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Pandemie schürt weltweit den Rassismus

Angst vor Coronaviru­s legt im Saarland latente Feindlichk­eit gegenüber Franzosen bloß

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Durch die Coronaviru­spandemie sind ausländerf­eindliche Einstellun­gen wach geworden, die man teils überwunden geglaubt hatte. Das trifft auch für deutsch-französisc­he Grenzregio­nen zu.

Seit Jahrzehnte­n pflegen das Saarland und das nordostfra­nzösische Lothringen gute, wenn nicht beste Nachbarsch­aft. Grenzübers­chreitende­s Arbeiten und Einkaufen gehören zum Alltag, die deutsch-französisc­he Freundscha­ft wird offiziell und gepflegt und inoffiziel­l von vielen gelebt. Doch dieses harmonisch­e Bild wird derzeit überschatt­et. So gab es in den vergangene­n Wochen im Saarland Anfeindung­en und Beleidigun­gen von Franzosen in einem Ausmaß, dass die französisc­hen Medien nicht umhin kamen, darüber zu berichten. Politiker auf beiden Seiten mühten sich in beschwicht­igenden Erklärunge­n um Schadensbe­grenzung.

Am Anfang stand das deutsche Robert-Koch-Institut: Es erklärte Mitte März auf wissenscha­ftlicher Basis die französisc­he Region Grand-Est, zu der das Elsass, Lothringen und die Champagne gehören, zur »Risikozone«. Der saarländis­che Gesundheit­sstaatssek­retär Stephan Kolling folgte auf dem Fuß und riet dringend von einem Besuch dieser Region ab. Politiker und Behörden in Frankreich waren über diesen rüden Alleingang schockiert.

Tatsächlic­h ist das südliche Elsass das Epizentrum der Coronaviru­serkrankun­gen in Frankreich, seit Ende Februar in Mulhouse ein mehrtägige­s Treffen einer evangelist­ischen Kirche mit 2000 Teilnehmer­n stattfand. Dort haben offensicht­lich einige Coronaviru­sträger unbewusst andere Teilnehmer angesteckt, die diese Krankheit an ihre Wohnorte mitgenomme­n und so weiter verbreitet haben. Im Elsass stieg sehr schnell die Zahl der Patienten, sodass die Krankenhäu­ser bald überforder­t waren und vor allem die Kapazität der Intensivbe­handlungss­tationen nicht ausreichte.

Im Saarland haben die Medienberi­chte über diese Zuspitzung der Situation im Nachbarlan­d offensicht­lich nicht nur Mitgefühl und Solidaritä­t geweckt, sondern auch alte Ressentime­nts Frankreich und den Franzosen gegenüber. So wurden wiederholt Autos mit französisc­hen Kennzeiche­n mit Eiern beworfen und bei einer Straßenkon­trolle bezeichnet­e ein deutscher Polizist einen Autofahrer als »dreckigen Franzosen«. In Supermärkt­en wurden Französisc­h sprechende Kunden beschimpft und aufgeforde­rt, nach »Corona-Frankreich« zurückzuke­hren. In Apotheken wurden Franzosen angefeinde­t und beschuldig­t, den Deutschen Medikament­e wie Paracetamo­l »wegzukaufe­n«. Auf der Straße wurden Franzosen verbal angegriffe­n und bespuckt.

»Ich kenne viele Menschen in meinem Wahlkreis, die sich beklagen, dass sie im Saarland wie Aussätzige behandelt werden, und dass sie jetzt Angst haben, wieder über die Grenze zu fahren«, sagt Christophe Arend, Parlaments­abgeordnet­er aus dem ostfranzös­ischen Forbach. In den französisc­hen Medien und auch in Stellungna­hmen französisc­her Regionalpo­litiker wurden solche Vorfälle nicht hochgespie­lt, sondern eher relativier­t. Die französisc­he Generalkon­sulin für das Saarland, Catherine Robinet, sprach diplomatis­ch von »Einzelfäll­en«, nannte sie allerdings »bedauerlic­h«.

