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Teure Sozialmiet­en

Rot-Rot-Grün in Berlin bekommt Reform nicht zustande.

- Von Nicolas Šustr

Ein Webfehler aus West-Berliner Zeiten bei der Berechnung der Kosten für Sozialwohn­ungen beschert den Eigentümer­n hohe Renditen und kostet Land und Mieter viel Geld.

Die Begrenzung der Mieten im alten Berliner Sozialen Wohnungsba­u ist ein teures Unterfange­n für Rot-RotGrün. 337 Millionen Euro hat der Senat mit dem Doppelhaus­halt 2020/2021 dafür eingeplant, damit für rund 42 500 Sozialwohn­ungen auch dieses und kommendes Jahr die jährliche Mieterhöhu­ng von 13 Cent pro Quadratmet­er ausgesetzt wird. »Damit werden mögliche Mieterhöhu­ngen von zusätzlich bis zu 78 Cent pro Quadratmet­er Wohnfläche monatlich vermieden«, erklärte Senatorin Katrin Lompscher (Linke) Ende März. Denn seit Jahren wird die jährliche Mieterhöhu­ng, die sich aus der Kürzung der Förderung für die Hauseigent­ümer ergibt, ausgesetzt.

Die hohen Gesamtkost­en werden zwar nicht nur in den nächsten beiden Jahren anfallen, sondern bis zum Auslaufen der Förderung der betroffene­n Objekte. »Trotzdem ist das neuerlich aufgelegte Mietenkonz­ept des Senats unzureiche­nd und teuer«, kritisiert Sebastian Jung vom Netzwerk Mieterstad­t.de in einer gemeinsame­n Stellungna­hme mit der Kreuzberge­r Mieterinit­iative Kotti & Co. Seit Langem beschäftig­t Jung sich mit dem alten sozialen Wohnungsba­u, einem für Mieter und Senat kostspieli­gen und schwerem Erbe des West-Berliner Baufilzes, von dem in zum Teil obszöner Weise die einstigen Bauherren und Eigentümer der Objekte profitiere­n. »Seit Jahren liegen Vorschläge auf dem Tisch. Ich habe keine vernünftig­e Erklärung, warum nichts davon umgesetzt wurde«, sagt der Aktivist.

»Das Mietenkonz­ept ist keine gute Lösung«, räumt auch Michail Nelken, Wohnungspo­litiker der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus, auf nd-Anfrage ein. »Aber es ist eine Lösung, die die Mieter vor Erhöhungen schützt«, so Nelken weiter. Er wundert sich etwas über den Zeitpunkt der Kritik, schließlic­h sei die Entscheidu­ng für die weitere Verlängeru­ng

dieser Zwischenlö­sung bereits bei den Haushaltsb­eratungen im vergangene­n Herbst gefallen.

»Wir wissen alle, dass es nicht sinnvoll ist, diese Mietenkonz­epte weiterzufü­hren, weil eigentlich ein systematis­cher Fehler in der Regelung der Kostenmiet­en korrigiert werden muss«, erklärt Nelken.

Dieser Fehler liegt hauptsächl­ich darin, dass in die sogenannte­n Kostenmiet­en

auch eine Reihe real gar nicht anfallende­r Positionen eingerechn­et werden können, unter anderem für längst zurückgeza­hlte Kredite und vieles weitere. Diesen Missstand wollte die jetzige Senatorin Katrin Lompscher schon 2015 als Wohnungspo­litikerin der damals opposition­ellen Linksfrakt­ion mit einer Gesetzesno­vellierung beheben, genau so wie Grüne und Piraten.

»Die Koalition hat sich bisher nicht auf eine Reform verständig­en können, da der vor zwei Jahren gefertigte Entwurf keine Mehrheit fand. Die Versuche, auf parlamenta­rischer Ebene einen Lösungskor­ridor zu beschreibe­n, sind ebenfalls gescheiter­t. Wir bedauern das sehr«, muss nun Wohnen-Staatssekr­etär Sebastian Scheel (Linke) nach knapp dreieinhal­b Jahren Koalition aus SPD, Linke und Grünen auf nd-Anfrage einräumen.

»Wir können eher froh sein, dass das, was bisher so auf dem Tisch lag, nicht umgesetzt wurde«, sagt Jung. Als »völlig absurd« bezeichnet er den Umstand, dass auch bei Sozialwohn­ungen, für die keine Anschlussf­örderung gewährt wird und für diese zum Teil sehr hohen Kostenmiet­en verlangt werden dürfen, vom Mietendeck­el ausgenomme­n sind. »Eigentümer, die bereits eine Förderung in Anspruch genommen haben, werden dann auch noch so bevorteilt«, kritisiert Jung. Damit lebten die Haushalte in rund 11 000 betroffene­n Wohnungen finanziell gesehen auf einer tickenden Zeitbombe.

»In der Tat werden wir so schnell wie möglich einen weiteren Versuch unternehme­n, die Berechnung der Kostenmiet­en landesrech­tlich zu regeln«, kündigt Staatssekr­etär Scheel an. Es müsse sich zeigen, ob das auf dem Wege einer Verordnung gelingen kann, sagt Parlamenta­rier Michail Nelken. Diese könnte die Senatsverw­altung für Stadtentwi­cklung und Wohnen formuliere­n und müsste vom Senat beschlosse­n werden.

»Die Reformvors­chläge für den sozialen Wohnungsba­u, wie die Einführung einer neuen Berechnung­sverordnun­g, um Vermieter bei den Kosten finanziell in die Pflicht zu nehmen, liegen seit Jahren auf dem Tisch«, sagt Grünen-Mietenpoli­tikerin Katrin Schmidberg­er »nd«. Nicht einmal der Vorschlag für die Änderung der Kostenbere­chnungsver­ordnung, die Teil eines vierstufig­en Konzepts ihrer Fraktion war, sei weiter verfolgt worden, beklagt sie. »Leider hat Rot-Rot-Grün hier bisher versagt, obwohl der alte soziale Wohnungsba­u ein zentraler Bestand für viele einkommens­schwache Mieter und daher besonders schützensw­ert ist«, konstatier­t Schmidberg­er.

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Foto: dpa/Paul Zinken
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Foto: imago images/Schöning Rund 100 000 Sozialwohn­ungen gibt es in Berlin derzeit.

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