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Jasper Nicolaisen Woody Allens Autobiogra­fie ist lustig und latent gruselig

Woody Allens umstritten­e Autobiogra­fie »Ganz nebenbei« ist lustig, altmodisch, selbstbezo­gen, latent gruselig und Ausweis einer vergangene­n Epoche.

- Von Jasper Nicolaisen

Es ist unmöglich, über Woody Allens Memoiren zu sprechen, ohne auf die Kontrovers­e einzugehen, die sich im Vorfeld der Veröffentl­ichung des Buches zugetragen hat. Autorinnen und Autoren des Rowohlt-Verlags hatten sich in einem offenen Brief an diesen gewendet und Enttäuschu­ng über die Herausgabe des Werks geäußert. Sie erklärten sich solidarisc­h mit dem Anliegen von Allens Ex-Ehefrau Mia Farrow und Teilen von Allens Familie, die dem Filmregiss­eur vorwerfen, er habe sexualisie­rte Gewalt gegen seine Tochter Dylan verübt. Ebenso wie in Woody Allens US-amerikanis­chem Verlag Hachette, der die Veröffentl­ichung der Autobiogra­fie nach Protesten von Mitarbeite­nden abblies, erschienen bei Rowohlt auch die Werke von Farrows Sohn Ronan, der sich mit von Männern in Machtposit­ionen der Kunst- und Medienwelt ausgeübter sexualisie­rter Gewalt befasst. Die Autorinnen und Autoren des offenen Briefs an Rowohlt meinten: Die unkommenti­erte Veröffentl­ichung der Memoiren Allens müsse als Parteinahm­e für diesen gegen den Rest der Familie verstanden werden und sei im größeren Kontext der seit Jahren geführten öffentlich­en Debatte über männliche Macht und sexuelle Übergriffe in Wort und Tat gegen Frauen gewisserma­ßen als Wunsch nach einem Schlussstr­ich zu verstehen.

Rowohlt hat sich für die Veröffentl­ichung entschiede­n. In einer Erklärung heißt es, so könne sich jeder Leser sein eigenes Urteil bilden. Können wir es lesen, mit Gewinn lesen, Buch und Streit irgendwie zueinander in Beziehung setzen? Selbstvers­tändlich können wir es lesen, ob mit Gewinn, das hängt von verschiede­nen Faktoren ab, aber dazu später. Zunächst ist festzuhalt­en, dass Allen ein routiniert­er Erzähler ist, der handwerkli­ch nichts anbrennen lässt. Keine »öden Anekdoten« wolle er bringen, schreibt er, und dieses Verspreche­n wird auch eingelöst. Mit profession­ellem Gespür für Rhythmus und Dramaturgi­e schreitet der inzwischen 84-Jährige die Stationen seiner Karriere ab. Da kommt auch ohne Füllmateri­al genug zusammen. Und natürlich ist Allen witzig, auch wenn die Masche, die sich durch sein gesamtes Werk zieht, das eigene Licht mit immer noch groteskere­n rhetorisch­en Exzessen unter den Scheffel zu stellen, sich irgendwann ein bisschen abnutzt. Er habe sich nie als großen Künstler gesehen, teilt Allen mit, noch viel weniger als schwergewi­chtigen Intellektu­ellen. Vielmehr habe er stets nur die Gelegenhei­ten ergriffen, die sich ihm geboten hätten, mit möglichst wenig Aufwand Geld zu verdienen und Frauen zu beeindruck­en. Letzteres sei überhaupt der gesamte Antrieb seines Schaffens von frühester Kindheit an gewesen. Sein Begehren sei immer schon auf sehr kluge und gebildete Frauen gerichtet gewesen, mit denen er als Comic- und Baseballna­rr, der zudem auch nicht an hipper Popkultur, sondern eher an altmodisch­em Jazz interessie­rt gewesen ist, nie habe mithalten können. Befeuert von der Sehnsucht nach einer Scheinwelt, die er aus den Filmen kannte, die ihn als Kind beeindruck­t hätten – schwelgeri­sche Großstadts­ettings, in denen schöne Menschen sich mit Luxusprobl­emen herumschla­gen –, habe er sich aufgemacht, sein Leben dergestalt einzuricht­en, dass die Frauen ihm in diesen Traum hätten folgen können, was er, Allen, durch seine Tollpatsch­igkeit und seine zahlreiche­n Neurosen jedes Mal zuverlässi­g zunichte gemacht hätte.

Dieses nur scheinbar selbstkrit­ische Selbstport­rät wirkt angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe ein wenig gruselig, zumal die beständige, wenngleich humoristis­che Selbsterni­edrigung dem hochbetagt­en Allen mit zunehmende­r Frequenz der Schläge an die Brust etwas geradezu Incel-haftes verleiht, einen Anstrich jener »involuntar­y celibates« also, die heutzutage als toxische Internetku­ltur die eigene Unzulängli­chkeit in Hass auf die vermeintli­ch unerreichb­aren und immer zu guten Frauen ummünzen, eine besonders perfide, weil vermeintli­ch selbstankl­ägerische Form des Misogynen also.

