Ungewollt Schwangere in Not
Verein »Doctors for Choice«: Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen durch Corona weiter erschwert. Linkspartei fordert Aussetzung der Beratungspflicht
Ein Ärztenetzwerk fordert seit Wochen, den Schwangerschaftsabbruch als nicht aufschiebbare medizinische Leistung anzuerkennen.
Wer in Deutschland ungewollt schwanger war, musste auch schon vor der Corona-Pandemie hohe Hürden überwinden, um zu einem straffreien und sicheren Abbruch zu gelangen. Dass die Pandemie die Situation jedoch weiter verschärfen würde, davor hatte das Netzwerk Doctors for Choice bereits vor einem Monat gewarnt – und die Politik aufgefordert, Schwangerschaftsabbrüche als notwendige medizinische Leistungen anzuerkennen und den Zugang dazu auch während der Coronakrise sicherzustellen.
Jetzt hat die Organisation eine Zwischenbilanz gezogen – und die fällt ernüchternd aus: Zwar sei die Versorgung in den Großstädten bisher erhalten geblieben. Auch die Möglichkeit, die Schwangerschaftskonfliktberatung online oder per Telefon durchzuführen, gebe es mittlerweile in den meisten Bundesländern. Aber: »Knapper werdende Schutzmasken und Desinfektionsmittel in chirurgischen Zentren und Praxen sowie die Schließung von Praxen älterer Ärzt*innen, die zur Risikogruppe gehören, erschweren die sowieso schon problematische Versorgung in einigen Regionen«, heißt es in der jüngst veröffentlichten Stellungnahme.
Die Zahl der Kliniken und Praxen, in denen Abbrüche vorgenommen werden, verringert sich seit Jahren. Seit 2003 hat sie sich nahezu halbiert: von 2039 auf 1139. Bedenklich sei auch, dass manche Kliniken keine Schwangerschaftsabbrüche
mehr vornehmen, weil sie diese als nicht zwingend notwendig betrachteten. In einigen Bundesländern sei darüber hinaus auch der Zugang zu Online-Formularen für die Kostenübernahme problematisch. Das bedeute für die Frauen wie auch für das medizinische Personal durch »umständliche Kommunikation mit den teils geschlossenen Krankenkassen einen erheblichen Mehraufwand«, der zeitaufwendig und psychisch belastend sei, so Doctors for
Choice. Davon seien insbesondere ärmere Frauen betroffen, die wegen der Krise ohnehin Mehrfachbelastungen ausgesetzt seien.
Hinzu komme, dass auch Verhütungsmittel schlechter verfügbar seien. So würden viele Familienplanungszentren und Praxen Frauen zur Zeit keine Spiralen einsetzen oder Dreimonatsspritzen verabreichen. Selbst Rezepte für die Pille seien vielerorts nur begrenzt erhältlich.
Angesichts der verschlechterten Versorgungslage zeigte sich auch die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Cornelia Möhring, besorgt. Insbesondere die Regelung zur verpflichtenden Beratung erzeuge zusätzliche Risiken, erklärte sie. Wer in Deutschland eine Schwangerschaft beenden will, muss sich laut Paragraf 218a einer verpflichtenden Beratung und einer anschließenden Wartezeit von mindestens drei Tagen unterziehen. »Die Beratung führt zu unnötigen physischen Kontakten und selbst, wenn sie telefonisch stattfindet, zu zusätzlicher Verzögerung«, moniert Möhring. Auch ohne die Krise seien diese Bedingungen »vollkommen absurd«, bevormundend und verletzten das Recht auf Selbstbestimmung. Die Linksfraktion fordert deshalb die sofortige Aussetzung der Beratungspflicht. Einen entsprechenden Antrag hat sie im Bundestag eingebracht.
Die Grünen-Bundestagsabgeordneten Ulle Schauws, Kirsten Kappert-Gonther, Katja Dörner und Canan Bayram wiederum haben in einem gemeinsamen Papier gefordert, der Bund müsse gegenüber den Ländern klarstellen, dass Schwangerschaftsabbrüche notwendige Eingriffe sind und auch während der Coronakrise zeitnah durchgeführt werden müssen. Das müsse auch für Frauen gelten, die aus dem Ausland, etwa aus Polen, einreisen, um einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Diese Personen müssten den Eingriff unmittelbar und ohne Verzögerung durch Quarantänemaßnahmen vornehmen lassen können. Auch die gesetzlich vorgeschriebene dreitägige Bedenkfrist müsse bis auf weiteres ausgesetzt werden, fordern die Grünen-Politikerinnen. »Unter der gegenwärtigen Coronakrise spitzen sich bereits bestehende Problemlagen weiter zu«, erklären sie in ihrem Papier. »Wie unter einem Brennglas« werde sichtbar, »dass ohne Anpassungen die notwendige Versorgungssicherheit von ungewollt Schwangeren jetzt noch weniger gewährleistet werden kann«.
»Die Beratung führt zu unnötigen physischen Kontakten und selbst, wenn sie telefonisch stattfindet, zu zusätzlicher Verzögerung.«
Cornelia Möhring, Die Linke