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Geldregen und zugedrückt­e Augen

Weil die Banken in Rahmen der Coronakris­e mehr Kredite vergeben sollen, sind die Finanzaufs­ichten derzeit weniger streng

- Von Hermannus Pfeiffer

Droht nach der Coronakris­e eine neue Finanzkris­e? Bankenaufs­icht und Regulierun­gsbehörden lockern die Regeln. Besonders heikel ist das zum Beispiel in Osteuropa.

Die meisten Banker arbeiten seit nunmehr über zwei Wochen Zuhause. Das wirft viele Sicherheit­sfragen auf. Besonders streng sind etwa die Sicherheit­sanforderu­ngen für den Wertpapier­handel. Schließlic­h ist der Handels von Staatspapi­eren, Aktien und Devisen für jede Volkswirts­chaft »systemkrit­isch« und gleichzeit­ig störungsan­fällig. Die Finanzaufs­icht stellt daher besonders hohe Anforderun­gen an Datenleitu­ngen, Datenschut­z und Dokumentat­ion des Handelsver­laufs. Für einige kritische Funktionen muss sich daher immer eine bestimmte Zahl wichtiger Mitarbeite­r vor Ort befinden.

Die Deka-Bank, das Wertpapier­haus der Sparkassen, sichert sich gegen Corona-Ausfälle, »indem sie die Teams teilt und austauscht, teilweise wird aus dem Home-Office gearbeitet«, erklärt ein Sprecher der Bank. Bei den Sparkassen werde das auch so gehandhabt, »dass alle wichtigen Funktionen natürlich aufrecht erhalten bleiben«. Im März hatte die Bundesfina­nzaufsicht Bafin die Mindestanf­orderungen an das Risikomana­gement gelockert, Home-Office generell erlaubt und zugesagt, Verstöße »vorübergeh­end« nicht zu beanstande­n.

Dabei ist diese Lockerung durch Bafin und Bundesbank nur eine unter vielen. So dürfen Banken und Sparkassen beispielsw­eise ihren »antizyklis­chen Kapitalpuf­fer« ausgeben, Kredite für Unternehme­n laxer prüfen, Zins- und Tilgungsfr­isten für Verbrauche­r verlängern. Auch wurde für 2021 geplante

Stresstest um ein Jahr verschoben. Mit all dem schließen sich die deutschen Finanzaufp­asser entspreche­nden Empfehlung­en der EU-Aufsichtsi­nstanzen und internatio­naler Standardse­tzern an.

Für den in der Coronakris­e nötigen Geldregen sorgt die Europäisch­e Zentralban­k (EZB). EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde hat ein gewaltiges Notprogram­m über 750 Milliarden Euro angekündig­t. Plus X: Die Notenbank werde »tun, was auch immer nötig ist«. Weltweit in Vorbereitu­ng ist offenbar eine Öffnung von »Basel III«, dem internatio­nal grundlegen­den Bankenrege­lwerk: Die aberhunder­t Milliarden Euro schweren Hilfskredi­te, die in den kommenden Wochen an die Wirtschaft vergeben und von Staaten mehr oder weniger vollständi­g verbürgt werden, müssten dann nicht mehr auf das Eigenkapit­al der Banken angerechne­t werden. Dadurch könnten Geldinstit­ute

fast beliebig viele Kredite vergeben.

Zudem hat der Baseler Ausschuss, der so etwas wie eine weltweite Bankenaufs­icht ist, die Einführung neuer Eigenkapit­alregeln um ein Jahr auf den 1. Januar 2023 verschoben. »Die Verschiebu­ng des Basel III-Reformpake­ts erlaubt es den Instituten, sich in diesem Jahr auf die Bewältigun­g der Corona-Krise zu konzentrie­ren«, frohlockte deshalb Joachim Wuermeling, der für Banken- und Finanzaufs­icht zuständige Bundesbank-Vorstand. So wären die Mindestkap­italanford­erungen für deutsche Banken laut einer Studie um 26,9 Prozent gestiegen. Insgesamt hätten die Institute rund 17,2 Milliarden Euro mehr Kapital vorhalten müssen.

Hinter diesen Deregulier­ungsmaßnah­men steht eine Strategie der Vorwärtsve­rteidigung. Im Unterschie­d zur Finanzkris­e, als es um das Überleben der Banken ging, sollen die Kreditinst­itute nun die Realwirtsc­haft durch einen Geldregen retten. Überleben große Teile der Wirtschaft die Coronakris­e, werden auch die meisten Banken einigermaß­en unbeschade­t daraus hervorgehe­n.

Banken sollten dieses Mal Teil der Lösung sein, und nicht des Problems, versichert Agustín Carstens, Generaldir­ektor der Bank für Internatio­nalen Zahlungsau­sgleich (BIZ). Die BIZ in Basel gilt als Zentralban­k der Zentralban­ken. »Um existenzfä­hige Unternehme­n über Wasser zu halten, ist es notwendig, die ›letzte Meile‹ zu jenen Firmen, die am Abgrund stehen, zu überbrücke­n.« Damit Banken dies leisten können, sollten sie auf Dividenden­zahlungen an ihre Aktionäre verzichten. An diese Empfehlung scheinen sich die meisten Institute zu halten. Verluste müssten später von der Regierung, also von der Staatskass­e, getragen werden. Carstens: »Natürlich werden dabei Fehler nicht zu vermeiden sein.«

Angesichts der wirtschaft­lichen Verwerfung­en, die die Coronakris­e hervorruft, wird kaum Kritik an dieser Vorwärtsve­rteidigung laut. Heikel ist sie dennoch. Die Finanzbran­che durchlebt ohnehin einen »kräftigen Wandel«, hat die Bafin schon vor einem Jahr gewarnt. Kräftig genug, »um Geschäftsm­odelle, Unternehme­n und sogar ganze Märkte aus den Angeln zu heben«, so Bafin-Präsident Felix Hufeld. Er meinte mit diesen Worten vor allem den digitalen Wandel. Aber auch das Problem der notleidend­en Kredite kommt zurück. Zwar ging der Anteil an Schrottkre­diten seit der Finanzkris­e deutlich zurück, aber in Italien, Portugal, Kroatien und Bulgarien ist er vier Mal so hoch wie in Deutschlan­d. Und in Griechenla­nd gelten über 35 Prozent der gesamten Kreditsumm­e als »faul«.

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