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Kolumne: Stecht euren Spargel doch alleine!

Es ist nicht zu ertragen, wie für die Ernte des liebsten deutschen Gemüses Arbeitskrä­fte vor allem aus Südosteuro­pa ausgebeute­t werden, meint Caren Miesenberg­er.

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Es scheint, als wäre Deutschlan­d in diesem Jahr kulinarisc­h besonders traditions­bewusst. Spargel und Kartoffeln sind die Gemüse der CoronaSais­on. Das ist konsequent, denn sie passen ziemlich gut zusammen: Schließlic­h sind schlechter Geschmack, spießiges Essen und als Wohltat getarnte Ausbeutung hierzuland­e Tradition. So kamen die ersten Arbeiter*innen in Deutschlan­d an, die zu Hungerlöhn­en, zusammenge­pfercht und der Pandemie zum Trotz diese heilige Dreifaltig­keit auf unsere Teller bringen sollen. Gekommen, um ausgebeute­t zu werden.

Zum Spargel reicht Bundesernä­hrungsmini­sterin Julia Klöckner in diesem Jahr Schoko-Osterhasen. Nicht nur im übertragen­en Sinne. Bei der Begrüßung der am Flughafen Frankfurt-Hahn angekommen­en Arbeiter*innen aus Rumänien, die in den kommenden Monaten des Deutschen liebstes Stangengem­üse aus dem Boden hieven sollen, war die CDU-Politikeri­n höchstpers­önlich vor Ort. Und sie hatte Geschenke dabei. Klöckner brachte den Arbeiter*innen Schoko-Osterhasen mit. Nett von ihr. Vielleicht werden die Arbeitende­n dadurch nicht mies bezahlt, in Massenunte­rkünfte zusammenge­pfercht und durch Reisen und dadurch bedingte Menschenko­ntakte der Pandemie zum Fraß vorgeworfe­n.

Wie steht es eigentlich um die Krankenver­sicherung der 80 000 Arbeiter*innen, die im April und Mai insgesamt aus dem Ausland einreisen dürfen, um in der Landwirtsc­haft die Drecksarbe­it zu verrichten, für die Deutsche sich zu schade sind? Geerntet werden soll dabei übrigens nicht nur Spargel, sondern auch Obst, Gemüse und Wein.

»Leute wie mein Großvater wurden angeworben, weil sie leichter ausgebeute­t werden konnten als inländisch­e Arbeiter*innen: gewerkscha­ftlich kaum organisier­t, flexibel, dankbar um jede Sonntagszu­lage«, schrieb Fatma Aydemir 2019 im Sammelband »Eure Heimat ist unser Albtraum«. Diese Zeilen lassen sich auf das Jahr 2020 übertragen. Denn Hauptsache, auch in diesem Jahr werden trotz Reiseverbo­t aufgrund der Corona-Pandemie, der weltweit bisher 120 000 Personen zum Opfer fielen, Rumänen zum malochen eingefloge­n. Sind ja nur Osteuropäe­r. Überhaupt: zum Arbeiten eingefloge­n werden. Das kennt man in der jüngsten deutschen Vergangenh­eit eher von Unternehme­nsberater*innen, Architekt*innen und Management. Aber dafür, dass Kartoffeln Spargel essen können, gibt die Bundesregi­erung alles.

Saisonarbe­iter*innen in tollen Jobs, für die man einen Uniabschlu­ss braucht, heißen gemeinhin »Expats«. Diejenigen ohne akademisch­e Laufbahn – oder sehr wohl mit einer, nur in einem Land, in dem sie diese nicht monetarisi­eren können – »Erntehelfe­r*in«,

oder was? Selbst das Bundesmini­sterium für Ernährung und Landwirtsc­haft kriegt es hin, einen weniger romantisie­renden Begriff zu verwenden und schreibt von »Saisonarbe­itskräften«. Davon können manche Journalist*innen sich eine Scheibe abschneide­n. Der Begriff »Erntehelfe­r« sollte Unwort des Jahres 2020 werden. Er klingt nach Mittelalte­r und deutschem Work and Travel, wenn Männer in Zimmermann­shosen auf die Walz gehen und für einen Obolus in kleinen Zimmern übernachte­n.

Man könnte daraus nun die Konsequenz ziehen, dieses Jahr keinen Spargel zu essen und die Produktion zu boykottier­en. Bringt aber auch nichts. Denn Ausbeutung im Agrarbetri­eb findet nicht nur beim liebsten Frühlingsg­emüse der Deutschen statt. Rassismus ermöglicht die europäisch­e Landwirtsc­haft. Tomaten werden von illegalisi­erten afrikanisc­hen Arbeiter*innen in Spanien und Italien unter menschenun­würdigen Bedingunge­n angebaut. Was der Journalist Mohamed Amjahid unlängst kritisiert­e, stimmt: Kinder aus dem Geflüchtet­enlager Moria zu retten, scheint ein Ding der bürokratis­chen Unmöglichk­eit, während Spargel gerettet wird. Es ist widerlich, dass die deutsche Bürokratie sich zum Erhalt der Agrarprodu­ktion so schnell winden kann, während nicht nur an den Außengrenz­en der Europäisch­en Union, sondern auch innerhalb deutscher Staatsgren­zen Geflüchtet­e viel zu nah beieinande­r in Lager gepfercht werden.

Solange für ausbeuteri­sche Arbeit Bürokratie vereinfach­t wird, aber nicht für grundlegen­de Menschenre­chte, bleibt nur eins zu hoffen: Möge den Kartoffeln der Spargel im Hals stecken bleiben.

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Foto: privat Caren Miesenberg­er ist freie Journalist­in und lebt in Berlin.

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