Nicht alle Ladentüren öffnen sich
Die ersten Lockerungen bei Geschäften zeigen: Es gibt einen Flickenteppich – regional, politisch und juristisch
Für viele Linke ist die Nachfrage entscheidend, wenn es um das Wohl und Wehe der Wirtschaft geht. Doch der Binnenkonsum ist in der Coronakrise schwach. Daran ändert die Öffnung kleiner Geschäfte nichts.
Seit gut einer Woche haben viele Geschäfte wieder geöffnet. Doch die Lockerung des »Lockdowns« hat bislang überschaubare Auswirkungen für die Betreiber. Kunden bleiben meist zu Hause. Die Kauflaune in Deutschland ist sogar auf einem Allzeittief angekommen, haben die Konsumforscher der GfK ermittelt.
Am 15. April hatten Bundesregierung und die 16 Länderchefs entschieden, die Ladenschließungen im Einzelhandel in mehreren Schritten aufzuheben – gestaffelt nach Größe der Verkaufsfläche. Los geht es mit Geschäften bis 800 Quadratmeter Verkaufsfläche. Zum Ärger des Handelsverbandes HDE: Regelungen müssten diskriminierungsfrei sein, heißt es dort. Abstands- und Hygieneregeln könnten in kleinen wie in großen Geschäften eingehalten werden. Lockerungen dürften daher nicht an Betriebsgrößen oder Verkaufsflächen festgemacht werden. »Die beschlossenen Vorgaben führen zu Wettbewerbsverzerrungen und Rechtsunsicherheiten«, sagt HDEHauptgeschäftsführer Stefan Genth.
Dass manche Geschäfte öffnen dürfen und andere nicht, sorgt aber über die Handelslobby hinaus für Unmut. Und beschäftigt die Gerichte. Beispielsweise in Baden-Württemberg setzte sich ein Modeladen vor Gericht durch, der seine Verkaufsfläche von rund 7000 Quadratmetern auf die vorgeschriebenen 800 Quadratmeter begrenzte und nun öffnen darf. Interessant scheint diese Variante besonders für mittelgroße Geschäfte zu sein. Während ein großes Möbelhaus mit etwa 30 000 Quadratmetern den Nutzen einer kostspieligen Mini-Öffnung anzweifelt. Große Warenhäuser und Modehändler haben in vielen Bundesländern kleine Bereiche geöffnet.
Die Politik hatte die Quadratmeter-Beschränkung mit der Sorge vor einem großen Käuferandrang begründet. Überfüllte Innenstädte könnten eine neue Ansteckungswelle auslösen. Das bezweifelte in Hamburg das Verwaltungsgericht, nachdem ein großes Sporthaus geklagt hatte. Auch seien die Größenvorgaben »nicht geeignet, dem verfolgten Zweck des Infektionsschutzes zu dienen«, urteilten die Richter vor wenigen Tagen. Die angeordneten Hygienemaßnahmen, wie ein Mindestabstand von 1,50 Meter zwischen Kunden, ließen sich in großflächigen Handelsgeschäften ebenso gut oder sogar besser als in kleineren einhalten. Eine Beschwerde der Stadt beim Oberverwaltungsgericht verhinderte jedoch zunächst ein Inkrafttreten des Urteils. Dort wird nun wohl am Donnerstag entschieden. Das Urteil könnte Beispielwirkung für andere Metropolen gewinnen.
Die Richterkollegen in Niedersachsen und Saarland sehen die Sache anders: Die Flächenbeschränkung sei eine notwendige infektionsschutzrechtliche Maßnahme. Dagegen erkennt der Bayerische Verfassungsgerichtshof sogar einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des
Grundgesetzes. weil die 800-Quadratmeter-Regel nicht für alle Geschäfte gelte.
Der Kompromiss zwischen Bundesregierung und Ländern lässt den Ministerpräsidenten nämlich Entscheidungsspielräume. Den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) in Stuttgart und Markus Söder (CSU) in München waren die 800 Quadratmeter sogar zu großzügig bemessen. In Thüringen wie auch in Bayern öffneten die Läden erst eine Woche später als in anderen Bundesländern.
In Nordrhein-Westfalen preschte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), der sich um den Parteivorsitz bewirbt, mit weiteren Lockerungen vor. Neben kleineren Geschäften, Autohäusern, Bau- und Gartenmärkten, Buchhandlungen und Fahrradläden dürfen dort auch große Möbelhäuser wieder ihre Pforten öffnen. Dagegen will Bodo Ramelow (Linke) in Thüringen wie sein niedersächsischer Amtskollege Stephan Weil (SPD) größeren Geschäften weiterhin eine Öffnung nur ermöglichen, sofern sie ihre Verkaufsfläche auf 800 Quadratmeter begrenzen. Die Öffnungspraxis wird sich also bis auf weiteres von Land zu Land unterscheiden.
Mit einer schnellen Erholung rechnet das Fachblatt »Absatzwirtschaft« ohnehin nicht. Experten seien sich einig: »Vor dem Weihnachtsgeschäft wird keine Konsumwelle erwartet.« Daran dürften auch »Coronaschecks« nichts ändern, wie sie vielfach gefordert werden. Der Handelsverband HDE möchte, dass vom Staat für diesen Zweck 500 Euro an jeden Einwohner ausgegeben werden – vom Putzmann bis zur Millionärin.
Zuletzt deutete Kanzlerin Angela Merkel an, dass über weitere Lockerungen voraussichtlich erst am 6. Mai entschieden werde. Sie orientiert sich dabei am Zyklus des Virus: Die Auswirkungen der bisherigen Öffnung der Geschäfte könne man erst nach 14 Tagen abschätzen. Merkel warnt weiterhin eindringlich davor, die bisherigen Erfolge im Kampf gegen die Corona-Pandemie durch schnelle Öffnungsbeschlüsse wieder aufs Spiel zu setzen. Das nächste Treffen mit den Ministerpräsidenten zur Coronakrise findet am Donnerstag statt.
Kunden bleiben meist zu Hause. Die Kauflaune in Deutschland ist sogar auf einem Allzeittief angekommen, haben die Konsumforscher der GfK ermittelt.