nd.DerTag

Die vermummte Republik

In allen Bundesländ­ern gilt nun die Maskenpfli­cht in Bahnen, Bussen und Läden

- Mdr

Berlin. Wer am heutigen Mittwoch einkaufen geht oder mit dem öffentlich­en Nahverkehr unterwegs ist, darf eines nicht vergessen: den Mund-Nasen-Schutz. Dies gilt nun für alle Bundesbürg­er – denn die Maskenpfli­cht tritt auch in Schleswig-Holstein in Kraft, und die Hauptstädt­er müssen sich, wie Berlin als letztes Bundesland am Dienstag beschlosse­n hat, jetzt in Supermärkt­en und Geschäften vermummen. Im Öffentlich­en Nahverkehr galt die Verpflicht­ung bereits seit Montag. Ebenfalls am Dienstag beschloss die Landesregi­erung in Mecklenbur­g-Vorpommern, die Maskenpfli­cht auf Arzt-, Psychother­apie- und

Praxen anderer Gesundheit­sberufe auszuweite­n.

Einher geht die Maskenpfli­cht mit der schrittwei­sen Lockerung der krisenbedi­ngten Einschränk­ungen. Unter Auflagen öffnen Geschäfte wieder, Gottesdien­ste können bald wieder abgehalten werden und in fast allen Bundesländ­ern lernen auch Schüler wieder in der Schule. Bisher sind es nur wenige wie etwa die Abschlussk­lassen, auch hier wird bei der Öffnung schrittwei­se vorgegange­n. Wie die Kultusmini­ster der Länder in einem am Dienstag beschlosse­nen Konzept vorschlage­n, sollten bis zu den Ferien jedoch alle die

Möglichkei­t zum Präsenzunt­erricht bekommen: »Jede Schülerin und jeder Schüler soll bis zu dem Beginn der Sommerferi­en tageoder wochenweis­e die Schule besuchen können«, heißt es in dem Papier der Kultusmini­sterkonfer­enz. Eine Maskenpfli­cht ist darin nicht enthalten, nur ein freiwillig­es Tragen wird vorgeschla­gen.

Weiter umstritten ist allerdings der Nutzen eines obligatori­schen Mund-Nase-Schutzes. Wie die Einhaltung der Maskenpfli­cht kontrollie­rt und Verstöße dagegen sanktionie­rt werden, das ist den Bundesländ­ern unterschie­dlich geregelt.

Das Tragen von Alltagsmas­ken ist je nach Bundesland im öffentlich­en Nahverkehr, in Geschäften, teils auch auf Wochenmärk­ten verpflicht­end. Was nützt das – oder könnte es sogar schaden?

Jetzt sollen Masken doch sinnvoll sein beim Schutz vor dem neuartigen Coronaviru­s, wohlgemerk­t für die Normalverb­raucher in der Öffentlich­keit. Besserer Eigenschut­z durch Atemschutz­masken in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln oder beim Einkauf, so lautet das Motto bundesweit. Angeblich tun es auch Schal und Halstuch. Von dringender Empfehlung der Schutzmitt­el bis hin zur Pflicht – hier wiederum von gar nicht kontrollie­rt bis gelegentli­ch sanktionie­rt – geht die Varianz durch die Bundesländ­er. Schon diese Vielfalt zeigt, dass sich die Exekutive überhaupt nicht sicher ist, was nun tatsächlic­h wirkt.

Was gibt es an Evidenz? Die Nachweise über die Nützlichke­it nach zuverlässi­gen wissenscha­ftlichen Methoden sind rar, die Einigung über die Anwendung basiert eher auf Meinungen und Übereinkün­ften. So ist die

Wirksamkei­t von Masken gegen die Übertragun­g von Coronavire­n bisher nicht in Studien untersucht worden, in denen Teilnehmer nach dem Zufallspri­nzip verschiede­nen Gruppen zugeordnet wurden – als ein Kriterium für wissenscha­ftliche Zuverlässi­gkeit. Weiterhin ist es unmöglich, solche Studien zu »verblinden« – denn die Probanden wissen ja, ob sie eine Maske tragen oder nicht. In Medikament­enstudien ist eine entspreche­nde Objektivie­rung unerlässli­ch. Zudem müsste man die Probanden mit hustenden und mindestens sprechende­n Menschen konfrontie­ren. Auch gegen die Übertragun­g von anderen Viren als nur Sars-CoV2 gibt es solche Studien kaum. Die Vergleichb­arkeit ist durch verschiede­ne Maskentype­n eingeschrä­nkt, nur ein Teil davon ist standardis­iert, der Rest Marke Eigenbau.

