Geldregen und zugedrückte Augen
Weil die Banken in Rahmen der Coronakrise mehr Kredite vergeben sollen, sind die Finanzaufsichten derzeit weniger streng
Droht nach der Coronakrise eine neue Finanzkrise? Bankenaufsicht und Regulierungsbehörden lockern die Regeln. Besonders heikel ist das zum Beispiel in Osteuropa.
Die meisten Banker arbeiten seit nunmehr über zwei Wochen Zuhause. Das wirft viele Sicherheitsfragen auf. Besonders streng sind etwa die Sicherheitsanforderungen für den Wertpapierhandel. Schließlich ist der Handels von Staatspapieren, Aktien und Devisen für jede Volkswirtschaft »systemkritisch« und gleichzeitig störungsanfällig. Die Finanzaufsicht stellt daher besonders hohe Anforderungen an Datenleitungen, Datenschutz und Dokumentation des Handelsverlaufs. Für einige kritische Funktionen muss sich daher immer eine bestimmte Zahl wichtiger Mitarbeiter vor Ort befinden.
Die Deka-Bank, das Wertpapierhaus der Sparkassen, sichert sich gegen Corona-Ausfälle, »indem sie die Teams teilt und austauscht, teilweise wird aus dem Home-Office gearbeitet«, erklärt ein Sprecher der Bank. Bei den Sparkassen werde das auch so gehandhabt, »dass alle wichtigen Funktionen natürlich aufrecht erhalten bleiben«. Im März hatte die Bundesfinanzaufsicht Bafin die Mindestanforderungen an das Risikomanagement gelockert, Home-Office generell erlaubt und zugesagt, Verstöße »vorübergehend« nicht zu beanstanden.
Dabei ist diese Lockerung durch Bafin und Bundesbank nur eine unter vielen. So dürfen Banken und Sparkassen beispielsweise ihren »antizyklischen Kapitalpuffer« ausgeben, Kredite für Unternehmen laxer prüfen, Zins- und Tilgungsfristen für Verbraucher verlängern. Auch wurde für 2021 geplante
Stresstest um ein Jahr verschoben. Mit all dem schließen sich die deutschen Finanzaufpasser entsprechenden Empfehlungen der EU-Aufsichtsinstanzen und internationaler Standardsetzern an.
Für den in der Coronakrise nötigen Geldregen sorgt die Europäische Zentralbank (EZB). EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat ein gewaltiges Notprogramm über 750 Milliarden Euro angekündigt. Plus X: Die Notenbank werde »tun, was auch immer nötig ist«. Weltweit in Vorbereitung ist offenbar eine Öffnung von »Basel III«, dem international grundlegenden Bankenregelwerk: Die aberhundert Milliarden Euro schweren Hilfskredite, die in den kommenden Wochen an die Wirtschaft vergeben und von Staaten mehr oder weniger vollständig verbürgt werden, müssten dann nicht mehr auf das Eigenkapital der Banken angerechnet werden. Dadurch könnten Geldinstitute
fast beliebig viele Kredite vergeben.
Zudem hat der Baseler Ausschuss, der so etwas wie eine weltweite Bankenaufsicht ist, die Einführung neuer Eigenkapitalregeln um ein Jahr auf den 1. Januar 2023 verschoben. »Die Verschiebung des Basel III-Reformpakets erlaubt es den Instituten, sich in diesem Jahr auf die Bewältigung der Corona-Krise zu konzentrieren«, frohlockte deshalb Joachim Wuermeling, der für Banken- und Finanzaufsicht zuständige Bundesbank-Vorstand. So wären die Mindestkapitalanforderungen für deutsche Banken laut einer Studie um 26,9 Prozent gestiegen. Insgesamt hätten die Institute rund 17,2 Milliarden Euro mehr Kapital vorhalten müssen.
Hinter diesen Deregulierungsmaßnahmen steht eine Strategie der Vorwärtsverteidigung. Im Unterschied zur Finanzkrise, als es um das Überleben der Banken ging, sollen die Kreditinstitute nun die Realwirtschaft durch einen Geldregen retten. Überleben große Teile der Wirtschaft die Coronakrise, werden auch die meisten Banken einigermaßen unbeschadet daraus hervorgehen.
Banken sollten dieses Mal Teil der Lösung sein, und nicht des Problems, versichert Agustín Carstens, Generaldirektor der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Die BIZ in Basel gilt als Zentralbank der Zentralbanken. »Um existenzfähige Unternehmen über Wasser zu halten, ist es notwendig, die ›letzte Meile‹ zu jenen Firmen, die am Abgrund stehen, zu überbrücken.« Damit Banken dies leisten können, sollten sie auf Dividendenzahlungen an ihre Aktionäre verzichten. An diese Empfehlung scheinen sich die meisten Institute zu halten. Verluste müssten später von der Regierung, also von der Staatskasse, getragen werden. Carstens: »Natürlich werden dabei Fehler nicht zu vermeiden sein.«
Angesichts der wirtschaftlichen Verwerfungen, die die Coronakrise hervorruft, wird kaum Kritik an dieser Vorwärtsverteidigung laut. Heikel ist sie dennoch. Die Finanzbranche durchlebt ohnehin einen »kräftigen Wandel«, hat die Bafin schon vor einem Jahr gewarnt. Kräftig genug, »um Geschäftsmodelle, Unternehmen und sogar ganze Märkte aus den Angeln zu heben«, so Bafin-Präsident Felix Hufeld. Er meinte mit diesen Worten vor allem den digitalen Wandel. Aber auch das Problem der notleidenden Kredite kommt zurück. Zwar ging der Anteil an Schrottkrediten seit der Finanzkrise deutlich zurück, aber in Italien, Portugal, Kroatien und Bulgarien ist er vier Mal so hoch wie in Deutschland. Und in Griechenland gelten über 35 Prozent der gesamten Kreditsumme als »faul«.