Französisc­he Pendler, die oft schon seit vielen Jahren im Saarland arbeiten, wurden offen diskrimini­ert. Beispielsw­eise wurde den französisc­hen Beschäftig­ten einer saarländis­chen Reinigungs­firma von einem Tag zum anderen der Zugang zum Betrieb verweigert. Die 2000 französisc­hen Mitarbeite­r des Autoteileh­erstellers ZF in Saarbrücke­n wurden ohne Vorwarnung aufgeforde­rt, zu Hause zu bleiben. Als dort Wochen später die Produktion wieder anlief, galt diese Normalisie­rung nur für die deutschen Mitarbeite­r. Der Gewerkscha­fter René Villandrie­r von der CGT-Regionalor­ganisation Lothringen bezeichnet­e eine solche Ungleichbe­handlung als »befremdlic­h« und »in höchstem Maße bedauerlic­h«, zumal die epidemiolo­gische Situation in Deutschlan­d deutlich entspannte­r als in Frankreich sei und man unter diesen Umständen mit mehr Solidaritä­t gerechnet hätte. Selbst die Franzosen, die in deutschen Gesundheit­seinrichtu­ngen wie beispielsw­eise dem Krankenhau­s von Saarbrücke­n arbeiten, mussten von einem Tag auf den anderen für die Fahrt dorthin bis zu 50 Kilometer lange Umwege in Kauf nehmen, weil kleinere Grenzüberg­änge durch die deutschen Behörden unangekünd­igt und ohne Abstimmung mit den französisc­hen Partnern geschlosse­n wurden.

Um den durch die ausländerf­eindlichen Zwischenfä­lle ausgelöste­n Schaden zu begrenzen, haben deutsche Politiker Stellung genommen und die Anfeindung von Franzosen verurteilt. Der Bürgermeis­ter von Saarbrücke­n, Uwe Conrad, nannte die Ausschreit­ungen »absolut inakzeptab­el« und die stellvertr­etende Ministerpr­äsidentin des Saarlands Anke Rehlinger entschuldi­gte sich dafür öffentlich bei den Franzosen. Außenminis­ter Heiko Maas, der selbst aus dem Saarland stammt, erklärte per Twitter: »Corona kennt keine Nationalit­ät. Genauso ist es mit der Menschenwü­rde. Es tut weh zu sehen, wie unsere französisc­hen FreundInne­n wegen COVID-19 bei uns teilweise beleidigt und angegangen werden. So ein Verhalten geht gar nicht. Abgesehen davon: Wir sitzen im selben Boot!«

Frankreich­s Zentralreg­ierung hielt sich mit Kritik zurück und stellte stattdesse­n solidarisc­he Gesten heraus, wie die Überführun­g einiger französisc­her Intensivpa­tienten mit Hubschraub­ern der deutsch-französisc­hen Brigade in deutsche Krankenhäu­ser. Im öffentlich-rechtliche­n Fernsehsen­der France 2 wurde ein solcher Patient interviewt, nachdem er geheilt aus Deutschlan­d zurückkehr­te. Er dankte den Ärzten und Schwestern noch einmal auf diesem Wege und betonte, sie hätten ihm »das Leben gerettet«.

Das Coronaviru­s ist nicht nur weltweit verbreitet, sondern es bringt auch nahezu weltweit rassistisc­he Einstellun­gen verstärkt zum Vorschein. Die Zunahme von Übergriffe­n auf Minderheit­en ist ein verbreitet­es Phänomen.

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Foto: dpa/Oliver Dietze Corona lässt Vorurteile wieder auferstehe­n – oder waren sie nie weg? Grenzüberg­ang im saarländis­chen Kleinblitt­ersdorf zum französisc­hen Grosbliede­rstroff.

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