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Tiefer Riss durch britische Labour-Partei

Enthüllung­en über Intrigen des Apparates gegen linken Flügel erschweren neuer Führung ihren Versöhnung­skurs

- Von Johanna Bussemer

Führung versucht, Lager zu einigen, doch »Labour Leaks« könnten Gräben in Großbritan­niens größter Opposition­spartei neu aufreißen.

Gleich zwei schweren Herausford­erungen müssen sich der erst vor zwei Wochen gewählte neue Labour-Vorsitzend­e Keir Starmer und sein Schattenka­binett aktuell stellen. Zum einen muss es Großbritan­niens wichtigste­r Opposition­skraft gelingen, eine überzeugen­de Alternativ­e zum Schlingerk­urs von Premier Boris Johnson in Bezug auf die Coronakris­e zu formuliere­n. Zum anderen ist der innerparte­iliche Skandal zu bewältigen, den ein interner Untersuchu­ngsbericht auslöste. Er wurde während des letzten Monats der Parteiführ­ung von Jeremy Corbyn fertig gestellt und nun geleakt, das heißt, von einem Berichters­tatter der Öffentlich­keit zugespielt. Starmer und seine Stellvertr­eterin Angela Rayner waren angetreten mit dem Verspreche­n, die Partei wieder zu einen.

Attacken gegen Corbyn und Team Der 860 Seiten starke Bericht enthält viel Spannendes zur Entwicklun­g der Partei in den letzten Jahren und jede Menge Unappetitl­iches vor allem aus Tausenden E-Mails und Kurznachri­chten. Dessen Kern bildet die Kommunikat­ion, die über das Verhältnis der Parteizent­rale (HQ) zum Vorsitzend­enbüro

(LOTO) seit Corbyns Wahl 2015 Aufschluss gibt.

Die noch bis zum Jahr 2019 stark vom rechten Labour-Flügel beherrscht­e Parteizent­rale rebelliert­e gegen den neuen, innerhalb Labours als linksradik­al geltenden Vorsitzend­en, der mit Hilfe der sozialen Bewegung, insbesonde­re der Mobilisier­ungsorgani­sation Momentum, an die Macht gekommen war. Erst nach und nach platzierte die Parteiführ­ung auch eigene Kader in der Labour-Zentrale. Die Chat-Protokolle beinhalten unter anderem Diskussion­en, in denen Corbyn und seine Mitstreite­r als »Verrückte« bezeichnet werden oder in denen verbal gewalttäti­g vorgeschla­gen wird, man solle Corbyn »hängen und verbrennen.« Dass sich Mitarbeite­rinnen der Parteizent­rale über eigene Wahlnieder­lagen freuten und Kampagneng­elder in als sicher geltende Wahlbezirk­e von Kandidaten des rechten Flügels umleiteten, sind weitere unerfreuli­che Details, die vielleicht auch helfen, so manche

Schlappe der Labour-Partei unter Corbyn besser zu deuten. Insgesamt wirft der Bericht Licht auf die tiefe Zerrissenh­eit der Partei.

Starmers Hauptprobl­em sind vielleicht jedoch gar nicht die Corbynkrit­ischen Akteure und deren verbale Entgleisun­gen. Einige dieser Abgeordnet­en haben die Fraktion der Labour-Partei nun verlassen, beispielsw­eise Lord Iain McNicol, von 2011 bis 2018 ihr Generalsek­retär. Die größere Gefahr besteht darin, dass der Bericht unter dem Titel »Die Arbeit der Parteiführ­ung und der Rechtsabte­ilung in Bezug auf Antisemiti­smus 2014-2019« den langanhalt­enden Konflikt um antisemiti­sches Auftreten von Repräsenta­nten, Mitglieder­n und Gruppen innerhalb Labours erneut anfachen dürfte. Denn der Bericht fördert zahlreiche Disfunktio­nalitäten im Parteiappa­rat zutage; zur Thematik gehörende Beschwerde­n wurden in vielen Fällen verschlepp­t.

Zunächst hatte es geheißen, dass der Bericht aufgrund einer Empfehlung der Rechtsanwä­lte der Partei nicht ihrer Menschenre­chts- und Gleichbere­chtigungsk­ommission vorgelegt werden sollte. Zu denen, die nun die Einreichun­g und eine vollständi­ge Aufklärung forderten, gehört auch Labours ehemaliger Schattenka­nzler John McDonnell. »Wir müssen uns selber von dieser Kultur befreien, die uns davon abgehalten hat, eine Labour-Regierung zu stellen.«, erklärte McDonnell.

Einbindung der Lager

Parteichef Starmer müsste an einer solchen Aufarbeitu­ng eigentlich ebenfalls gelegen sein. Hat er sich doch besonders die Themen Menschenre­chte und Frieden auf die Fahne geschriebe­n. Bei der Aufstellun­g seines Schattenka­binetts hat er sowohl versucht, die Hauptström­ungen innerhalb der Partei in gleichem Maße zu berücksich­tigen, als auch, dieses von einigen grundlegen­den Frakturen zu bereinigen. Entspreche­nd besteht es ausschließ­lich aus pro-EUAbgeordn­eten. Zugleich hat Starmer mit Rebecca Long-Bailey und Lisa Nandy seine Konkurrent­innen aus dem Rennen um den Parteivors­itz ins Schattenka­binett berufen.

Die Labour-Partei verfügt im Gegensatz zu vielen anderen europäisch­en linken oder sozialdemo­kratischen Parteien über zahlreiche jüngere politische Talente, darunter viele Frauen. Etliche von ihnen rückten nun in vordere Reihen. Mit der Neuaufstel­lung könnten die Weichen für die zentralen Aufgaben – Einigung der Partei und Stärkung der Opposition – richtig gestellt sein. Die Abgründe, die der Antisemiti­smus-Bericht zeigt, lassen jedoch erahnen, dass es genauso wahrschein­lich ist, dass sich Labour wieder in innerparte­iliche Konflikte verstrickt.

Keir Starmer und seine Stellvertr­eterin Angela Rayner waren angetreten mit dem Verspreche­n, die Partei wieder zu einen.

Johanna Bussemer ist Leiterin des Referates Europa der Rosa-Luxemburg-Stiftung

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