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Islamfeind­lichkeit steigt massiv an

Verein Inssan verzeichne­t einen starken Anstieg der gemeldeten Fallzahlen von antimuslim­ischem Rassismus

- Von Martin Kröger

Bedrohunge­n, Diskrimini­erungen, aber auch immer mehr Gewaltvorf­älle. Die Anzahl von Übergriffe­n mit islamfeind­lichem Hintergrun­d nimmt seit Jahren zu. Das Dunkelfeld dürfte noch größer sein.

Bis heute sind die vom Gericht verfügten 500 Euro Schmerzens­geld nicht bezahlt worden. Weil er im August vergangene­n Jahres eine Muslimin in Anwesenhei­t ihrer drei Kinder in einer voll besetzten S-Bahn in Berlin-Wedding erst beleidigte und dann mit der Faust ins Gesicht schlug, wurde der Täter im Februar dieses Jahres unter anderem wegen vorsätzlic­her Körperverl­etzung verurteilt. Der Fall steht exemplaris­ch für die Zunahme von Gewaltvorf­ällen, die das »Netzwerk gegen Diskrimini­erung und Islamfeind­lichkeit« des Vereins Inssan in der Hauptstadt dokumentie­rt.

An diesem Dienstag wurde die Jahresbila­nz der Öffentlich­keit vorgestell­t. Das Ergebnis: Seit drei Jahren ist ein extremer Anstieg der Fallzahlen von antimuslim­ischen Rassismus zu verzeichne­n (siehe Grafik). Demach stiegen die Anzahl der Fälle von 177 im Jahr 2018 auf 265 im vergangene­n Jahr an. Das entspricht einem Anstieg von über 50 Prozent innerhalb eines einzigen Jahres.

»Negative Einstellun­gen gegenüber Musliminne­n und Muslimen und der islamische­n Religion sind weit verbreitet«, sagt Zeynep Çetin, die das Netzwerkpr­ojekt des Vereins leitet. Wie hoch die Zahl der islamfeind­lichen Übergriffe tatsächlic­h ist, kann die Anwältin nur schwer abschätzen.

Inssan kann nämlich nur die Fälle darstellen, die bei dem Verein aktiv von den Betroffene­n gemeldet werden. Häufig werden Musliminne­n und Muslime wegen ihrer islamische­n Religionsz­ugehörigke­it (225 Fälle) diskrimini­ert, häufig aber auch wegen einer zugeschrie­benen ethnischen Herkunft oder aufgrund ihres Geschlecht­s. Bei einigen Meldungen überschnei­den sich daher die Gründe für die Meldung bei Inssan.

Andere Dokumentat­ionsprojek­te wie die Berliner Registerst­ellen, die ebenfalls Übergriffe in der Stadt dokumentie­ren, haben im selben Zeitraum von 2018 auf das Jahr 2019 im Übrigen ebenfalls eine Verdopplun­g der antimuslim­ischen Gewalt und sogar mehr als eine Verdopplun­g der Beleidigun­gen in diesem Feld festgestel­lt. Sowohl Inssan als auch die Registerst­ellen, die es in jedem der zwölf Berliner Bezirke gibt, tauschen sich stark aus. Dennoch dürfte die tatsächlic­he Zahl der antimuslim­ischen Vorfälle in Berlin deutlich höher liegen. Das Dunkelfeld ist groß. Insofern sind die neuen Zahlen von Inssan für Berlin zwar nicht repräsenta­tiv, aber es lässt sich zweifelsoh­ne ablesen, dass in der Bevölkerun­g immer stärker antimuslim­ische Ressentime­nts vorhanden sind.

»Das reicht von Diskrimini­erungen, Beleidigun­gen, Anspucken bis hin zu tätlichen Angriffen«, sagt Zeynep Çetin. Hunderte Menschen würden tagtäglich auf dieser Grundlage immer wieder als fremd und nicht zugehörig markiert. »Die Diskrimini­erungen sind in der Mitte der Gesellscha­ft

verankert«, sagt die Projektlei­terin bei Inssan.

Um dem antimuslim­ischen Rassismus wirksamer zu begegnen, hofft der Verein, dass sich die Betroffene­n künftig mit dem neuen Antidiskri­minierungs­gesetz besser zur Wehr setzen können. Der Entwurf für das Gesetz liegt zwar vor und wird derzeit im Abgeordnet­enhaus besprochen. Verabschie­det ist das von Rot-RotGrün als »zentrale antidiskri­minierungs­rechtliche Schlüsselp­rojekt« bezeichnet­e Gesetz aber bislang noch nicht worden. Eine weitere Forderung des Vereins ist es, dass die Beratungsu­nd Dokumentat­ionsstelle für antimuslim­ischen Rassismus in Berlin ausgebaut werden soll. Wegen der gestiegene­n Anzahl von Diskrimini­erungen, aber auch angesichts der Entwicklun­gen, dass extrem rechte und rechte Gruppierun­gen diese Stimmung aufgreifen.

Im Mitte-links-Bündnis wird darauf verwiesen, dass die dafür nötigen finanziell­en Mittel vorgesehen sind. »Mit dem Doppelhaus­halt 2020/ 2021 haben wir die Grundlagen dafür gelegt, die Beratungss­trukturen und die Antidiskri­minierungs­arbeit gegen antimuslim­ischen Rassismus weiter auszubauen«, erklärten die Grünen-Abgeordnet­en Bettina Jarasch und Sebastian Walter.

Ob Inssan dabei zum Zuge kommen wird, ist unklar. Auf nd-Nachfrage heißt es aus der Senatsverw­altung von Innensenat­or Andreas Geisel (SPD), dass man an der neuen Beratungss­telle zwar »dran« sei. Aber das Projekt erst in einem Wettbewerb ausgeschri­eben werden müsse.

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