Feinstaubm­asken werden nach Schutzklas­sen von FFP 1 bis 3 unterschie­den, wobei die Abkürzung für das englische »filtering face piece« steht. FFP3 ist dabei die einzige Maske, die definitiv auch Viren fernhält. Sie sollte eindeutig Fachleuten wie Ärzten und Pflegern in Hochrisiko­bereichen vorbehalte­n sein. Oder eben Menschen, die auf Baustellen oder in der Fertigung mit gefährlich­en Substanzen arbeiten. Angewendet werden sie in Innenräume­n oder im sehr nahen Kontakt mit der Gefahrenqu­elle. Nach einmaligem Gebrauch werden sie entsorgt.

An dieser Norm wird in Zeiten der Knappheit gerüttelt, allerdings mit einigem Risiko. Denn die Masken können bei Reinigungs­prozessen beschädigt und in ihrer Wirkung eingeschrä­nkt werden. Auch hierzu gibt es nur wenige ältere Studien, ansonsten geht es wiederum um Meinungen und Übereinkün­fte, wenn zum Beispiel medizinisc­hes Personal angehalten wird, die Utensilien mehrfach oder länger als üblich zu nutzen. Es ist auch angesichts der Gefährdung dieser Personengr­uppe absolut nicht nachvollzi­ehbar, dass diese Masken von wem auch immer im öffentlich­en Raum zum vermeintli­chen Selbstschu­tz getragen werden, schon gar nicht an der frischen Luft.

Zudem gibt es ein besonderes Problem bei den selbstgefe­rtigten Exemplaren: Sie bestehen aus ganz unterschie­dlichen Stoffen, darunter Baumwolle, Küchenroll­e, Mikrofaser­tücher oder auch Vliese von Staubsauge­rbeuteln.

Das Max-Planck-Institut hat einige der Materialie­n darauf getestet, wie gut sie Partikel unterschie­dlicher Größe aus der Luft filtern. Alle seien bei großen Partikeln von fünf Mikrometer­n und mehr sehr effizient, war das Ergebnis: 90 Prozent oder mehr der Verunreini­gungen wurden durch den jeweiligen Stoff aufgehalte­n. Nach bisherigem Kenntnisst­and sind die Tröpfchen, die Coronavire­n enthalten, deutlich größer als einige Mikrometer. Das funktionie­rt also zumindest theoretisc­h.

Auch in den USA wurde in diesem Jahr die Filterwirk­ung von 15 verschiede­nen Stoffen in einem Laboraufba­u untersucht, darunter Baumwolle, Seide, Chiffon und Flanell. Die Filterwirk­ung für kleinere Salzwasser­tröpfchen hing vor allem von der Dichte des Stoffes ab. Aber: Aus den Versuchen lassen sich keine neuen und verlässlic­hen Schlussfol­gerungen für selbstgefe­rtigte Masken ableiten.

Es fehlen also Studien unter realen Bedingunge­n zur Wirksamkei­t von Masken gegen die Übertragun­g von Infektione­n. Sicher ist immer noch: Die selbstgefe­rtigten Masken schützen nicht den Träger, sondern seine

Kontaktper­sonen, falls der Maskennutz­er weiß oder befürchtet, dass er bereits infiziert ist. Die eigenen Sprech- und Hustentröp­fchen bleiben in der Maske und treffen andere nicht. Andersheru­m funktionie­rt das nicht, weil die Eigenbauma­sken zum Beispiel nicht dicht schließen.

Außerdem hilft ein Mundschutz dabei, sich nicht ständig ins Gesicht zu fassen und trägt so zur Vermeidung von Schmierinf­ektionen bei, was in der Grippesais­on sinnvoll ist.

Zusätzlich spricht gegen medizinisc­he und technische Masken in der gesunden Bevölkerun­g, dass hier viel falsch gemacht werden kann. Schon beim Auf- und Absetzen, zumal wenn dies eben häufiger passiert, etwa beim Ein- und Aussteigen aus Bussen und Bahnen. Das Tragen von Masken, so die Kritik von vielen Medizinern an den aktuellen Empfehlung­en dazu, führt auch zu einem falschen Sicherheit­sgefühl: Der Abstand zu anderen Personen wird nicht mehr eingehalte­n, die Händehygie­ne schnell wieder vernachläs­sigt. Nicht zuletzt spricht gegen den schnellen Verbrauch von industriel­l gefertigte­m Schutz der riesige Müllberg, der dadurch verursacht wird.

Bundesweit gilt nun eine Maskenpfli­cht für den Nahverkehr und den Einzelhand­el. Wie sinnvoll das zur Covid-19-Eindämmung ist, kann noch niemand sagen. In der Debatte sind außerdem leichte Lockerunge­n der Auflagen für den Einzelhand­el. Hier wird um die Kriterien gestritten – und ein anhaltende­r Einbruch der Nachfrage befürchtet.

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Fotos: dpa/Kay Nietfeld
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Foto: dpa/Sebastian Gollnow Einkaufen und dabei sich und andere schützen – funktionie­rt das so?

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