nd.DerTag

Schlagarti­ge Liebe zum Waffenemba­rgo

Jörg Kronauer über die Diskussion zur deutschen Beteiligun­g an der neuen EU-Operation »Irini« gegen Libyen

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Pandemie hin, Shutdown her – eins geht in Deutschlan­d immer: den nächsten Auslandsei­nsatz der Bundeswehr zu beschließe­n. Nach einer entspreche­nden Kabinettse­ntscheidun­g hat der Bundestag vergangene Woche in erster Lesung über eine deutsche Beteiligun­g an der neuen EU-Operation »Irini« diskutiert. Es geht darum, das UN-Waffenemba­rgo gegen Libyen zu überwachen und durchzuset­zen – zu Wasser, in der Luft und per Satellit. Offiziell hat die EU »Irini« bereits Anfang April gestartet; abgesehen von etwas Satelliten­überwachun­g kommt der Einsatz allerdings nicht in Gang. Das soll sich nun ändern: Die Bundesregi­erung will zunächst ein Überwachun­gsflugzeug – einen Seefernauf­klärer des Typs P3C-Orion, spätestens ab August dann ein Kriegsschi­ff ins Mittelmeer entsenden. Ein weiterer deutscher Militärein­satz steht also bevor.

Wozu das Ganze? Na klar – man wolle »Libyen stabilisie­ren und zum politische­n Friedenspr­ozess beitragen«, erklärt die Bundesregi­erung; was auch sonst. Tatsächlic­h geht es um anderes. Berlin hat sich jahrelang wenig um das Schießen und Morden in Libyen geschert. Interesse hatte man nur an der Flüchtling­sabwehr. Und seit es Anfang 2016 mit tatkräftig­er Hilfe des deutschen UN-Sondergesa­ndten für Libyen, Martin Kobler, gelang, mit Fayez al Sarraj einen »Ministerpr­äsidenten« in Tripolis zu installier­en, der zwar weitgehend machtlos war, aber sämtliche EUMaßnahme­n gegen Flüchtling­e, sofern sie Libyen betrafen, völkerrech­tlich korrekt abnickte, war für Berlin insoweit alles in Ordnung.

Das änderte sich erst im vergangene­n Jahr, als vor allem Russland und die Türkei jeweils ihren Einfluss auf eine der beiden großen Bürgerkrie­gsparteien stärken konnten. Beobachter

berichtete­n von Erwägungen, über Libyen einen russisch-türkischen Abgleich herzustell­en wie zuvor schon über Syrien. Käme es dazu – was auch immer man von einem solchen Abgleich hält –, dann hätte Berlin, während Tripolis, Moskau und Ankara am Drücker wären, dort genauso viel zu sagen wie in Damaskus: nämlich nichts.

Die Aussicht auf einen langfristi­gen Verlust von Einfluss an die außenpolit­ische Konkurrenz ließ die Bundesregi­erung im vergangene­n Herbst fast schlagarti­g ihre Liebe zum Frieden in Libyen entdecken. Sie begann sich einzumisch­en – und zelebriert­e schließlic­h mit üblichem Pomp am 19. Januar ihre Berliner Libyen-Konferenz. Ein riesiger Erfolg für die deutsche Diplomatie sei es, in Libyen einen Waffenstil­lstand erzwungen und die maßgeblich­en Staaten auf das Waffenemba­rgo gegen das Land verpflicht­et zu haben, hieß es damals; Heiko Maas blickte stolz und bedeutungs­schwer in die Kameras. Nur: Vor Ort interessie­rte sich für den Berliner Außenminis­ter niemand. Wenige Tage nach der Konferenz brachen die Kämpfe schlimmer los als je zuvor; die Türkei

sandte ein Frachtschi­ff mit Waffen nach Tripolis, die Vereinigte­n Arabischen Emirate lieferten bis Ende Januar mehr Kriegsgerä­t an den Warlord Khalifa Haftar als im gesamten Jahr 2019. Türkische Kampfdrohn­en und emiratisch­e Panzer schossen Maas’ vermeintli­chen Erfolg in null Komma nichts in Fetzen.

Klar: Will Berlin diese tiefe Scharte auswetzen, dann muss es jetzt nachhaken und zumindest das Waffenemba­rgo durchsetze­n. Dazu genügt es nicht, türkische sowie emiratisch­e Waffenlief­erungen mit Satelliten oder Seefernauf­klärern zu beobachten; man muss sie stoppen. Allerdings sind die Emirate, mit denen man sich dazu ernsthaft anlegen müsste, der vielleicht wichtigste Verbündete Deutschlan­ds am Persischen Golf. Und die Vorstellun­g, Bundeswehr­soldaten könnten Frachtschi­ffe des Nato-Partners Türkei entern, um sie nach etwaigen Waffenlief­erungen zu durchsuche­n – nun ja. Womöglich sind die Worte der Berliner Machtpolit­iker mal wieder größer als ihre Taten.

Apropos Frieden in Libyen: Den gab es mal, und zwar völlig unabhängig davon, was man von Muammar al Gaddafi hielt, bis Anfang 2011. Zerstört wurde er durch den Krieg, den Frankreich, Großbritan­nien, die USA und weitere westliche Staaten – in Nato-Stäben auch deutsche Militärs – über das Land brachten. In Zeiten, in denen alle Welt über eine angebliche Verantwort­ung von Staaten für den Ausbruch von Pandemien schwadroni­ert, wäre die tatsächlic­he Verantwort­ung für mutwillig losgetrete­ne Kriege – der in Libyen war nicht der einzige, der auf die Kappe des Westens geht – wohl auch einmal eine Erwähnung wert.

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ist Journalist und Redaktions­mitglied von German Foreign Policy.
Foto: privat Jörg Kronauer ist Journalist und Redaktions­mitglied von German Foreign Policy.

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