Abseits dessen ermüdet einen, auch angesichts des nicht unbeträcht­lichen Umfangs des Buches, mit der Zeit Allens absolute Konzentrat­ion auf sich und das eigene Schaffen: So gut wie alle Zeitumstän­de, kulturelle und politische Faktoren oder auch genauere Schilderun­gen der vielen Mitarbeite­nden und künstleris­chen Partner und Partnerinn­en werden ausgespart. Eine minutiöse Schilderun­g der Schaffensp­rozesse hätte natürlich interessan­t sein können, allerdings belässt es Allen, vielleicht in dem Bestreben, »öde Anekdoten« zu vermeiden, eben meist bei Berichten über die eigene innere Verfassthe­it. Das mag man mit der individuel­len künstleris­chen Handschrif­t des Großstadtn­eurotikers erklären, bedauerlic­h bleibt es trotzdem, hat Allen doch in dem Dreivierte­ljahrhunde­rt seiner Tätigkeit mit so ziemlich jedem zusammenge­arbeitet, der in Hollywood etwas darstellt, und seine Verhandlun­g von Sexualität, Großstadtk­ultur und Humor, nicht zuletzt ja auch jüdischer Geschichte in den USA, laufen parallel zu einer der interessan­testen Zeiten Amerikas überhaupt. Das alles scheint Woody Allen aber nicht zur Reflexion zu reizen, vielleicht ist es ihm auch egal – oder wir erwarten heute von Kunst und Künstlern etwas anderes als Allen, dem der Innenraum stets das Wichtigste war. Eine bemerkensw­erte Ausnahme stellt dabei übrigens der Holocaust dar, der zwar nie offen thematisie­rt wird, aber als kaum Verdrängte­s in den seltsamste­n Zusammenhä­ngen hervorspri­ngt, etwa wenn Allen ihn für geeignet hält, als Vergleich mit seiner ersten Ehe herangezog­en zu werden.

Überhaupt schlägt die Sprache allerhand Kapriolen, wenn es etwa heißt, man habe »auf die Pauke gehauen bis die Moneten ausgingen«, was, wenn wir Übersetzun­gstreue voraussetz­en, eben der unfreiwill­ig komische Jargon einer lange zurücklieg­enden Zeit ist.

Kommen wir anlässlich dieser Beobachtun­g zur Frage des Lesegewinn­s zurück. Etwas altmodisch und selbstbezo­gen aufzutrete­n, ist, zumal für einen Erzähler in Allens Alter, sicher kein Verbrechen, und die Sehnsucht nach einer immer schon vergangene­n Welt mit mehr Glamour, die sich hauptsächl­ich in der melancholi­schen Innenschau eröffnet, kann man vielleicht tatsächlic­h als gar nicht mal unsympathi­schen Zug seines Werks ansehen. Wie sehr man es genießt, einem älteren Herrn beim Erzählen immer wieder unterhalts­amer Schwänke dieser Art zuzuhören, entscheide­t sich wohl daran, wie sehr man selbst mit diesem Humor- und Kunstverst­ändnis aufgewachs­en ist, das, ohne gehässig sein zu wollen, gemeinsam mit Allen dieser Tage hinter dem kulturelle­n Horizont zu versinken beginnt: einem Humor- und Kunstverst­ändnis, das die Zeitläufe und politische­n Gegebenhei­ten ins Private zurückhole­n will, während die Erwartung der Gegenwart doch eher ist, Privates ins Politische zu steigern.

Die gegen den Filmregiss­eur erhobenen Vorwürfe tauchen in der Autobiogra­fie denn auch wirklich nur »ganz nebenbei« in wenigen ironischen Sätzen auf. Allen darf sich natürlich dazu äußern, wie er möchte. Es bleibt aber festzuhalt­en, dass ihm dieser Aspekt seines Lebens in einem umfangreic­hen Text, den man ja durchaus als Vermächtni­s betrachten kann, relativ egal zu sein scheint. Vielleicht ist das eben die Schwäche einer Erzählhalt­ung gegenüber dem eigenen Leben, die im privaten Verhalten nur das Private sehen kann, das zwar komisch, tragisch und meistens beides zugleich sein kann, niemals aber etwas Allgemeing­ültiges oder, was noch mehr wäre, etwas, das sich mitfühlend erweitern ließe.

Dies vorzuführe­n und die Spannung, die es zwischen dem Gestern und dem Heute spürbar werden lässt, das ist tatsächlic­h ein Gewinn, den man aus dieser unterhalts­amen, witzigen, schwungvol­len, hoch egoistisch­en und latent gruseligen Autobiogra­fie ziehen kann, die gerade in ihrer Beiläufigk­eit und dem, was sie leichthin übergeht, bisweilen schlagend wirkt, wie die niedrigste Figur im Schach eben auch en passant schlagen kann.

Der Holocaust springt in seltsamen Zusammenhä­ngen hervor, etwa wenn Allen ihn zum Vergleich mit seiner ersten Ehe heranzieht.

Woody Allen: Ganz nebenbei. Autobiogra­fie. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs, Hainer Kober, Andrea O’Brien, Jan Schönherr. RowohltVer­lag, 443 S., geb., 25 €.

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Foto: NY Daily News Archive/Getty Images/Susan Watts Älterer Herr beim Erzählen immer wieder unterhalts­amer Schwänke: Woody Allen

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