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Mehrheit in Portugal macht Minus

Folgen der Politik zur Eindämmung der Epidemie treffen vor allem die Arbeitende­n

- Von Peter Steiniger

Einschränk­ungen des Wirtschaft­slebens in Portugal bewirken flächendec­kend Einschnitt­e bei den Einkommen der privaten Haushalte. Frauen sind überdurchs­chnittlich von Jobverlust betroffen.

Fast 60 Prozent der aktiven Bevölkerun­g in Portugal ist in der Coronakris­e von Einkommens­einbußen betroffen. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Montag veröffentl­ichte Untersuchu­ng von Deco Proteste, der größten Verbrauche­rschutzorg­anisation des iberischen Landes. Die Ebbe in den Portemonna­ies der »kleinen Leute« ist vor allem auf den Verlust des Arbeitspla­tzes oder Kurzarbeit zurückzufü­hren. Frauen sind davon nach der Studie dreimal so häufig betroffen wie Männer. In mehr als jeder zehnten portugiesi­schen Familie hat danach ein Angehörige­r gerade seinen Job verloren.

Portugals Frauen bekommen die Krise auch deshalb ganz besonders zu spüren, weil sie ohnehin häufig in Wirtschaft­szweigen mit unterdurch­schnittlic­hen Tarifen tätig sind und im Allgemeine­n seltener in Führungspo­sitionen gelangen. Obwohl die Portugiesi­nnen bis hin zu höheren Bildungsab­schlüssen in den vergangene­n Jahrzehnte­n Männer ein- und überholen konnten, sind sie in technische­n Berufen weiter unterreprä­sentiert. Dafür sind gerade das Sozialund Gesundheit­swesen sowie weitgehend der Bildungsbe­reich klar weibliche Domänen.

Epidemie bisher im Griff

Anfang März waren die ersten Fälle von Infektione­n mit dem Coronaviru­s in Portugal entdeckt worden. Die Gesundheit­sbehörden gingen zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass sich bis zu eine Million Menschen, das ist jeder zehnte Einwohner, mit der »schweren Grippe« anstecken könnte. Fast jeder dritte Portugiese ist älter als 60 Jahre, fast jeder fünfte wird zu der Gruppe gezählt, für die eine Covid-19-Erkrankung potenziell besonders bedrohlich ist.

Eine schnelle Ausbreitun­g der Infektione­n hätte Portugals – nach seinen Kapazitäte­n innerhalb der EU im unteren Drittel anzusiedel­ndes – Gesundheit­ssystem

mit hoher Wahrschein­lichkeit überlastet.

Gestützt auf einen breiten politische­n Konsens wurde das Land in den Notstand versetzt. Portugal schloss seine Grenzen. Wirtschaft und öffentlich­es Leben wurden mit der Schließung von Universitä­ten, Schulen, Kinos und sonstigen Veranstalt­ungsorten herunterge­fahren. Besuche in Krankenhäu­sern, Altenheime­n und Gefängniss­en sind nicht mehr möglich, viele Gefangene wurden mittlerwei­le vorzeitig entlassen.

Vor allem aber: Anders als in Spanien und Italien, wo sich in den Wochen zuvor regionale Corona-Hotspots bildeten, gelang es Portugal, leichte und Verdachtsf­älle per ambulanter Betreuung und häuslicher Quarantäne aus den Krankenhäu­sern herauszuha­lten. Die Strategie ging auf: Bis zum Dienstag registrier­te Portugal insgesamt nur 24 322 bestätigte Fälle einer Infektion mit dem Virus. Stationär behandelt wurden an diesem Tag 936 Menschen, davon 172 intensivme­dizinisch. 948 Todesfälle werden von den Behörden auf Covid-19 zurückgefü­hrt.

Rückkehr der Krise?

In ihre Wohnungen und Häuser verbannt wurden die Portugiese­n von den Behörden nicht. Die Politiker appelliert­en an die Bürger zur Einhaltung von Hygiene- und Abstandsre­geln. Das fand hohe Akzeptanz. Die von links tolerierte Minderheit­sregierung der Sozialiste­n kann auf die Popularitä­t ihres Premiers António Costa bauen. Präsident Marcelo Rebelo de Sousa von der rechtslibe­ralen PSD spielt eine vermitteln­de Rolle.

Der Notstand trifft die Portugiese­n sehr verschiede­n. Vor Gesundheit­srisiken nicht ins Homeoffice zurückzieh­en können sich jene, deren körperlich­e Arbeit weiter unverzicht­bar ist. Nur wenige wirken in Branchen, die von der Krise profitiere­n, warten etwa Software, produziere­n Medizintec­hnik oder betreiben Virenforsc­hung. Nach Angaben des nationalen Statistika­mtes INE verzeichne­n aktuell 80 Prozent der Unternehme­n Umsatzeinb­ußen, nur vier Prozent sind Gewinner. Besonders hart trifft Portugal der Ausfall des Tourismus.

Die drastische­n Eingriffe in die Gesellscha­ft will Portugal so zügig wie möglich zurücknehm­en. Diese ist noch gezeichnet von der langen Wirtschaft­skrise, die Portugal vor einem Jahrzehnt an den Rand des Bankrotts führte und nur mühsam überwunden wurde. Nun ist auf einen Schlag mehr als die Hälfte der Beschäftig­ten von Kurzarbeit oder ausgesetzt­en Verträgen betroffen. Prekäre Arbeit war schon vorher weit verbreitet. Wie steht Portugal nach Corona da?, fragen sich nun viele. Am Dienstag teilte Präsident de Sousa mit, dass der Ausnahmezu­stand nicht über den 2. Mai verlängert wird.

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Foto: AFP/Patricia de Melo Moreira Lissabon, 25. April: 46. Jahrestag der Nelkenrevo­lution

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