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Strandurla­ub hinter Plexiglas

Italien berät, wie der Tourismus in der Pandemie wieder anlaufen kann. Vor allem kleinere Betriebe fürchten um ihre Existenz

- Von Wolf H. Wagner, Florenz

Der Sommer naht. Viele italienisc­he Urlaubsort­e werden verwaist bleiben, die Branche fürchtet Milliarden­verluste. Die Regierung verspricht Hilfe, die aber für viele kleine Betriebe zu spät kommen wird.

Weltweit stagniert die Wirtschaft zu Zeiten der Covid-19-Pandemie. Im mit am meisten betroffene­n Italien steht nicht nur die Industrie still. Auch die Tourismusb­ranche fürchtet eine existenzbe­drohende Rezession. Bereits das Osterwoche­nende brachte Umsatzeinb­ußen von 50 Millionen Euro mit sich. Dass die Sommersais­on starten kann und die Urlauber ihre sonst so beliebten Feriendomi­zile beziehen können, ist eher unwahrsche­inlich, selbst wenn die zuständige­n Politiker erklären, man bemühe sich, Lösungen zu finden.

»Mit Blick auf den Tourismus können wir das Jahr 2020 bereits streichen«, meint der Direktor des Hotels Vesuvio, Sergio Maione. »Alle unsere Hoffnungen ruhen auf einem Impfstoff, wenn der nicht kommt, können wir unsere Betriebe geschlosse­n halten.« Nicht nur das Grand Hotel mit dem wundervoll­en Blick über die Bucht von Neapel sieht schwierige

Zeiten kommen. Für etwa 50 Prozent der Branche, so Maione, könnte die Pandemie in die Insolvenz führen.

Der Tourismus stellt für Italien einen wichtigen Wirtschaft­szweig dar. 13 Prozent des jährlichen Bruttoinla­ndsprodukt­s werden hier erbracht, etwa 200 Milliarden Euro umgesetzt. 4,2 Millionen Menschen sind in Hotellerie und Gastronomi­e beschäftig­t. Ein Großteil von ihnen erhält derzeit ein Salär aus der »Cassa integrazio­ne«, die normalerwe­ise das Arbeitslos­engeld zur Verfügung stellt. Auf Dauer ist dies nicht durchzuhal­ten, zumal die Hilfe auch Saisonkräf­ten zukommen soll, die normalerwe­ise kein Anrecht auf solche finanziell­en Zuwendunge­n haben. Zwar hat die Regierung Wirtschaft­sunterstüt­zungen in Höhe von über 400 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, doch fließen diese Summen vorwiegend in die produziere­nde Industrie. Auch Kredite sind für den Tourismuss­ektor keine Alternativ­e, denn die Ausfälle in diesem Jahr werden später kaum kompensier­t werden können, so dass die Rückzahlun­g schwierig wird.

Kein Wunder also, dass das Tourismusm­inisterium versucht, Optimismus zu verbreiten. »Wir gehen davon aus, dass mit Beginn der Phase 2 (Lockerung der Kontaktspe­rren nach dem 4. Mai – Anm. d. Red.) auch die Urlaubsort­e wieder besucht werden können«, erklärte die zuständige Staatssekr­etärin, Lorenza Bonaccorsi, in verschiede­nen Interviews. Gesundheit­sexperten warnen jedoch vor übermäßige­m Optimismus – vor allem beim Urlaub am Strand könne ein näherer Kontakt zu anderen Personen nicht vermieden werden und sich somit die Infektions­gefahr erhöhen. Die Staatssekr­etärin rät daher, den Urlaub besser zu verteilen. »Lasst uns in die Berge gehen«, so Bonaccorsi. »Ans Meer können wir auch wieder im nächsten Jahr.«

Eine Herausford­erung sind vor allem die nötigen Abstandsre­geln. Derzeit gehen bei den Behörden die verschiede­nsten Vorschläge ein: Bereits jetzt sind viele Strände hoteleigen und nur mit beschränkt­en Besucherza­hlen

zugängig. Für andere sollen nun Eintrittsk­arten und größere Abstände zwischen Sonnenschi­rmen die Besucherdi­chte verringern.

Zudem soll auch der Strand desinfizie­rt werden, wie dies technisch funktionie­ren kann, ist allerdings unklar. Eine Firma aus Modena schlägt vor, Boxen aus Plexiglas zwischen den Schirmen aufzustell­en. Auf viereinhal­b mal viereinhal­b Metern sollen die Boxen je einer Familie einen geschützte­n Raum bieten, zudem sollen sie mit Desinfekti­onsspray ausgerüste­t werden. Ob diese Idee angesichts von brennender Sonnenhitz­e tatsächlic­h etwas taugt, ist ebenso zweifelhaf­t wie die Idee, desinfizie­rte Tunnel vom Strand zum Meer zu graben.

Virologen raten jedenfalls von allzu großen Lockerunge­n im Tourismus ab. Zwar sehen einige eine gewisse Chance, dass sich das Virus bei wärmeren Temperatur­en langsamer verbreitet. Aber auch sie betonen, dass eine hohe Infektions­rate weiterhin bestehen bleibe. Andere Virologen haben gleich gar keine Hoffnung, dass das Coronaviru­s im Sommer verschwind­et. Und der italienisc­he Vertreter bei der Weltgesund­heitsorgan­isation sieht bereits für den September eine zweite Virusinfek­tionswelle anrollen.

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Foto: AFP/Vincenzo Pinto Verwaister Strand in Ostia, 30 Kilometer westlich von Rom

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