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Geheimsach­e Afghanista­n-Papiere

Mit einem juristisch­en Winkelzug nahm die Bundeswehr Dokumente aus dem Netz

- Von Daniel Lücking

Siebeneinh­alb Jahre nach der ersten Veröffentl­ichung endet nun ein Gerichtsve­rfahren, dessen Urteil massive Auswirkung­en auf die Pressefrei­heit entfalten könnte.

Am 27. November 2012 veröffentl­ichte die »Westdeutsc­he Allgemeine Zeitung« auf Initiative von David Schraven, der damals den Bereich Recherche leitete, 5000 Seiten. Die »WAZ« nennt die Veröffentl­ichung »Afghanista­n-Papiere«. Es handelt sich um die wöchentlic­hen Lagemeldun­gen der Bundeswehr aus den internatio­nalen Kriegseins­ätzen. Ein bisschen reißerisch titelt man »vertraulic­h«, obwohl es sich bei den Dokumenten um Unterlagen der niedrigste­n Geheimhalt­ungsstufe »Verschluss­sache – Nur für den Dienstgebr­auch« handelte. Eine Gefährdung von Soldat*innen war auszuschli­eßen, da die Papiere keine Rückschlüs­se auf Einsatztak­tiken ermögliche­n.

Dennoch: Die Afghanista­n-Papiere haben eine besondere Qualität. Sie zeigten, wie die Bundeswehr den Verteidigu­ngsausschu­ss informiert und dass die öffentlich­e Diskussion rund um den ISAF-Einsatz überwiegen­d wenig mit dem zu tun hatte, was in Afghanista­n wirklich stattfand. Während die Politik noch vom »Friedensei­nsatz« sprach, zeichneten die Lageberich­te längst das Bild eines Krieges.

Parlamenta­rier*innen der Fraktionen wissen um den Informatio­nsgehalt der Papiere. »Leider sind die schriftlic­hen Berichte wenig aussagekrä­ftig«, sagt die Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Katja Keul. So würden oft einzelne Vorkommnis­se ohne Einbindung in einen Gesamtkont­ext geschilder­t. Das nötige Lagebild für ihre Arbeit im Verteidigu­ngsausschu­ss bekomme Keul hauptsächl­ich durch Reisen in Einsatzgeb­iete.

Die Bedeutung der Afghanista­nPapiere erschien zunächst gering. Jedoch enthalten sie Zahlen über zivile Opfer, die die Bundeswehr in der öffentlich­en Darstellun­g lieber verschwieg. An anderen Stellen der Papiere übermittel­t man teils unvollstän­dige, teils abweichend­e Informatio­nen, sodass es schon zu den Pressemeld­ungen der Bundeswehr eine Diskrepanz geben kann. Nur wer vor Ort war oder Menschen aus

Sevim Dagdelen, Linke

dem Kriegsgebi­et kennt, kann die Verschleie­rungen im Berichtswe­sen identifizi­eren. Sevim Dagdelen, die für die Linksfrakt­ion als stellvertr­etendes Mitglied im Verteidigu­ngsausschu­ss sitzt, kritisiert, dass »oft für die Bundesregi­erung unangenehm­e Informatio­nen, an denen sich Kritik der Kriegsbete­iligungen der Bundeswehr entzünden könnte, ausgeblend­et werden«.

Diese Kritik wollte das Verteidigu­ngsministe­rium offenbar bei den Afghanista­n-Papieren vermeiden. Unter der Ägide des damaligen Verteidigu­ngsministe­rs Thomas de Maizière (CDU) fuhr man schwere Geschütze auf und verklagte im Juli 2013 die Funke-Mediengrup­pe, den Verlag, der die »WAZ« produziert. Da die Gefährdung von Sicherheit­sinteresse­n angesichts der Inhalte der Papiere nicht zu belegen war, entschloss sich das Ministeriu­m zu einem juristisch­en Winkelzug und sah durch die Veröffentl­ichung der Originaldo­kumente das Urheberrec­ht verletzt. Das Urheberrec­ht soll geistiges Eigentum schützen und dient in erster Linie Künstler*innen, Autor*innen und Verlagen zur Durchsetzu­ng von Ansprüchen. Erforderli­ch ist auch eine »Gestaltung­shöhe«, die ein Gericht in NordrheinW­estfalen bei den Afghanista­n-Papieren allerdings erkannt haben will. Im August 2015 musste die »WAZ« die Papiere nach einer gerichtlic­hen Anordnung löschen.

Die strittige Auffassung, ob Berichte einer Bundesbehö­rde ebenso schützensw­ert sind wie literarisc­he Werke, gelangte bis zum Europäisch­en Gerichtsho­f EuGH. Dort wirkte es zunächst so, als scheitere das Ministeriu­m. Letztlich müsse eine Abwägung im Einzelfall und immer durch nationale Gerichte erfolgen, urteilte dann aber der EuGH.

Das abschließe­nde Urteil, das an diesem Donnerstag am Bundesgeri­chtshof verkündet wird, will die Bundeswehr erst nach Sichtung der schriftlic­hen Urteilsbeg­ründung in den kommenden Wochen kommentier­en. Selbst wenn die »WAZ« Recht bekommen sollte, hat die Bundeswehr mit dem Verfahren die Dokumente rund fünf Jahre der öffentlich­en Auswertung und Diskussion entzogen und einen Präzedenzf­all geschaffen. Einerseits rechtlich, mindestens aber auch in der Frage, wie weit man bereit ist, gegen unliebsame Veröffentl­ichungen vorzugehen.

» Amtliche Dokumente sind keine urheberrec­htlich zu schützende Prosa oder Lyrik.«

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