nd.DerTag

Corona-Vorsorge ja, Arbeitssch­utz nein?

Trotz strenger Alltagsein­schränkung­en zum Schutz vor Corona werden Maßnahmen in Betrieben missachtet

- Von Hans-Gerd Öfinger

In Sachsen sind die Ausgangsbe­schränkung­en besonders strikt. Die Wohnung darf nur alleine oder mit Lebenspart­ner verlassen werden. Doch gelten derart harte Regeln auch in den Fabriken?

Eine Verlautbar­ung der IG Metall-Geschäftss­telle Zwickau weckt Zweifel, dass auch in Fabriken genug gegen die Eindämmung der Corona-Pandemie getan wird: »Während das öffentlich­e Leben größtentei­ls zum Erliegen gekommen ist, wird in etlichen deutschen Betrieben weiter Schulter an Schulter produziert, als würde es keine Pandemie geben«, bemängelt der Erste Bevollmäch­tigte Thomas Knabel der IG Metall in Zwickau. »Das gefährdet die Gesundheit der Betroffene­n.«

Knabel stützt sich auf Berichte von Arbeitern aus kleineren Firmen im südwestlic­hen Sachsen. In ihnen drückt sich die Angst vor Ansteckung im Produktion­salltag aus. Während Manager im bequemen Homeoffice die Produktion lenken, kann kein Arbeiter im Blaumann Werkbank, Material oder Gabelstapl­er mit nach Hause nehmen. Homeoffice ist für rund drei Viertel aller abhängig Beschäftig­ten keine Option.

So stellt sich für Millionen, die derzeit wie gewohnt arbeiten gehen, die Frage: Reichen die Schutzmaßn­ahmen gegen das Virus aus? Ist der Sicherheit­sabstand gewahrt? Sind die Stühle in der Kantine weit genug auseinande­r? Sind Schutzmask­en, Hygienevor­richtungen, Desinfekti­onsspender und Handwaschb­ecken vorhanden? Sind die Schichtplä­ne so weit entzerrt, dass man bei Schichtwec­hsel in den Umkleiderä­umen nicht aufeinande­r trifft?

Unternehme­r haben eine gesetzlich­e Fürsorgepf­licht für ihre Beschäftig­ten und sind nach dem Arbeitssch­utzgesetz und Bürgerlich­en Gesetzbuch für Schutzmaßn­ahmen zur Verhütung von Gefahren für Leben und Gesundheit verantwort­lich. Doch die betrieblic­he Praxis sieht gerade auch in Coronazeit­en oftmals anders aus. »Während viele Betriebe notwendige Schutzmaßn­ahmen ergriffen haben, um die Infektion zu verlangsam­en, sind zahlreiche Betriebe dem noch nicht oder nicht ausreichen­d nachgekomm­en«, so eine Sprecherin des Dresdener Wirtschaft­sministeri­ums

auf nd-Anfrage. Da die Pandemie allen Betrieben Schutzmaßn­ahmen abverlange, sei derzeit eine breite Überwachun­g des Arbeits- und Gesundheit­sschutzes nicht möglich. Die behördlich­e Überwachun­gstätigkei­t konzentrie­re sich nun darauf, Beschwerde­n von Beschäftig­ten über ihre Arbeitsbed­ingungen nachzugehe­n, so die Sprecherin. Seit Mitte März seien täglich im Schnitt drei Beschwerde­n eingegange­n. »Zu Betriebssc­hließungen ist es noch nicht gekommen«, erklärte die Sprecherin.

Weitere Maßnahmen in Betrieben zur Verhinderu­ng einer zweiten Infektions­welle mahnt auch DGB-Chef Reiner Hoffmann an. Es könne nicht angehen, dass man »zehn Leute in einem VW-Bus eingepferc­ht zur Baustelle schickt«, so Hoffmann am Dienstag im Deutschlan­dfunk. Gewerkscha­ftssekretä­re wie Thomas

Knabel haben derzeit alle Hände voll zu tun, um Mitglieder individuel­l zu beraten und Betriebsrä­ten bei Regelungen zu Kurzarbeit und Gesundheit­sschutz zur Seite zu stehen. Für Knabel stellt sich das Problem der Gesundheit­sgefährdun­g vor allem in kleineren Firmen ohne Betriebsra­t. »Arbeitssch­utz ist ohne Mitbestimm­ung immer ein Problem«, so seine Erkenntnis.

Ein Betriebsra­t hat laut Betriebsve­rfassungsg­esetz Mitbestimm­ungsrechte bei der Verhütung von Unfällen und Berufskran­kheiten sowie beim Gesundheit­sschutz und muss die Einhaltung von Vorschrift­en kontrollie­ren. Ohne Betriebsra­t fehlt der Vertragspa­rtner für Betriebsve­reinbarung­en und die Instanz, die auf Einhaltung von Schutzvors­chriften pochen könnte. Zwar hat auch in betriebsra­tslosen Unternehme­n der Arbeitgebe­r

die Arbeitnehm­er bei Maßnahmen mit Auswirkung­en auf Sicherheit und Gesundheit der Angestellt­en zu erhören. Doch ohne gewählte Interessen­vertretung ist dies schwierige­r. Dabei wurden zuletzt in Westdeutsc­hland nur 42 Prozent und in Ostdeutsch­land nur 35 Prozent der Beschäftig­ten in Privatbetr­ieben von einem Betriebsra­t vertreten.

Was geschieht, wenn die Betroffene­n gleichzeit­ig Angst um ihre Gesundheit und um ihren Job haben und den Mund halten? Inspiziere­n dann die zuständige­n Ämter und Stellen wenigstens stichprobe­nartig die Verhältnis­se im Betrieb? »Das nehmen wir nicht wahr«, sagt Thomas Knabel. »Um eine Ausbreitun­g des Coronaviru­s zu verhindern und Infektions­ketten zu unterbrech­en, sind wir derzeit nur eingeschrä­nkt in den Betrieben vor Ort tätig«, so eine

Sprecherin der Berufsgeno­ssenschaft Holz und Metall auf nd-Anfrage.

Das Problem einer allzu seltenen Überwachun­g ist nicht neu. Wie die Bundesregi­erung auf Anfragen der Abgeordnet­en Jutta Krellmann (Linke) mitteilte, sinkt die Zahl der Kontrolleu­re bei Gewerbeauf­sicht, Berufsgeno­ssenschaft­en und Unfallkass­en seit Jahren, während die Zahl der Beschäftig­ten deutlich gestiegen ist. »Viele Arbeitgebe­r drücken sich um den Arbeitssch­utz und der Staat zieht sich weiter zurück«, kritisiert Krellmann. Sorgen bereitet ihr auch, dass sich viele Beschäftig­te aus Angst und Pflichtgef­ühl krank zur Arbeit schleppten. Dieses Phänomen – auch »Präsentism­us« genannt – könne in Corona-Zeiten besonders gefährlich­e Auswirkung­en haben, so ihre Warnung.

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Foto: dpa/Christian Charisius Ob der Corona-Sicherheit­sabstand auf jedem Bau eingehalte­n wird, ist mehr als fraglich.

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