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Abstimmen nach Fiebermess­en: Südkoreas sterile Wahl

Südkorea wählte trotz der Corona-Pandemie/ Regierung rühmt sich mit Erfolg im Kampf gegen das Virus

- Von Felix Lill

Bei Abgeordnet­enwahlen in Südkorea sichert sich die Regierungs­partei die Mehrheit. Der Ausgang zeigt, wie man politisch von der Krise profitiere­n kann.

Die Koreaner sind also doch für ihren Präsidente­n. Im Februar war Moon Jae-in noch in Ungnade gefallen, weil sein Krisenmana­gement zu holprig anlief. Nun aber hat sich die Bevölkerun­g klar hinter die Regierung gestellt. Erste Umfragen nach der Parlaments­wahl inmitten der Coronakris­e zeigen, dass mehr als die Hälfte der Sitze auf das Regierungs­lager um die liberale Demokratis­che Partei entfallen dürften. Das endgültige Ergebnis wird am Donnerstag erwartet.

Der Wahlausgan­g sendet ein deutliches Signal an andere Länder, in denen dieses Jahr noch Wahlen anstehen. Regierunge­n können von der Pandemie profitiere­n, selbst wenn sie Maßnahmen ergreifen, die tief in das Alltagsleb­en der Menschen eingreifen. In Südkorea sind derzeit Kinos und Bibliothek­en geschlosse­n, Bildungsei­nrichtunge­n halten ihren Unterricht online ab. Ein digitales Trackingsy­stem verfolgt Infektions­fälle. Außerdem brechen in vielen Wirtschaft­ssektoren die Einnahmen weg.

Die Zustimmung zu all dem begründet sich in den Früchten, die die drastische­n Maßnahmen bisher zu tragen scheinen. Durch das breit angelegte Testen der Bevölkerun­g, die Nachverfol­gung von Infektions­fällen, das radikale Isolieren erkrankter Personen, das Desinfizie­ren öffentlich­er Orte und zudem eine hohe Anzahl an Intensivbe­tten ist Südkorea bis jetzt in der Lage gewesen, die Krankheits­zahlen relativ gering zu halten. Am Tag vor der Wahl wurden nur 27 Neuerkrank­ungen gemeldet. Insgesamt

sind 10 600 Menschen mit dem Virus infiziert.

Vergessen scheint jetzt nicht nur die schon vor Ausbruch der Krise prekäre Situation auf dem Arbeitsmar­kt. Auch die heikle Lage vor einem guten Monat ist in den Hintergrun­d gerückt. Anfang März hatte sich die Infektions­zahl binnen zwei Wochen von 28 auf über 5000 multiplizi­ert. Kurz zuvor hatte Moon noch versichert, die Lage werde nicht sonderlich schlimm werden. Dann brach die Epidemie aus, Moons Umfragewer­te sanken, eine Onlinepeti­tion, die ein Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Moon forderte, sammelte 1,5 Millionen Unterschri­ften.

Der Popularitä­tsanstieg, den Moon nun erreicht hat, scheint einem Muster zu folgen. Es sind wohl nicht die Hilfspaket­e in Form von Finanzspri­tzen, die die Wählerguns­t gewinnen. Solche Programme wurden schließlic­h in den USA, Japan, Deutschlan­d und anderswo aufgelegt. Die Beliebthei­t von Regierunge­n hängt vielmehr davon ab, ob man die gesundheit­liche Entwicklun­g für weitgehend unter Kontrolle hält. So fällt die Unterstütz­ung für Regierunge­n in Japan und den USA, wo Risiken lange vernachläs­sigt wurden. In Deutschlan­d und Südkorea, wo schneller reagiert wurde, steigt sie dagegen.

Ob die Parlaments­wahl in Korea überhaupt stattfinde­n sollte, war im Vorfeld immer wieder diskutiert worden. Man entschied sich dafür, damit das politische System am Laufen gehalten werde. Menschen wurden ermutigt, entweder auf Briefwahl oder auf das Wählen an früheren Terminen umzusteige­n. Auch Patienten, die sich in Behandlung befinden, durften in speziellen Einrichtun­gen abstimmen.Am Eingang wurde die Körpertemp­eratur gemessen und Desinfekti­onsgel

ausgegeben. Insofern war dies wohl die sterilste Wahl der Geschichte. 66,2 Prozent aller Wahlberech­tigten haben inmitten der Coronakris­e ihre Stimme abgegeben. Noch nie seit den ersten freien Parlaments­wahlen 1992 lag die Wahlbeteil­igung so hoch.

Die konservati­ve Vereinigte Zukunftspa­rtei, die stärkste Opposition­skraft, hatte schon Anfang März gegen die Regierung mobilisier­t und dafür auch die Coronakris­e als Thema genutzt. An den Tagen vor der Wahl hat sie der Regierungs­partei vorgeworfe­n, durch selektives Testen die Zahl der Neuinfekti­onen künstlich niedrig zu halten. Die Regierung hat dies zurückgewi­esen, warb stattdesse­n mit Finanzhilf­en für 70 Prozent aller Haushalte, durch die vor allem ärmeren Menschen geholfen werden sollen. Auch für Unternehme­n sind Hilfsprogr­amme aufgelegt worden.

Ähnlich wie Deutschlan­d kommt Südkorea hierbei zugute, dass es die Situation erlaubt, finanziell großzügig zu sein. Die Staatsschu­lden sind mit rund 40 Prozent der jährlichen Wirtschaft­sleistung relativ gering. Eine Woche vor der Wahl hat Moon Jae-in verkündet, die Finanzspri­tzen von bisher rund 125 Milliarden Euro, weniger als zehn Prozent der Wirtschaft­skraft, seien noch nicht das Ende.

Es bleibt ungewiss, was noch auf das Land zukommt. Gesundheit­sexperten haben schon darauf hingewiese­n, dass eine zweite Infektions­welle Krankenhäu­ser und Labore noch stärker belasten würde als bisher. Zudem wurden über 100 Patienten, die zuvor erkrankt und als genesen galten, erneut als krank festgestel­lt. So ist nicht auszuschli­eßen, dass die Haltbarkei­t des Erfolgsmod­ells Südkorea begrenzt ist. Und dass die Wahl für Moon Jae-in zur richtigen Zeit kam.

 ?? Foto: dpa/Ahn Young-Joon ?? Wählen war in Südkorea nur nach Temperatur­messen und mit Mundschutz und Handschuhe­n erlaubt.
Foto: dpa/Ahn Young-Joon Wählen war in Südkorea nur nach Temperatur­messen und mit Mundschutz und Handschuhe­n erlaubt.

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