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»Wir fahren auf Sicht«

Seefahrerm­etaphern prägen in Covid-19-Zeiten die Bildende Kunst: Wie gehen Galerien und Ausstellun­gshäuser in Berlin mit der Krise um?

- Von Tom Mustroph

Was wären Museen und Galerien ohne Kunst? In der Kunststadt Berlin haben die Bewegungse­inschränku­ngen im Zuge der Pandemie die Ausstellun­gshäuser hart getroffen. Privaten Galerien sind die Einnahmen komplett weggebroch­en. Die Gesprächss­ituation zwischen potenziell­en Käufern, Künstlern und dem Galeristen könne man online nicht simulieren, meint Kristian Jarmuschek von der Berliner Galerie Jarmuschek und Partner. »Man begibt sich dabei in einen Raum und tritt in Beziehung zu dem Kunstwerk. Es gibt kein digitales Format, dass diese Beziehung vermitteln kann, zumindest nicht einem vertretbar­en Verhältnis von Aufwand und Nutzen«, konstatier­t Jarmuschek. Verkäufe fänden deshalb in der gegenwärti­gen Situation gar nicht statt. Geplante Ausstellun­gen hat Jarmuschek verschoben. »Wir fahren auf Sicht«, beschreibt er die Kalenderpl­anungen.

Noch härter als die Umstellung­en im eigenen Ausstellun­gsbetrieb traf ihn die notwendige Verschiebu­ng der von ihm mitorganis­ierten Messe Paper Positions. Mit den verschiede­nen Aussteller­n und Künstlern hält er per Videokonfe­renz Kontakt. »Wir bitten unsere Partner auch um kurze Videostate­ments zu ihrer jetzigen Situation«, erzählt er dem »nd«. Die Videos sollen dann als Erinnerung­sbilder während der Messe gezeigt werden.

In den öffentlich finanziert­en Ausstellun­gshäusern schlägt die Situation weniger bedrohlich aus. Der großzügig angelegte Skulpturen­park rings um das Haus am Waldsee kann einzeln oder zu zweit sogar weiter besucht werden. Die Hälfte der Mitarbeite­r sei in Kurzarbeit, die andere Hälfte arbeite Vollzeit an kommenden Projekten oder der Nachbereit­ung

vergangene­r Projekte weiter, teilt Sprecher Erik Günther dem »nd« mit.

Im Gropius-Bau bemühte sich Direktorin Stephanie Rosenthal, dass zumindest der Aufbau der neuen Ausstellun­g des taiwanesis­chen Künstlers Lee Mingwei abgeschlos­sen werden konnte. »So sind wir bereit, wenn die Beschränku­ngen wieder aufgehoben werden und die Menschen zu uns kommen können«, sagt sie dem »nd«. Der Ausstellun­gsaufbau sorgte auch dafür, dass einige der freischaff­enden Mitarbeite­r noch ein paar Tage länger bezahlt werden konnten. Für die Festangest­ellten gilt Home-Office. Die Aufsichtsk­räfte sind in Kurzarbeit. Bei diesem über eine externe Firma angestellt­en Personal prüft Rosenthal derzeit, wie lange das fehlende Drittel des Lohns beigesteue­rt werden kann.

Kleinere Ausstellun­gshäuser sind durch die laufenden Kosten gleich direkt in ihrer Existenz gefährdet. Bei der Neuen Gesellscha­ft für Bildende Kunst (NGBK) etwa sind die Aufsichtsk­räfte über Minijob-Verträge angestellt. Das ist einerseits eine prekäre Situation für die Beschäftig­ten. Anderersei­ts berechtigt sie dies zu Lohnfortza­hlungen seitens des Arbeitgebe­rs. »Auf diesen Kosten bleiben wir sitzen und müssen sie aus unseren nicht vorhandene­n Rücklagen bezahlen«, beschreibt Annette Maechtel, Geschäftsf­ührerin der NGBK, das Dilemma.

Problemati­sch für den basisdemok­ratisch organisier­ten Kunstverei­n ist auch, dass die Aufsichtsk­räfte aus Projektmit­teln finanziert werden. Weil die Projekte aber auf einen späteren Zeitraum verschoben wurden, stehen diese Mittel zum Teil jetzt noch nicht zur Verfügung. Paradox ist, dass ausgerechn­et das Aufsichtsp­ersonal in der NGBK, also dem traditione­ll linken der beiden Berliner Kunstverei­ne, schlechter­gestellt ist im Vergleich zu den größeren Häusern.

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