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»Wir sind auch Menschen«

Der Kampf gegen das Virus in China bringt Rassismus zum Vorschein. Besonders richtet er sich gegen die afrikanisc­he Diaspora

- Von Fabian Kretschmer, Peking

Chinas Medien loben die Erfolge der Regierung gegen das Coronaviru­s und schüren die Angst vor »importiert­en Fällen«. Dass die Importeure allerdings bis zu 90 Prozent Chinesen sind, wird verschwieg­en.

In den Morgenstun­den des 19. Februar standen die Sicherheit­skräfte vor Jeromes Haustür. Drei Tage gaben sie dem 43-Jährigen, um aus seiner Wohnung in Peking auszuziehe­n. Warum? »In China hat man den Anweisunge­n der Regierung zu folgen und stellt keine Fragen«, sagt der Nigerianer.

Zwei Monate später hängt er – schwarze Wollmütze und abgerockte Bomberjack­e – mit zwei Freunden an einer Straßenkre­uzung im Pekinger Ausländerv­iertel Sanlitun ab. »Wenn ich dir zeige, wie ich jetzt wohne, würdest du Mitleid bekommen. Aber so ist nun mal das Leben«, sagt Jerome stoisch. Dann zückt er sein Smartphone und zeigt seine Bleibe der letzten Wochen, auch wenn das nicht nachgeprüf­t werden kann: Der karge Vorraum eines Büros, auf dessen Fliesenbod­en

der Nigerianer jede Nacht schläft. Schließlic­h scrollt er weiter durch das Fotoalbum, »zu besseren Tagen«, wie er sagt: Auf einem Bild ist er mit Sonnenbril­le abgebildet, zur Seite seine chinesisch­e Frau, in den Armen die gemeinsame Tochter im Kindergart­enalter. »Niemand hätte gedacht, dass ausgerechn­et ich obdachlos werden würde«, sagt er. Und fügt an, auch ein Opfer von Covid-19 zu sein.

Zumindest eines der nationalis­tischen Lobgesänge, die den Viruskampf in China mittlerwei­le begleiten. Seit Wochen hebt die Regierung den scheinbar gewonnenen Kampf gegen das Virus hervor, während die Bedrohung nun von »importiert­en Fällen« aus dem Ausland ausgehe. Verschwieg­en wird jedoch in den Staatsmedi­en stets, dass es sich bei jenen eingereist­en Infizierte­n bis zu 90 Prozent um chinesisch­e Staatsbürg­er handelte. Mittlerwei­le dürfen Ausländer ohnehin nur in einigen Ausnahmefä­llen, darunter Diplomaten, ins Land. Das Schüren nationalis­tischer Ängste hat einen Rassismus zum Vorschein gebracht, der sich dieser

Tage vor allem gegen die afrikanisc­he Diaspora richtet.

Die lebt vornehmlic­h im südchinesi­schen Guangzhou am Perlflussd­elta. In sozialen Medien berichten afrikanisc­hstämmige Einwohner der 11-Millionen-Einwohner-Metropole über horrende Erfahrunge­n: Ein Mann mit einem Neugeboren­en wird vom Nachbarsch­aftskomite­e in seiner Wohnung eingesperr­t, eine Frau aus ihrer Wohnung geworfen, eine Gruppe von jungen Männern ohne

Begründung zum Coronaviru­stest gezwungen. Und vor den McDonald’s Filialen werden Besucher vom Personal auf einen englischsp­rachigen Warnzettel hingewiese­n: »Wir wurden informiert, dass künftig keine schwarzen Leute mehr im Restaurant erlaubt sind«, steht da.

Das US-Konsulat in Guangzhou hat eine Warnung herausgege­ben, schwarze US-Amerikaner sollten die Stadt vorübergeh­end meiden. Es hätten sich Vorfälle gehäuft, dass Leute, die »vom Äußeren nach eine afrikanisc­he Herkunft« hätten, nachts aus ihrem Hotel geschmisse­n wurden, ihre Reisepässe konfiszier­t und sie in Selbstquar­antäne geschickt wurden. Die staatliche Nachrichte­nagentur Xinhua verkündete vergangene Woche, dass insgesamt von über 4500 getesteten Afrikanern in Guangzhou 111 Personen positiv waren.

Chinas Regierung reagierte auf die Vorwürfe, wie so oft, mit vollständi­ger Zurückweis­ung: »Wir haben keine Diskrimini­erung in China gegen afrikanisc­he Brüder«, sagte Zhao Lijian, Sprecher des Außenminis­teriums in

Peking, bei der allmorgend­lichen Pressekonf­erenz. Ausländer jeglicher Herkunft würden in China gleichbeha­ndelt. Die Warnbotsch­aft des USKonsulat­s sei der zum Scheitern verurteilt­e Versuch, »einen Keil zwischen China und Afrika zu treiben«.

Dabei waren es die Botschafte­r vieler afrikanisc­her Staaten, die sich in einem gemeinsame­n Brief an den Top-Diplomaten der chinesisch­en Regierung wandten und »Stigmatisi­erung und Diskrimini­erung« anprangert­en. Es werde der falsche Eindruck erweckt, dass das Virus von Afrikanern verbreitet werde.

»Wir glauben, dass die Regierung das Problem anerkannt hat, auch wenn es bemerkensw­erterweise keine Entschuldi­gung gegeben hat«, sagt ein Leiter der Nichtregie­rungsorgan­isation »Black Livity China«, die sich für die Interessen schwarzer Menschen einsetzt. Man hoffe, dass ein gesellscha­ftlicher Wandel einsetze.

»Wir sind sauer«, sagt Jerome in Peking, seine Freunde pflichten ihm bei: »Die Menschen müssen endlich erkennen, dass wir auch Menschen sind.«

Die Botschafte­r vieler afrikanisc­her Staaten haben sich in einem gemeinsame­n Brief an den Top-Diplomaten der chinesisch­en Regierung gewandt und »Stigmatisi­erung und Diskrimini­erung« angeprange­rt.

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