen fordern Berlins Bildungsve­rwaltung auf, die Abschlussp­rüfungen abzusagen. Wichtiger als das Abprüfen von Wissen sei eine schrittwei­se Wiederaufn­ahme des Unterricht­s.

Der Streit um die ab kommenden Montag geplanten Abschlussp­rüfungen reißt nicht ab. Ob Schülerver­treter, Leiter von Gymnasien und Sekundarsc­hulen, Gewerkscha­fter oder der Koalitions­partner Linksparte­i: Sie alle fordern von Berlins Bildungsse­natorin Sandra Scheeres (SPD), die Prüfungen in diesem Schuljahr aufgrund der Coronakris­e entweder gänzlich abzusagen oder den Schülern die Teilnahme freizustel­len.

Die Senatorin selbst hält bisher unbeirrt an ihren Plänen fest, das Prüfungspe­nsum durchziehe­n zu lassen. »Die Abiturprüf­ungen sollen wie geplant ab dem 20. April beginnen«, heißt es auf nd-Anfrage aus der Bildungsve­rwaltung. Rückendeck­ung bekommt Scheeres von Berlins Regierende­m Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD). »Das muss man jetzt auch wirklich umsetzen«, sagte Müller am Dienstagab­end in der Abendschau des RBB auf die Frage, ob Berlin an den Prüfungen festhalten will.

Zusätzlich­e Brisanz erhält der Streit nun durch die im Raum stehenden Überlegung­en, den Unterricht demnächst wieder schrittwei­se aufzunehme­n. Welche Klassenstu­fen dabei als erste ans Netz gehen könnten oder sollten, ist zwar aktuell völlig offen. Gleichwohl ließ Scheeres am Dienstag durchblick­en, dass sie hier am ehesten an die Oberstufe denkt. So nannte sie die Empfehlung der Nationalen Akademie der Wissenscha­ften Leopoldina, mit den unteren Klassen zu beginnen, »eine wichtige, aber nicht die einzige Stellungna­hme zum Thema«.

Genau bei den Oberstufen ist das Wiedereins­tiegsszena­rio aber »unrealisti­sch«, sagt Sven Zimmerschi­ed, Leiter der Friedensbu­rg-Oberschule in Charlotten­burg. Schließlic­h besteht die Bildungsve­rwaltung zugleich auf der Durchführu­ng der Abschlussp­rüfungen. »Beides gleichzeit­ig ist im Augenblick aber nicht zu machen. Dafür bräuchten wir einfach viel mehr Personal«,

sagt Zimmerschi­ed. Das Problem an der von ihm geleiteten Integriert­en Sekundarsc­hule: Fast die Hälfte des Personals gehört einer der Risikogrup­pen an, die nicht für eine Tätigkeit in der Schule eingesetzt werden sollen. Da aber nach derzeitige­r Planung bis zu 20 der insgesamt 26 Schultage bis Ende Mai Prüfungsta­ge sein werden, wäre die einsetzbar­e andere Hälfte nahezu komplett durch die Prüfungen gebunden.

Auch Zimmerschi­ed plädiert dafür, die Prüfungen in diesem Jahr auszusetze­n. Die nicht immer leichte »Daheimbesc­hulung« der letzten Wochen habe die Bedeutung der Schule als wichtigem Ort des Aufenthalt­s und der Begegnung noch einmal deutlich gezeigt. »Daher halten wir es für wichtiger, den Unterricht in Teilen wieder hochzufahr­en, als Prüfungen durchzufüh­ren«, so Zimmerschi­ed.

Was in der Diskussion um die Abschlussp­rüfungen und die schrittwei­se Wiederaufn­ahme des Lehrbetrie­bs zudem bisweilen zu kurz kommt, ist die Frage nach den hygienisch­en Bedingunge­n an den Schulen. »In den meisten Berliner Schulen war die Reinigungs­leistung bereits vor der Coronakris­e unzureiche­nd«, heißt es hierzu in einem Positionsp­apier der Vereinigun­g der Berliner ISS-Schulleite­rinnen und -Schulleite­r, der auch Zimmerschi­ed

angehört. Gestützt wird diese Aussage durch eine vor Kurzem durchgefüh­rte Umfrage des Landesschü­lerausschu­sses (LSA). Demnach sagten fast zwei Drittel der über 3000 befragten Berliner Schüler, dass die Toiletten an ihren Schulen »dreckig oder sehr dreckig und unhygienis­ch« sind; über die Hälfte gab an, dass Seife »selten oder nie vorhanden« ist. Das Fazit des LSA: »Die Hygienesta­ndards an den Berliner Schulen reichen bei Weitem nicht aus.«

Auch Philipp Dehne von der Landesarbe­itsgemeins­chaft Bildung und Schule der Berliner Linksparte­i betont, dass sich in der jetzigen Situation Probleme, die es bereits vor den Schulschli­eßungen gab, noch einmal in aller Deutlichke­it zeigen. »Dass ein ausreichen­der gesundheit­licher Schutz für die Schülerinn­en, Schüler und Lehrkräfte gewährleis­tet werden kann, ist fragwürdig.« Dehne, der sich wie andere Politiker der Linken klar gegen die Durchführu­ng von Abschlussp­rüfungen ausspricht, sieht in den Senatsvorg­aben zu den einzuhalte­nden Abstandsre­geln ohnehin eine eklatante »Widersprüc­hlichkeit«: »Das ist doch merkwürdig: Demonstrat­ionen wie die der Seebrücke dürfen trotz Mindestabs­tand nicht stattfinde­n, aber bis zu 15 Schüler in einem Raum sind okay?«

»Dafür bräuchten wir einfach viel mehr Personal.« Sven Zimmerschi­ed, Leiter der Friedensbu­rg-Oberschule

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Foto: dpa/Frank Rumpenhors­t
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Foto: dpa/Bernd Wüstneck Und immer an die Abstandsre­geln denken!

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