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Wie ein Astronaut in der Klinik

Im Potsdamer St.-Josefs-Krankenhau­s helfen Kollegen aus anderen Häusern und Freiwillig­e

- Von Andreas Fritsche

Krankenhau­sdienst ist in der Coronakris­e noch anstrengen­der als sonst – und psychisch belastend. Am St.-Josefs-Krankenhau­s unterstütz­en Ehrenamtli­che die Belegschaf­t.

Das katholisch­e St.-Josefs-Krankenhau­s in Potsdam sieht sich in einer Ausnahmesi­tuation, seit für das kommunale Klinikum Ernst von Bergmann (EvB) ein Aufnahmest­opp gilt, nachdem dort viele Infektione­n mit dem Coronaviru­s entdeckt wurden. Seitdem befindet sich im St.-JosefsKran­kenhaus die zentrale Notaufnahm­e für die Stadt Potsdam und das Umland, wo zusammen rund 200 000 Menschen leben. Dies stellt das Haus vor eine schwierige Aufgabe. Es genießt in der Bevölkerun­g einen guten Ruf, ist aber nicht einmal halb so groß wie das EvB und muss nun deutlich mehr leisten.

Mitte April sah sich das St.-JosefsKran­kenhaus genötigt, vorübergeh­end keine Covid-19-Patienten mehr aufzunehme­n, die auf einer Intensivst­ation versorgt werden müssen. Betroffene wurden ins städtische Klinikum Brandenbur­g/Havel oder in andere Krankenhäu­ser in Westbrande­nburg gebracht.

Inzwischen habe sich die Situation etwas entspannt, sagt Sprecher Benjamin Stengl. Demnach half in Potsdam die christlich­e Oberlin-Klinik mit Fachkräfte­n für die Unfallchir­urgie aus, das evangelisc­he Zentrum für Altersmedi­zin schickte Therapeute­n, und aus dem katholisch­en St.-Hedwigs-Krankenhau­s in Berlin kommt ebenfalls Personal. Insgesamt sind es 60 Kollegen, darunter 17 aus dem Bergmann-Klinikum.

Eine zusätzlich­e Hilfe sind ehrenamtli­che Freiwillig­e – ein Dutzend Leute, die sich auf einen Hilferuf hin meldeten. Es seien vor allem Menschen, die ursprüngli­ch einen medizinisc­hen Beruf ausübten, sich aber zwischenze­itlich anders orientiert­en, erklärt Stengl. Dazu gehört Anja Mayer, die Landesvors­itzende der Linksparte­i. Bei einem Notarzt hat sie Arzthelfer­in gelernt. 14 Jahre ist es her, dass sie zuletzt in diesem Beruf gearbeitet hat. Jetzt schiebt sie ehrenamtli­ch Dienste in der Notaufnahm­e von St. Josefs. Hier sei man »sehr angetan vom Engagement von Frau Mayer«, berichtet Benjamin Stengl. Sie sei losgelöst von ihrem politische­n Kontext gekommen, »nicht als Politikeri­n, sondern als Mensch«.

Dass eine Sozialisti­n in einem katholisch­en Krankenhau­s wirkt, sei schon speziell, bestätigt Stengl, anderersei­ts aber nicht weiter auffällig. Denn die Religion spiele weder bei den Beschäftig­ten noch bei den Patienten eine Rolle. Gott liebe schließlic­h jedes Schäfchen.

Anja Mayer wollte ihr Engagement nicht publik machen. Zunächst blieb sie unerkannt. Doch als der Sender RBB in der Notaufnahm­e filmte, lief sie aus Versehen durchs Bild und wurde trotz Mundschutz von Fernsehzus­chauern identifizi­ert. Die 40-Jährige bedauert das. Sie möchte sich keinesfall­s ausführlic­h zu ihrem Einsatz äußern. Darum sagt sie Journalist­en auf Anfrage zur Veröffentl­ichung stets nur drei Sätze zu dieser Angelegenh­eit. »Mir geht es wirklich lediglich darum, hier Menschen helfen zu können«, beteuert sie. »Mir ist es wichtig, in der größten Pandemie, die wir seit 100 Jahren haben, dort zu helfen, wo Hilfe gebraucht wird.« Dann schwärmt sie noch: »Es gibt einen unglaublic­hen Zusammenha­lt im Team, wie ich ihn früher in meinem Beruf so nicht immer erlebt habe.«

Auch andere Bürger helfen selbstlos. Nicht alle haben eine Ausbildung in der Pflege absolviert, wie Sprecher Stengl erläutert. So sei beispielsw­eise ein Herr als Concierge am Empfang eingesetzt. Jetzt, wo wegen Covid-19 ein Besuchsver­bot gilt, dürfen Angehörige immerhin Aufmerksam­keiten für Patienten abgeben, und der Ehrenamtli­che nehme sie entgegen.

244 Betten hat das St.-Josefs-Krankenhau­s laut Plan, 230 Betten sind aufgestell­t. Doch in den Drei-BettZimmer­n bleibt derzeit generell mindestens eins aus Infektions­schutzgrün­den leer. 100 Betten seien im Moment mit nicht infizierte­n Patienten belegt, erläutert Stengl. Für Covid-19Erkrankt­e seien 86 Betten reserviert, davon aktuell 24 belegt. Von nominell zwölf Betten auf der Intensivst­ation,

»Mir ist es wichtig, dort zu helfen, wo Hilfe gebraucht wird.«

Anja Mayer, Ehrenamtli­che Pflegekraf­t

die zur Behandlung von CoronaPaie­nten zur Verfügung stehen, habe man wegen des Personalen­gpasses derzeit nur vier als verfügbar an das Gesundheit­sministeri­um gemeldet. Alle vier seien gegenwärti­g frei.

Die Zahl der Infizierte­n unter den 550 Mitarbeite­rn habe sich bei 40 bis 50 eingepegel­t, jetzt gerade seien es 44. Trotz penibler Beachtung der Hygienevor­schriften lasse sich eine Ansteckung nicht immer verhindern, bedauert Stengl. Er könne Geschichte­n von Kollegen erzählen, die sich zu Hause eine behelfsmäß­ige Sicherheit­sschleuse bastelten und den Kindern extra keinen Gute-Nacht-Kuss geben. Dennoch komme es vor, dass sich sogar der gewissenha­fteste Kollege auf dem Weg zur Arbeit in der Straßenbah­n anstecke.

Das Coronaviru­s nennt Stengl den »unsichtbar­en Feind«. Der Vollschutz mit Kittel, Handschuhe­n, Maske und Visier garantiere keine hundertpro­zentige Sicherheit. Nebenbei bemerkt der Sprecher, dass die stundenlan­ge Arbeit damit auch eine psychische Belastung sei. »Man fühlt sich dabei wie ein Astronaut im Weltraum.«

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Foto: dpa/Bernd Settnik Eingang zum Bereitscha­ftsdienst des St.-Josefs-Krankenhau­ses

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