Juristen streiten übers Arbeitsrecht
Soll in der Coronakrise das Arbeitsrecht gelockert werden, um Unternehmen das Weitermachen zu erleichtern? Jurist*innenverbände sind sich uneins in dieser Frage.
In Zeiten von Corona sind Grundrechte wie Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit massiv eingeschränkt. Doch auch die Gewerkschaftsrechte könnten bedroht sein, worauf der Verein Demokratischer Jurist*innen (VDJ) in einer gerade veröffentlichten Stellungnahme hinweist. Die Covid19-Pandemie dürfe nicht für einseitigen Lobbyismus genutzt werden, mahnen die Jurist*innen.
Die Gruppe stellt sich damit auch gegen ihre Berufskolleg*innen vom Deutschen Anwaltsverein (DAV). Die mit 62 000 Mitgliedern größte Interessenvertretung der Branche hatte in einer eigenen Stellungnahme geschrieben: »Da die Unternehmen auch zur Einführung von Kurzarbeit auf die rechtssichere Mitwirkung der Betriebsräte dringend angewiesen sind, muss die Handlungsfähigkeit der Betriebspartner gewährleistet sein.« Daher schlägt der DAV ein zunächst bis Ende 2020 befristetes »arbeitsrechtliches Pandemiebekämpfungsgesetz« als Ergänzung des Betriebsverfassungsgesetzes vor.
Interessen der Beschäftigten werden vernachlässigt
Der VDJ moniert nun, dass der Anwaltsverein mit seinen Vorschlägen vor allem die Interessen der Wirtschaft berücksichtige und die Interessen der Beschäftigten vernachlässige. »Während der Vorschlag zur Beschlussfassung der Arbeitnehmer interessenvertretung› im Umlauf verfahren‹ noch als Versuch eines Beitrags zur Gewährleistung der Handlungsfähigkeit der Betriebs parteien gewertet werden mag, haben alle anderen Vorschläge eine Schwächung der kollektiven Interessenvertretung, der Privat autonomie der Beschäftigten und der sie schützenden Gesetze zum Gegenstand und dienen allen der Verwirklichung von Arbeitgeber interessen «, heißt es inder von zahlreichen kritischen Arbeitsrechtl er* innen unterzeichneten Stellungnahme. Schutzrechte von Beschäftigten, diegera dein CoronaZeiten besonders aktuell seien, würden hingegen nicht erwähnt.
Aus der Wunschliste der Wirtschaftsverbände Bemängelt wird ferner, dass der DAV an mehreren Punkten Vorschläge für eine Schwächung der Betriebsrats arbeit mache, die mit der Corona-Pandemie in keinem Zusammenhang stünden. Als Beispiel wird der Einführung eines Dr eier ausschusses genannt, der aus dem Betriebsrats vorsitzenden und zwei weiteren Betriebs ratsmitgliedern bestehen solle und während der Pandemie die Aufgaben des Gesamt betriebsrats wahrnehmen solle. Der VDJ wirft dem Anwalts verein vor, eine altbekannte Wunschliste der Wirtschaftsverbände aufzulisten, die zumindest temporär umgesetzt werden solle. Dazu gehörten auch die Ermöglichung längerer Arbeitszeiten und die Aufweichung des Arbeitnehmer überlassungs gesetzes zur Leih arbeit. Zudem schlägt der DAV eine Klausel vor, in Betrieben ohne Interessenvertretung die Einführung von Kurz arbeit zu ermöglichen, wenn mindestens zwei Drittel der Beschäftigten dem zustimmen. Hier werde die Privat autonomie der Beschäftigten per Federst ich abgeschafft, kritisieren die kritischen Jurist*innen.
Sie fordern den DAV auf, die einseitige Stellungnahme zurückzuziehen, und verlangen eine kritische Auseinandersetzung damit. Der Verein vertrete die falsche wie weit verbreitete Vorstellung, dass die Interessen von Wirtschaft und Gesellschaft identisch seien.