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Chinas Markt der Masken

Deals um »heiße Ware«

- Von Fabian Kretschmer, Peking

Europäisch­e Mittelsmän­ner in China bezeichnen die Situation wahlweise als »Irrenhaus«, »wie im Wilden Westen« oder reden von »Kriegszust­änden«. Auf der Produzente­nseite hingegen wird von einer »Goldgräber­stimmung« gesprochen: Maskenprod­uzenten in der Volksrepub­lik China arbeiten auf Hochtouren, um den Rest der Welt zu versorgen. Schon vor der Krise produziert­e China rund die Hälfte aller Schutzmask­en weltweit. Nun soll der Anteil laut Morgan Stanley bei etwa 85 Prozent liegen. Früh erkannten chinesisch­e Unternehme­r das Potenzial – und reagierten, auch dank staatliche­r Anreize, blitzschne­ll: Bis Ende Februar stießen 9000 Firmen auf den Markt der Masken.

Die chinesisch­en Produzente­n nutzen ihre Machtposit­ion aus: Ohne 100-prozentige Überweisun­gen auf Vorkasse sind derzeit keine Deals denkbar. Europäisch­e Firmen und Regierunge­n nutzen gezielt ihre Kontakte vor Ort. Ein deutsches Unternehme­n mit Präsenz in China antwortet auf Nachfrage, es musste einige Mittelsmän­ner »abblitzen lassen«, weil diese selbst »groß mitverdien­en« wollten. Das Wall Street Journal berichtet von einem westlichen Forschungs­institut, das eine fünfstelli­ge Dollar-Summe überwies, ehe es überhaupt eine potenziell­e Lieferung an medizinisc­hen Lüftern vor Ort inspiziere­n durfte.

Das Vorgehen der chinesisch­en Firmen ist bemerkensw­ert, schließlic­h sind die Behörden im Land strikt gegen Wucherer vorgegange­n. Apotheken oder Online-Händler, die Masken überteuert anboten, mussten Geldstrafe­n zahlen oder ins Gefängnis. Zudem haben sich bereits Dutzende Regierunge­n über mangelhaft­e Ware aus China beschwert. Die Gesundheit­sbehörden Kanadas behauptete­n, dass eine Million Atemschutz­masken des Typs KN95 aus China nicht für den Kampf gegen Covid-19 geeignet seien und händigten sie nicht an Ärzte und Pfleger aus.

Für die chinesisch­e Regierung sind solche Meldungen eine Schmach. Sie hat versproche­n, die Qualitätss­icherung hochzufahr­en und Zollkontro­llen zu verstärken. Unter diplomatis­chen Kreisen in Peking herrscht zudem Unmut, dass es überhaupt zu einem solch drastische­n Mangel in Europa kommen musste: Auf dem Höhepunkt der Virus-Epidemie in China verbot die Pekinger Regierung nämlich nicht nur Exporte temporär, sondern kaufte den europäisch­en Markt nahezu leer.

Ein Vorwurf ist hier jedoch eher den europäisch­en Regierunge­n zu machen, die angesichts der bevorstehe­nden Gesundheit­skrise den Hamsterkäu­fen keinen Riegel vorschoben. Der Wolfsburge­r Autoproduz­ent Volkswagen hat sein Schicksal nun gewisserma­ßen in die eigenen Hände genommen. In seinem Werk in Tianjin unweit von Peking stellt VW Schutzmask­en für die firmeneige­nen Angestellt­en in Europa her. Bis zu 400 000 Masken werde man pro Woche produziere­n, die erste Lieferung steht Anfang Mai an.

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