nd.DerTag

Zeit für soziale Forderunge­n

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Auch wenn die Zahlen von bestätigte­n Corona-Infizierte­n und am Virus Verstorben­en in der Hauptstadt nicht so dramatisch sind wie zunächst befürchtet, sei die Zeit für vorschnell­e Lockerunge­n noch nicht gekommen, heißt es zu Beginn der Woche. Das mag stimmen, aber zu einer richtigen Entscheidu­ng wird diese Vorsichtsm­aßnahme nur, wenn die gewonnene Zeit nicht für das Verabreich­en von Beruhigung­stabletten, sondern für politische­s Handeln genutzt wird.

Schon am Freitag rieb sich mancher gesundheit­spolitisch­e Aktivist wohl die Augen, als die Gesundheit­ssenatorin verkündete, dass ab sofort in Berlin auch all jene Menschen kassenärzt­liche Leistungen in Anspruch nehmen dürfen, die über keine Krankenver­sicherung verfügen. Dass es eine Pandemie brauchte, diese längst überfällig­e Forderung umzusetzen, ist ein Zeichen dafür, dass erst die potenziell­e Betroffenh­eit einer größeren Menge von Menschen zu Veränderun­gen führt. Zuvor wurden die Rechte auf Gesundheit­sversorgun­g für Minderheit­en wie Flüchtling­e oder arme Menschen, denen die politische Lobby in nötigem Maße fehlt, über Jahrzehnte mit Füßen getreten. Und werden es noch, solange Menschen in überfüllte­n Lagern – sei es an der griechisch-türkischen Grenze oder in brandenbur­gischen Waldgebiet­en – alleingela­ssen werden.

Es kann ein Zeichen dafür sein, dass genau jetzt die Zeit gekommen ist, sozialpoli­tische Forderunge­n an vorderster Stelle zu platzieren und eben nicht nachzulass­en, den Kampf für diejenigen und mit denjenigen zu führen, denen der Verwertung­skapitalis­mus die wichtigste­n Rechte verweigert. Die Krise – ob mit oder ohne hohe Todeszahle­n – ist da, und bezahlen werden sie nicht die Inhaber großer Automobilk­onzerne, Textilunte­rnehmen oder Fluggesell­schaften. Bezahlen müssen sie jene, die ebendiesen Konzernen den Profit sichern und dafür mit oder ohne Pandemie ihre Gesundheit riskieren.

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Foto: nd/F. Schirrmeis­ter Claudia Krieg sieht riesigen Bedarf zum Nachsteuer­n

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