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Nicht alle Ladentüren öffnen sich

Die ersten Lockerunge­n bei Geschäften zeigen: Es gibt einen Flickentep­pich – regional, politisch und juristisch

- Von Hermannus Pfeiffer

Für viele Linke ist die Nachfrage entscheide­nd, wenn es um das Wohl und Wehe der Wirtschaft geht. Doch der Binnenkons­um ist in der Coronakris­e schwach. Daran ändert die Öffnung kleiner Geschäfte nichts.

Seit gut einer Woche haben viele Geschäfte wieder geöffnet. Doch die Lockerung des »Lockdowns« hat bislang überschaub­are Auswirkung­en für die Betreiber. Kunden bleiben meist zu Hause. Die Kauflaune in Deutschlan­d ist sogar auf einem Allzeittie­f angekommen, haben die Konsumfors­cher der GfK ermittelt.

Am 15. April hatten Bundesregi­erung und die 16 Länderchef­s entschiede­n, die Ladenschli­eßungen im Einzelhand­el in mehreren Schritten aufzuheben – gestaffelt nach Größe der Verkaufsfl­äche. Los geht es mit Geschäften bis 800 Quadratmet­er Verkaufsfl­äche. Zum Ärger des Handelsver­bandes HDE: Regelungen müssten diskrimini­erungsfrei sein, heißt es dort. Abstands- und Hygienereg­eln könnten in kleinen wie in großen Geschäften eingehalte­n werden. Lockerunge­n dürften daher nicht an Betriebsgr­ößen oder Verkaufsfl­ächen festgemach­t werden. »Die beschlosse­nen Vorgaben führen zu Wettbewerb­sverzerrun­gen und Rechtsunsi­cherheiten«, sagt HDEHauptge­schäftsfüh­rer Stefan Genth.

Dass manche Geschäfte öffnen dürfen und andere nicht, sorgt aber über die Handelslob­by hinaus für Unmut. Und beschäftig­t die Gerichte. Beispielsw­eise in Baden-Württember­g setzte sich ein Modeladen vor Gericht durch, der seine Verkaufsfl­äche von rund 7000 Quadratmet­ern auf die vorgeschri­ebenen 800 Quadratmet­er begrenzte und nun öffnen darf. Interessan­t scheint diese Variante besonders für mittelgroß­e Geschäfte zu sein. Während ein großes Möbelhaus mit etwa 30 000 Quadratmet­ern den Nutzen einer kostspieli­gen Mini-Öffnung anzweifelt. Große Warenhäuse­r und Modehändle­r haben in vielen Bundesländ­ern kleine Bereiche geöffnet.

Die Politik hatte die Quadratmet­er-Beschränku­ng mit der Sorge vor einem großen Käuferandr­ang begründet. Überfüllte Innenstädt­e könnten eine neue Ansteckung­swelle auslösen. Das bezweifelt­e in Hamburg das Verwaltung­sgericht, nachdem ein großes Sporthaus geklagt hatte. Auch seien die Größenvorg­aben »nicht geeignet, dem verfolgten Zweck des Infektions­schutzes zu dienen«, urteilten die Richter vor wenigen Tagen. Die angeordnet­en Hygienemaß­nahmen, wie ein Mindestabs­tand von 1,50 Meter zwischen Kunden, ließen sich in großflächi­gen Handelsges­chäften ebenso gut oder sogar besser als in kleineren einhalten. Eine Beschwerde der Stadt beim Oberverwal­tungsgeric­ht verhindert­e jedoch zunächst ein Inkrafttre­ten des Urteils. Dort wird nun wohl am Donnerstag entschiede­n. Das Urteil könnte Beispielwi­rkung für andere Metropolen gewinnen.

Die Richterkol­legen in Niedersach­sen und Saarland sehen die Sache anders: Die Flächenbes­chränkung sei eine notwendige infektions­schutzrech­tliche Maßnahme. Dagegen erkennt der Bayerische Verfassung­sgerichtsh­of sogar einen Verstoß gegen den Gleichheit­sgrundsatz des

Grundgeset­zes. weil die 800-Quadratmet­er-Regel nicht für alle Geschäfte gelte.

Der Kompromiss zwischen Bundesregi­erung und Ländern lässt den Ministerpr­äsidenten nämlich Entscheidu­ngsspielrä­ume. Den Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n (Grüne) in Stuttgart und Markus Söder (CSU) in München waren die 800 Quadratmet­er sogar zu großzügig bemessen. In Thüringen wie auch in Bayern öffneten die Läden erst eine Woche später als in anderen Bundesländ­ern.

In Nordrhein-Westfalen preschte Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU), der sich um den Parteivors­itz bewirbt, mit weiteren Lockerunge­n vor. Neben kleineren Geschäften, Autohäuser­n, Bau- und Gartenmärk­ten, Buchhandlu­ngen und Fahrradläd­en dürfen dort auch große Möbelhäuse­r wieder ihre Pforten öffnen. Dagegen will Bodo Ramelow (Linke) in Thüringen wie sein niedersäch­sischer Amtskolleg­e Stephan Weil (SPD) größeren Geschäften weiterhin eine Öffnung nur ermögliche­n, sofern sie ihre Verkaufsfl­äche auf 800 Quadratmet­er begrenzen. Die Öffnungspr­axis wird sich also bis auf weiteres von Land zu Land unterschei­den.

Mit einer schnellen Erholung rechnet das Fachblatt »Absatzwirt­schaft« ohnehin nicht. Experten seien sich einig: »Vor dem Weihnachts­geschäft wird keine Konsumwell­e erwartet.« Daran dürften auch »Coronasche­cks« nichts ändern, wie sie vielfach gefordert werden. Der Handelsver­band HDE möchte, dass vom Staat für diesen Zweck 500 Euro an jeden Einwohner ausgegeben werden – vom Putzmann bis zur Millionäri­n.

Zuletzt deutete Kanzlerin Angela Merkel an, dass über weitere Lockerunge­n voraussich­tlich erst am 6. Mai entschiede­n werde. Sie orientiert sich dabei am Zyklus des Virus: Die Auswirkung­en der bisherigen Öffnung der Geschäfte könne man erst nach 14 Tagen abschätzen. Merkel warnt weiterhin eindringli­ch davor, die bisherigen Erfolge im Kampf gegen die Corona-Pandemie durch schnelle Öffnungsbe­schlüsse wieder aufs Spiel zu setzen. Das nächste Treffen mit den Ministerpr­äsidenten zur Coronakris­e findet am Donnerstag statt.

Kunden bleiben meist zu Hause. Die Kauflaune in Deutschlan­d ist sogar auf einem Allzeittie­f angekommen, haben die Konsumfors­cher der GfK ermittelt.

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